28. August 2017
Am vergangenen Freitag haben wir erfahren, wie sich unsere Frauenmannschaft für die Mannschafts-EM auf Kreta zusammengesetzt. Während für die Männer bereits vor zwei Wochen die Würfel gefallen sind, blieb bei den Frauen die Spannung erhalten. Ausschlaggebend für die Nominierung war wohl auch der Spielverlauf beim Länderkampf in Baku. Bundestrainer Dorian Rogozenco, jetzt wieder zurück in Deutschland - hat sich uns für ein Interview zur Verfügung gestellt.
Zunächst hier noch einmal unsere Frauenmannschaft für die Mannschafts-EM 2017:
IM Elisabeth Pähtz (2469), WGM Sarah Hoolt (2449), WGM Marta Michna (2376), WGM Elena Levushkina (2311) und WIM Josefine Heinemann (2284)
DSB: Dorian, Du warst kürzlich mit der Frauen-Nationalmannschaft beim Länderkampf gegen Aserbaidschan in Baku. Wie bewertest Du die überraschend hohe Niederlage der deutschen Frauen?
D.R.: Es war von Anfang an klar, dass wir mit der aserbaidschanischen Frauenauswahl auf eine junge und gefährliche Mannschaft treffen würden. Wir waren zwar vom Elo-Durchschnitt über 60 Punkte vorne, aber ihr 8. Platz bei der Schacholympiade im Vorjahr und das Unentschieden gegen Russland und China bei der diesjährigen Mannschafts-Weltmeisterschaft beweist genug, dass eine gute Mannschaft nicht allein durch Elo-Zahlen definiert wird. Dass wir letztendlich so hoch verlieren würden, war selbst für mich eine Überraschung.
DSB: Welche Rückschlüsse ziehst Du aus dieser Erfahrung?
D.R.: Man sollte hierbei zwischen zwei wesentlichen Aspekten unterscheiden, zum einen den allgemeinen, zum anderen den rein schachlichen Aspekt.
Allgemein: Der Länderkampf war großartig organisiert und zeigte mit der Präsenz von Fernsehleuten, Journalisten und Prominenten, welchen hohen Stellenwert der Schachsport im Kaukasus hat. Unser Gastgeber bemühte sich ebenfalls um ein kulturelles Rahmenprogramm, sodass wir bei einer Schiffsfahrt über das Kaspische Meer und einen Rundgang durch den historischen Teil Bakus etwas über Land und Leute erfahren konnten. Der deutsche Botschafter in Aserbaidschan zeigte ebenfalls großes Interesse an unserem Wettkampf und lud uns am letzten Abend sogar zu einer privaten Party auf seiner Residenz ein.
Sowohl der aserbaidschanische Verband als auch wir sind glücklich darüber, diese Erfahrung, unabhängig vom Endresultat, gemacht haben zu dürfen und beide Teams hoffen, diese Tradition auch zukünftig fortsetzen zu können.
Schachlich: Es gibt kaum eine bessere Vorbereitung auf internationale Wettkämpfe als eine derartige Maßnahme, weil Länderkämpfe nun einmal ein sehr gutes Training und eine optimale Vorbereitung auf Teamevents darstellen. In Baku waren beide Mannschaften vor allem was Eröffnungen betrifft ziemlich gut vorbereitet. Der Unterschied bestand darin, dass ab der 3. Spielstunde und besonders in der Zeitnotphase unsere Gegnerinnen einfach besser gespielt haben. Das gibt mir und den Spielerinnen jedoch eine gute Grundlage den richtigen Trainingsplan zu entwickeln und eventuelle Schwächen bis zum Start der Mannschafts-Europameisterschaft auf Kreta zu beseitigen.
DSB: Du hast kurz nach Abschluss des Länderkampfes in Baku die Nationalmannschaft der Frauen für die diesjährige Mannschafts-EM bekanntgegeben. Welche Rolle spielte dabei das Abschneiden der einzelnen Spielerinnen in Baku? Kamen noch andere Spielerinnen für die Nominierung in Frage? Was ist beispielsweise mit der amtierenden Deutschen Meisterin und Nachwuchshoffnung Jana Schneider...?
D.R.: Wir sind nach Baku mit 3 erfahrenen und 2 jungen Spielerinnen angereist. Elisabeth Pähtz als auch Sarah Hoolt waren für die Mannschafts-EM auf Kreta bereits (intern) nominiert worden. Fiona Sieber, Josefine Heinemann und Elena Levushkina wurden im April-Mai diesen Jahres für den Länderkampf in Baku nominiert. Hierzu muss ich allerdings hinzufügen, dass ich auch die amtierende Deutsche Frauenmeisterin Jana Schneider für diese Maßnahme nominieren wollte. Jedoch musste Jana wegen einer Kollision mit der Mannschaftseuropameisterschaft der Jugend in Polen absagen.
Der Länderkampf zeigte noch einmal deutlich, dass Jugend und Erwachsenenschach zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Besonders bei Wettkämpfen in der Nationalmannschaft ist der Druck unheimlich hoch. Dazu fallen mir auch einige Beispiele aus der Vergangenheit ein. Denken wir an die Schacholympiade 2010, als Deutschland mit Rainer Buhmann plus 4 jungen und talentierten Spielern angetreten ist. Obwohl Rainer am Brett 1 eine Elo-Performance über 2600 zeigte, belegte Deutschland am Ende den 64. Platz. Im Nachhinein wirkte sich dies sogar eher negativ auf all diese jungen Spieler aus, denn ausgenommen Niclas Huschenbeth, der später noch am Mitropa Cup teilnahm, schaffte es keiner mehr von Ihnen, je in die Nationalmannschaft zurück.
Betrachten wir jetzt das Ergebnis unserer jüngsten Spielerin in Baku: Fiona hat 4 Partien verloren. Nur ein konkretes Beispiel: In der letzten Runde bekam Fiona dank der Vorbereitung einen großen Vorteil nach der Eröffnung. Doch ihre erfahrene Gegnerin hat in dieser kritischen Situation plötzlich angefangen, taktisch zu spielen. Mit ihrem ganzen Verhalten am Brett (schnelle Zugausführung und Aufstehen nach jedem Zug) zeigte Mamedjarova, dass sie sich sehr sicher fühlte. So übernahm die Aserbaidschanerin komplett die psychologische Initiative. Fiona hat dadurch das Selbstvertrauen und letztendlich auch die Kontrolle über die Partie verloren. Allerdings hat sie in Baku wertvolle Erfahrungen sammeln können, auch wenn ihr Ergebnis gleichzeitig zeigt, wie schwer es ist auf internationalem Niveau gegen solche erwachsenen und erfahrenen Gegnerinnen zu spielen. Unter Druck und ohne Erfahrung kann man viele Niederlagen in Folge schneller einkassieren, als einem lieb ist.
Hier möchte ich als wichtige Information noch hinzufügen, dass mich Fiona kurz vor dem Länderkampf darüber informiert hatte, dass sie durch ihre Vorabiturklausuren für Kreta auf jeden Fall nicht in Frage kommen würde.
Was Jana Schneider betrifft, zeigten ihre letzten beiden Turniere (Young-Masters und die Jugendmannschafts-EM), dass internationale und nationale Erfolge anders gewichtet werden müssen. Ich denke für Jana ist die Nominierung in die Nationalmannschaft für ein solches Turnier wie die EM in Kreta aufgrund mangelnder internationaler Erfahrung einfach noch zu früh. Mit Janas Nominierung für den Mitropa Cup im September habe ich aber angefangen, sie Schritt für Schritt Richtung Nationalmannschaft zu führen.
Abschließend möchte ich sagen, dass, wenn Fiona und Jana weiterhin so engagiert an ihrem Schach arbeiten, wie sie das bis jetzt getan haben, dann stellen sie zweifellos die Zukunft des deutschen Frauenschachs in Deutschland dar und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, sie in der Nationalmannschaft spielen zu sehen.
Wir danken für diese ausführlichen Antworten.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 22305