29. November 2016
Die wohl weitaus meisten Schachexperten haben damit wohl nicht gerechnet: Nach 12 Partien der Schachweltmeisterschaft in New York steht es unentschieden, anstatt wie prognostiziert ein Matchsieg für Titelverteidiger Magnus Carlsen. So sah der österreichische Wettanbieter wettbasis.com den Norweger mit 75:25 Prozent im Vorteil. Das wäre ein 3:9 aus der Sicht des russischen Herausforderers Sergej Karjakin gewesen.
Auf der einen Seite Carlsen, der es vermag völlig ausgeglichene Stellungen noch soweit auszuquetschen, das am Ende ein Sieg für ihn herausspringt. Auf der anderen Seite Karjakin, dem man nachsagt, schlechte Stellungen brilliant verteidigen zu können. Nach der ersten Hälfte des Wettkampfes (6 mal unentschieden) schien klar: Karjakin's Stärke ist die stärkere.
Auf Facebook kommentierte ich das Match zu dem Zeitpunkt mit den Worten: "Karjakin dominiert die WM! Steht er auf Verlust, hält er locker Remis. Steht er auf Gewinn, hat er Mitleid mit Carlsen und macht auch Remis." Nach zwei ereignislosen Punkteteilungen hatte der Weltmeister in Runde 3 und 4 zweimal die Führung in der Hand. Doch Karjakin widerstand den Gewinnbemühungen Carlsen's. Er hat also "locker Remis" gehalten.
In Runde 5 griff der Weltmeister daneben und Karjakin goß mit 42. ... d4! Öl ins Feuer. Nur um im darauffolgenden Zug den möglichen Gewinn sofort wieder aus der Hand zu geben ("Mitleid mit Carlsen"?).
Die lange ersehnte erste entschiedene Partie nahte dann in Runde 8. Doch nicht der hochfavorisierte Weltmeister ging in Führung, sondern der Herausforderer! Carlsen opferte seinen a-Bauern, bekam aber dafür nicht genügend Kompensation. Als der nach dem Bauernopfer unbedrängte schwarze a-Bauer auf die zweite Reihe vormarschierte, gab Carlsen auf. Der anschließenden Pressekonferenz blieb er fern, nachdem er bereits auf dem Podium Platz genommen hatte. Sein Bezwinger gab im Vorraum noch ein Interview. Das Warten auf ihn dauerte Carlsen zu lange.
Nur noch vier Partien waren zu spielen. Wie wollte Carlsen das Ruder jetzt noch herumreißen, gegen so einen starken Karjakin?
Das schier Unmögliche gelang dem Weltmeister in seiner nächsten Weißpartie. Nach endlosem Lavieren hatte Carlsen seine Figuren optimal postiert, um einen Bauern zu gewinnen. Das bedeutete den Ausgleich im Match - 5:5.
Nach einem weiteren Unentschieden kam es nun auf die zwölfte und letzte Partie an. Carlsen führte die weißen Steine. Ich schaltete mich eine runde dreiviertel Stunde nach dem Beginn in die Live-Übertragung ein. Zu sehen gab es aber nichts. Die deutschsprachige Live-Übertragung war nicht verfügbar und bei der englischen Übertragung wurde statt über die Partie über Twitter-Kommentare philosophiert. Enttäuschung pur, nach rund einer halben Stunde wurden die Figuren auch schon wieder eingeräumt. Remis. Auf ChessBase kommentierte das ein Leser mit "Entttäuschung, Antiwerbung, Arbeitsverweigerung...
Da hat wohl keiner von beiden den Weltmeistertitel verdient."
Nach dem heutigen Ruhetag finden am morgigen Mittwoch, den 30. November die Tie-Breaks statt:
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Frank Hoppe
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