22. November 2014
Die erste Runde ist gespielt bei den Deutschen Meisterschaften in Verden, und schon ist der Katzenjammer groß. An einem der 22 Bretter wurde ein besseres Abspiel übersehen, zwei Bretter weiter eine mögliche Rettung nicht erkannt, zumindest einer hat überhaupt nicht viel geblickt und wurde früh matt, und dann war da noch die Partie, in der das energische Spielen auf Gewinn zu einer enttäuschenden Niederlage führte. Der Tag endet somit für einige Spieler in tiefer und berechtigter Erstrunden-Agonie.
Schach ist Sport, Schach soll auch Spaß machen, so verspricht es eigentlich die Werbung, doch einmal mehr zeigt sich, dass dieser Spaß recht ungleich unter den Beteiligten verteilt ist. Bei mir zumindest ist heute nicht so viel davon angekommen, und auch einige der Titelträger werden sich einen beschwingteren Start in das Turnier erhofft haben.
Zwei der Internationalen Meister beendeten ihre Auftaktrunde ohne zählbaren Erfolg – trotz geschmeidiger Spielführung hatten sowohl IM Martin Breutigam als auch IM Yuri Boidman am Ende das Nachsehen gegen Sebastian Zehnter und Thilo Kabisch, die somit einen gelungenen Aufgalopp in den Wettbewerb hatten.
GM Rainer Buhmann musste sich mit Dr. Hauke Reddmann bundeslandübergreifend auf ein Remis verständigen, ebenso wie Titelverteidiger GM Klaus Bischoff und der Delmenhorster David Höffer vom Delmenhorster SK, als dieser gerade anfangen wollte, sich einen Weg durch Bischoffs Verteidigungslinien zu beißen.
Zum Glück bietet der Verdener Niedersachsenhof in derart trüben Momenten Trost in Form eines guten Abendessens (Grünkohl satt), verschiedener Fruchtschorlen und der Aussicht auf das reiche Frühstück am folgenden Morgen. Auch eine Feier mit 200 Teilnehmern im Festsaal hellt die Laune auf, Musik und fröhliche Menschen überall, unbelastet von schachlichen Sorgen – das Leben könnte so schön sein!
Aber, hey, diese erste Runde der DEM, sie hatte auch ihre erfreulichen Seiten. Fragt man beispielsweise Willi Skibbe, den offiziellen Vertreter des Schachbezirks Rostock und der Ostseeküste, so würde er vermutlich den Daumen hochnehmen und von einer gelungenen Partie berichten.
Sein Gegner war zwar der gefährliche IM Hagen Poetsch von den Schachfreunden Schöneck, doch eine gut vorgeführte Englische Partie brachte für Willi erst Raumvorteil und dann nach klugem Manövrieren einen entscheidenden Königsangriff. So startet man gerne ins Turnier!
Mutmaßungen, auch das kämpferische T-Shirt des jungen Mecklenburgers hätte einen Anteil am Erfolg gehabt, lassen sich allerdings nicht belegen. Mich erinnerte der gelb-schwarze Aufdruck ein wenig an einen weit aufgerissenen, fürchterlichen Schlund, doch Willi, der in Sachen T-Shirt und Schachpartien in gewisser Weise vorbelastet ist, wollte darin ein Batman-Symbol erkennen.
Viele der anwesenden Titelträger brachten ihre erste Partie vorschriftsgemäß über die Bühne und netzten einen ganzen Punkt ein. Glückwunsch an Igor Khenkin, Vitaly Kunin, und die Schachprinzen Rasmus Svane, Dennis Wagner und, ja, es muss gesagt werden, auch an Matthias Blübaum, der seinen, wie sagt man so schön, überforderten Gegner* wie eine weiche Slalomstange umdribbelte und schon nach zwanzig Zügen zum Matt ansetzte.
*Name der Redaktion bekannt
Weitere Teilnehmer können nach der ersten Runde eine gut gelaunte text message an Freunde und Verwandte senden:
- Daniel Fridman als Nummer Eins der Setzliste besiegte seinen Präsidenten Herbert Bastian – es bleibt abzuwarten, ob und wie der Schachbund auf diese Provokotion reagieren wird
- Der deutsche U16-Vizemeister Dimitri Kollars (ebenfalls Delmenhorster SK!) erspielte sich in einer stets ausgewogenen Partie ein beeindruckendes Unentschieden gegen GM René Stern
- Stephan Buchal, mein Turnierfavorit, begann mit einem Remis gegen GM Sebastian Siebrecht, ebenso wie Roland Schmid bei seiner ersten DEM gegen IM Gerlef Meins, und Rolf Hundack, obgleich durch einen Fahrradunfall geschwächt, erreichte in einer sehr langen Partie eine sehr kämpferische Punkteteilung mit IM Tobias Jugelt.
- Der junge Vincent Keymer – mit seinen zehn Jahren ist er jünger als alle anderen Teilnehmer zusammen - luchste FM Thomas Thiel einen halben Punkt aus phasenweise schon bedrängter Stellung ab. Indes war es am Ende keineswegs unverdient, und musste in gut sechs Stunden auch lange erwirtschaftet werden.
Der Turniersaal öffnet morgen wieder um 15 Uhr, Zuschauer sind nach wie vor willkommen. Für alle, die keinen Internetzugriff haben, präsentieren wir hier die Auslosung der zweiten Runde in analoger Form – so wie früher, in der guten alten Zeit, als man noch schlechte Züge machen konnte, ohne dass es die ganze Welt sehen konnte.
Gerne greifen wir an dieser Stelle noch den Hinweis von Dr. Oliver Höpfner, dem Präsidenten des Bremer Landesschachbundes, auf. Im Netz spürte er zwei hörenswerte Interviews zur DEM auf, geführt von Radio Bremen, und an dieser Stelle noch einmal erhältlich. Ein Gespräch führten die Redakteure mit Michael Woltmann, dem Vizepräsidenten Verbandsentwicklung beim DSB, und ein weiteres mit Marco Bode, Ex-Fußballnationalspieler und intensiver Hobby-Schachspieler.
Und noch etwas, und dann gehen wir ins Bett: es gibt noch einige Spieler-Interviews, die aufgrund verschiedener Umstände erst jetzt den Weg zu uns fanden und nun sogleich online gehen können. Sie folgen gleich im Anschluss - wir bitten um freundliche Beachtung!
-Ist dies Deine erste Teilnahme an einer DEM?/Deine wievielte Teilnahme an einer DEM ist das?
Ja, das ist meine erste Teilnahme.
-Wie bereitest Du Dich vor?
Aus Zeitmangel leider nicht so intesiv wie ich es mir erwünscht hätte.
-Wer sind in Deinen Augen die Favoriten?
Die ersten der Setzliste sind sicherlich favorisiert, aber auch jüngere Spieler aus der „zweiten Reihe“ sollte man auf der Rechnung haben.
-Was war bisher Dein größter schachlicher Erfolg?
Es gab einzelne Partien mit denen ich sehr zufrieden war. In konnte drei mal auf dem Treppchen der Sachsenmeisterschaften landen, in der Jugend war ich außerdem zwei mal Sachsenmeister.
-Was ist Dein Ziel für die Deutschen Meisterschaften in Verden?
Zwei Siege einfahren und mich im Mittelfeld platzieren.
-Was weißt Du über Verden?
Leider so gut wie gar nichts, aber das wird sich vielleicht noch ändern.
-Wie würdest Du feiern, wenn Du Deutscher Meister wirst?
So ausschweifend wie möglich, bis der Wecker klingelt und ich aufwache ...
-Wer ist Dein schachliches Vorbild?
Es gibt so viele Spieler von denen ich noch viel lernen kann.
-Was machst Du beruflich?
Ich bin Promotionsstudent in theoretischer Physik.
-Hast Du neben dem Schach noch andere Hobbys?
Ja, ich reise gern, ab und zu boulder oder wandere ich.
Bitte vervollständige folgenden Satz: Ich freue mich auf die DEM ganz besonders, weil...
Schach ein toller Wettkampfsport ist und es großen Spaß macht sich mit den Besten zu messen!
-Ist dies Deine erste Teilnahme an einer DEM?/Deine wievielte Teilnahme an einer DEM ist das?
Nach 2009 nehme ich zum zweiten Mal an einer Deutschen Meisterschaft teil.
-Wie bereitest Du Dich vor?
Eigentlich wollte ich im Herbst noch an einem Open teilnehmen, um zu etwas mehr Spielpraxis zu kommen, das scheiterte aber aus Zeitgründen. Und dann hatte ich noch vor, in den zwei Wochen vor der DEM noch ein paar meiner vielen Baustellen zu bearbeiten. Wegen diverser bei einem Unfall erlittener Blessuren wurde daraus aber nur wenig.
-Wer sind in Deinen Augen die Favoriten?
Igor Khenkin und Daniel Friedman.
-Was war bisher Dein größter schachlicher Erfolg?
Ich meine mich zu erinnern, dass da in meinen Jugendjahren das eine oder andere war, aber das ist über 30 Jahre her. In den letzten Jahren gab es nichts Erwähnenswertes.
-Was ist Dein Ziel für die Deutschen Meisterschaften in Verden?
Besser zu spielen als 2009.
-Was weißt Du über Verden?
Früher war ich öfter mal in Verden, inzwischen fehlen mir die persönlichen Beziehungen dorthin.
-Wie würdest Du feiern, wenn Du Deutscher Meister wirst?
Die Frage stellt sich mir nicht.
-Wer ist Dein schachliches Vorbild?
Hatte ich nie. Vielleicht wäre das hilfreich gewesen?!
-Was machst Du beruflich?
Unternehmensberatung für Selbstständige und kleine Unternehmen.
-Hast Du neben dem Schach noch andere Hobbys?
Ich beschäftige mich noch mit einigen anderen Dingen/Themen, würde diese aber nicht als „Hobbys“ bezeichnen.
Bitte vervollständige folgenden Satz: Ich freue mich auf die DEM ganz besonders, weil ...
... man nicht allzu oft die Möglichkeit hat, an einem so stark besetzten Turnier teilzunehmen.
-Ist dies Deine erste Teilnahme an einer DEM?/Deine wievielte Teilnahme an einer DEM ist das?
Nein, leider habe ich mich bisher noch nicht für dieses Turnier qualifizieren können. Ich werde es aber weiter versuchen.
-Wie bereitest Du Dich vor?
Das ist eine schwierige Frage. Bergsteigen, Surfen, und mir etwas gegen die Berliner Mauer im Spanier ausdenken - das wäre schon mal ein guter Anfang.
-Wer sind in Deinen Augen die Favoriten?
Ich habe gehört, dass Klaus Bischoff alle unsere Züge aus dem WM-Match gegen Vishy Anand gesehen, kommentiert und verstanden hat. Das macht ihn für mich zum Favoriten Nummer Eins.
-Was war bisher Dein größter schachlicher Erfolg?
Beim Kieler Open habe ich mal gut abgeschnitten, und aktuell bin ich Schnellschach-und Blitzweltmeister. Ach ja, und Weltmeister im Turnierschach auch.
-Was ist Dein Ziel für die Deutschen Meisterschaften in Verden?
Rechtzeitig mit dem Match gegen Vishy fertigzuwerden, so dass ich eventuell noch die letzten Runden in Verden mitspielen kann.
-Was weißt Du über Verden?
Liegt es nicht an der Weser? An der Donau? Irgend so etwas, und es soll sehr sehr schön sein.
-Wie würdest Du feiern, wenn Du Deutscher Meister wirst?
Das wäre natürlich etwas. Ich würde mich wieder in den Swimmingpool werfen lassen, wie letztes Jahr in Chennai! Ganz in der Nähe des Niedersachsenhofes, wo wir spielen, ist ja schon das Verdener Schwimmbad.
-Wer ist Dein schachliches Vorbild?
Simen Agdestein, mein langjähriger Trainer.
-Was machst Du beruflich?
Ich bin Weltmeister.
-Hast Du neben dem Schach noch andere Hobbys?
Bergsteigen, Surfen, und hey, einfach mal so gucken, was passiert. Schach ist toll, aber es ist ja zum Glück nicht alles im Leben.
Bitte vervollständige folgenden Satz: Ich freue mich auf die DEM ganz besonders, weil...
.. ich schon lange nicht mehr in Deutschland gespielt habe, und in Niedersachsen sowieso nicht. Das Hotel soll auch sehr nett sein!
Alle Interviews können Sie auch auf unserer von Frank Hoppe gestalteten Porträtseite anschauen!
Olaf Steffens
Olaf Steffens ist FIDE-Meister, wohnt in Bremen und spielt dort für den SV Werder II in der Oberliga Nord-West. Obwohl das Schachspiel eigentlich viel zu schwierig für ihn ist, versucht er es immer wieder und schreibt darüber zusammen mit anderen auf www.schach-welt.de.
Während der Deutschen Einzel-Meisterschaft 2014 schreibt er für den Deutschen Schachbund.
// Archiv: Nachrichten Olaf Steffens // ID 19151
Kommentare
Kommentar von Frank Hoppe |
Super lesenwerter und witziger Bericht. Danke Olaf!
Kommentar von mulde |
Wunderbar, Herr Kollege!
Die DSAM grüßt von der Magdeburger Elbe an die Verdener Aller!
Besonders beeundruckend die umjubelte Formulierung: " ... Vincent Keymer – mit seinen zehn Jahren ist er jünger als alle anderen Teilnehmer zusammen ..."
Den Satz borge ich mir für künftige Artikel aus, Olaf!
Mit vergnügtem Gruß
Dein Ralf/
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