14. Oktober 2014
... auch wenn zwischendurch alles weit offen war und die "Tabelle" der letzten drei Runden ganz anders aussieht: Grischuk 3/3, Mamedyarov, Nakamura, Tomashevsky 2/3, Andreikin, Caruana, Gelfand, Karjakin, Radjabov, Svidler 1.5/3, Kasimdzhanov 0.5/3, Dominguez 0/3. Aber wenn man alles zusammenzählt, steht es nach 11 von 11 Runden so: Caruana und Gelfand 6.5/11, Grischuk, Nakamura, Karjakin, Svidler, Tomashevsky 6, Radjabov 5.5, Mamedyarov und Kasimdzhanov 5, Andreikin 4.5, Dominguez 3 (bei Punktgleichheit nun nach Wertung geordnet - zunächst Anzahl Siege, dann Sonneborn-Berger - aber das ist für Preisgeld und GP-Punkte irrelevant). Die letzten drei Runden kann man knapp so zusammenfassen: zuerst Aufstand der [jedenfalls zu diesem Zeitpunkt] Kellerkinder, dann Revanche der zuvor zusammen führenden Spieler (an anderen Gegnern), dann eine recht remisliche Schlussrunde. Der mitdenkende Leser weiss bereits, dass eine Partie doch Sieger und Verlierer hatte und wer wie beteiligt war.
Das Titelbild (Quelle für alle Fotos Turnierseite, fotografiert hat mit einer Ausnahme Maria Emelianova) zeigt zwei Spieler: links Caruana, der im Turnier insgesamt erfolgreich spielte - wenn auch nicht so erfolgreich wie zuletzt, rechts Grischuk der die letzten drei Runden dominierte. Ein Leser hat angeregt, noch mehr bunte Bilder einzubauen - da hatte ich dann die Qual der Wahl aber werde im Laufe des Artikels noch einige Spieler aus unterschiedlichen Gründen zeigen.
Nun zunächst der übliche Schnelldurchlauf durch die letzten Runden:
Runde 9 - die Ersten spielten gegen die geteilt Letzten - ich habe bereits angedeutet was passierte. Mamedyarov-Gelfand 1-0 war erstaunlich einseitig: aus Königsindisch (geplant vielleicht Grünfeld, aber Weiss verzögerte Sc3) wurde Benoni, und trotz eines glatten weissen Tempoverlustes (4.e3 und 9.e4) gewann Weiss glatt. Da wurde Gelfand offenbar in der Eröffnung ausgetrickst. Caruana-Grischuk 0-1 war komplizierter, begann allerdings auch mit einer trickreichen Eröffnung: 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.f3!? c5!? 4.dxc5!? e6!!?? . Nach Grischuks Neuerung grübelte Caruana 39 Minuten, und nach 5.Le3 b6 6.Sc3 brauchte Grischuk 23 Minuten für 6.-La6. Ich kann nicht im Detail auf alle kritischen Momente eingehen: später hatte Caruana einen Mehrbauern, Grischuk dafür Kompensation. Grischuk wollte dann die Züge wiederholen, Caruana war nicht einverstanden - und übersah kurz danach ein taktisches Motiv.
Bei Andreikin-Dominguez 1-0 spielten zwei Kellerkinder gegeneinander, und dementsprechend verlief die Partie. Andreikins Trompovsky verlief nicht nach Wunsch - dann opferte er, statt einfach positionell schlechter zu stehen, eine Figur für zwei Bauern und praktische Schummelchancen. In der Zeitnotphase bekam er irgendwie seine Figur zurück und behielt ein Endspiel mit Mehrbauer, das er dann gewann. Nakamura-Kasimdzhanov 1-0: in etwa ausgeglichener Stellung übersah Kasimdzhanov im 22. Zug einen taktischen Trick und konnte zwei Züge später aufgeben. Das waren genug Aufregungen, da kann ich die beiden Remispartien (Svidler-Tomashevsky und Radjabov-Karjakin) ignorieren.
Dass beide Führenden in derselben Runde verlieren, gab es bereits mehrfach: beim Londoner Kandidatenturnier in der letzten Runde, bei der ersten Auflage von Norway Chess und beim GP-Turnier in Peking jeweils in der vorletzten Runde, nun eben in der drittletzten Runde. Die Tabellensituation nach dieser Runde in Baku - sechs Spieler (Caruana, Gelfand, Karjakin, Nakamura, Radjabov, Svidler) punktgleich vorne - gab es auch schon anderswo: 2012 nach der letzten Runde der Russischen Meisterschaft (da gewann Andreikin den fälligen Schnellschach-Tiebreak), 2009 nach der vorletzten Runde in Wijk aan Zee (da gewann Karjakin als Einziger in der letzten Runde). Nochmals: bei der GP-Serie gibt es hinterher weder Schnellschach noch - wie in London - einen anderen Tiebreaker, punktgleich ist und bleibt punktgleich. Angesichts des weiteren Turnierverlaufs muss ich nicht näher erklären, wer wie/warum zu diesem Zeitpunkt +1 hatte.
Nicht wegen seinem glücklichen Sieg in dieser Runde, sondern wegen dem anschliessenden 30-minütigen Interview mit Emil Sutovsky. Sutovsky mochte Nakamura früher gar nicht und machte, seinem Naturell entsprechend, auch keinen Hehl daraus (z.B. hier) - gegen Ende dieses Interviews sagte ich "ich wurde zum Fan!". Warum kann ich nicht näher erklären (für Sutovsky wurde Nakamura endlich erwachsen?), das soll der (der englischen Sprache mächtige) Leser selbst herausfinden.
Runde 10: Nach den Eröffnungen dachte ich, das wird - nach den Aufregungen vom Vortag - eine eher ruhige Angelegenheit. Aber wieder gab es vier Sieger und vier Verlierer. Gelfand-Radjabov 1-0 war eine katalanische Hauptvariante. Gelfand gewann zunächst einen Bauern und dann, weil der Gegner vergeblich Kompensation/Gegenspiel suchte, noch mehr Material. Das Foto der Pressekonferenz baue ich auch ein, um Anastasia Kharlovich nicht völlig zu ignorieren:
Dominguez-Caruana 0-1 war symmetrisches Englisch: Weiss versuchte etwas am Damenflügel und wurde im Zentrum ausgekontert. Tomashevsky-Andreikin 1-0: Slawisch ist auch nicht immer besonders aufregend, hier gewann Tomashevsky - damit war nur noch Dominguez sieglos und sollte es bis zum Turnierende bleiben. Kasimdzhanov-Grischuk 0-1 war vielleicht als einzige Partie schon früh spannend/ungewöhnlich (5.-Sh6!?). Später entschied ein schwarzer Bauernsturm am Königsflügel, obwohl beide lang rochiert hatten. Bei Nakamura-Mamedyarov 1/2 (slawische Abtauschvariante) war, trotz einschlägigem Ruf beider Spieler, nicht allzu viel los. Im Gegensatz zu Karjakin-Svidler 1/2, auch hier ein Foto der Pressekonferenz:
Svidler hatte sich diese Eröffnungsvariante (spanischer Anti-Marshall) noch morgens auf seinem Computer angeschaut, konnte sich aber am Brett an nichts mehr erinnern. Wie soll sich ein Amateur Varianten aus Svidlers Eröffnungs-Videos merken, wenn der Autor selbst dazu nicht (immer) in der Lage ist?? Hohen Unterhaltungswert haben sie dennoch beide, Videos und Pressekonferenzen. Svidler improvisierte dann durchaus erfolgreich und bekam "eigentlich" vernichtenden Königsangriff, begnügte sich aber in Zeitnot mit Dauerschach. Sein Problem war nach eigener Aussage, dass er zuvor zu viele verlockende Möglichkeiten hatte. Nachdem 15 Minuten lang vor allem Svidler geredet hatte (auf Englisch und z.T. auch Russisch), wurde Karjakin gefragt, ob er was zu ergänzen hätte - "nein, Svidler hat alles gesagt!". Damit verpasste Svidler die Chance, zur Spitze aufzuschliessen.
Runde 11: Wie gesagt, insgesamt eher friedlich mit fünf Remisen kurz nach dem 30. Zug. Gelfand hatte mit Schwarz gegen Svidler keine Probleme in einem schnell verflachenden Najdorf-Sizilianer. Caruana drohte dagegen mit Weiss gegen Tomashevsky schlechter zu stehen - bzw. dies war der Fall, aber er zog rechtzeitig die Notbremse Remisangebot. Bei Mamedyarov-Kasimdzhanov opferte Schwarz eine Qualität, die bekam er zurück, übrig blieb ein total remises Turmendspiel. Andreikin-Karjakin und Radjabov-Nakamura: remis ohne allzu grosse Aufregungen.
Dann war da noch Grischuk-Dominguez 1-0, das der Sieger in der Pressekonferenz hinterher so zusammenfasste: "Ich spielte die Eröffnung (Najdorf mit 6.h3) furchtbar, Dominguez spielte hervorragend, aber dann hat er gepatzt". Also ein eher durchwachsener Sieg, aber immerhin der dritte hintereinander. Grischuk verriet auch, warum er zum Turnierende aufdrehen konnte: er hatte das Hotel gewechselt, im ersten Hotel hatte er ein Zimmer ohne Fenster und das gefiel ihm gar nicht.
Nun zunächst die Abschlusstabelle:
Pl. | Spieler | Land | Elo | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | Pkt. | Lstg. |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1. | Boris Gelfand | 2748 | * | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | ½ | 1 | 0 | ½ | 1 | ½ | 6,5 | 2817 | |
2. | Fabiano Caruana | 2844 | ½ | * | ½ | ½ | 0 | 1 | 1 | ½ | 1 | ½ | 0 | 1 | 6,5 | 2808 | |
3. | Evgeny Tomashevsky | 2701 | ½ | ½ | * | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | 6,0 | 2792 | |
4. | Hikaru Nakamura | 2764 | ½ | ½ | ½ | * | ½ | 0 | ½ | ½ | ½ | 1 | 1 | ½ | 6,0 | 2786 | |
5. | Alexander Grischuk | 2797 | 0 | 1 | ½ | ½ | * | ½ | ½ | 0 | ½ | 1 | ½ | 1 | 6,0 | 2783 | |
6. | Sergey Karjakin | 2767 | ½ | 0 | ½ | 1 | ½ | * | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | 6,0 | 2786 | |
7. | Peter Svidler | 2732 | ½ | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | * | ½ | 1 | ½ | ½ | 1 | 6,0 | 2789 | |
8. | Teimour Radjabov | 2726 | 0 | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | ½ | * | ½ | ½ | ½ | ½ | 5,5 | 2754 | |
9. | Shakhriyar Mamedyarov | 2764 | 1 | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | 0 | ½ | * | ½ | ½ | ½ | 5,0 | 2714 | |
10. | Rustam Kasimdzhanov | 2706 | ½ | ½ | ½ | 0 | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | * | 1 | ½ | 5,0 | 2720 | |
11. | Dmitry Andreikin | 2722 | 0 | 1 | 0 | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 0 | * | 1 | 4,5 | 2689 | |
12. | Leinier Dominguez Perez | 2751 | ½ | 0 | ½ | ½ | 0 | 0 | 0 | ½ | ½ | ½ | 0 | * | 3,0 | 2576 |
Nach neun Runden teilten sechs Spieler Platz eins, nun teilen sich fünf den dritten Platz. Das freut wohl Caruana und Gelfand - sie haben zwar nur einen halben Punkt Vorsprung in der Tabelle, aber satte 67 Punkte Vorsprung in der GP-Wertung. Für den geteilten Turniersieg gibt es 155 Punkte [(170+140)/2], für den dritten bis siebten Platz nur oder immerhin 88 Punkte. Gab es Vergleichbares schon einmal in der GP=Serie? Ja, einmal am Ende der ersten Serie in Astrakhan. Das war damals ein recht nervöses Turnier, da sich diverse Spieler noch für das Kandidatenturnier qualifizieren konnten und neben dem eigenen Ergebnis wohl auch die Konkurrenz im Auge behielten. Lachender Vierzehnter war Pavel Eljanov - als Ersatzmann mit dabei konnte er unbeschwert aufspielen und wurde alleiniger Sieger.
Zum Abschluss noch eine Reihe bunte Bilder:
Ob Grischuk fotogen ist, da kann man geteilter Meinung sein - jedenfalls ist er als Spieler und Persönlichkeit ein belebendes Element. Unrasiert (oder ist das bereits ein Bart?) war übrigens Mode im Turnier - so zeigten sich gelegentlich auch zumindest Nakamura, Radjabov und Karjakin (bei ihm ist es wirklich kein Bart). Wenn wir schon bei Grischuk sind, noch einmal die im Nachhinein turnierentscheidende Sekunde:
Wäre er hier eine Sekunde schneller gewesen, hätte er gegen Gelfand sicherlich remis gehalten und (bei identischen anderen Ergebnissen) statt Gelfand den ersten Platz mit Caruana geteilt! Allerdings hinterliess für mich insgesamt (nicht Caruana sondern) Gelfand den besten Gesamteindruck, mal abgesehen von dem einen rabenschwarzen Tag gegen Mamedyarov.
Dieses Foto - ein gutgelaunter Peter Svidler - stammt von Anastasia Kharlovich.
Und noch ein Gesamteindruck vom Turniersaal, mit im Hintergrund zahlreichen Zuschauern - naja, im Internet hatte das Turnier vermutlich mehr Zuschauer.
Damit haben sich Caruana und Gelfand für das nächste Kandidatenturnier qualifiziert, Gratulation! Nein - nach dem Grand Prix ist vor dem Grand Prix, in einer Woche geht es weiter in Taschkent, dazu demnächst ein eigener Vorbericht.
Thomas Richter
// Archiv: Nachrichten Thomas Richter // ID 18988
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