26. April 2014
Heute ist es soweit. Der Schachverein Berolina Mitte löst sein Versprechen ein, sich vom schwäbischen FIDE-Meister Marc Lang an 13 Brettern vorführen zu lassen. Und zwar gleichzeitig und dazu auch noch ohne Ansicht der Bretter.
Aber nur noch 13 Bretter? Altersdemenz im Frühstadium beim Blindsimultan-Weltrekordler, der noch vor zweieinhalb Jahren sich gar an 46 Spieltische setzte? Aber nicht doch! Trotz der ungleich niederen Anzahl an Gegnern, hätte das noch bis zum 3. November 2013 Weltrekord bedeutet. Damals besiegte Lang eine Auswahl der Schachgesellschaft Zürich mit 10½:2½ - im Blindsimultan-Schnellschach. Das möchte der Günzburger jetzt in Berlin wiederholen.
Daß irgendwann mal ein Wettkampf in der deutschen Hauptstadt für den Weltrekordmann kommen würde, hätten selbst Leute ohne hellseherische Fähigkeiten vorhersagen können. Daß ausgerechnet der SV Berolina Mitte der Gegner sein würde, aber eher nicht. Okay, der Verein hat seit den 1970er Jahren den Namen der Stadt fest in sich verankert (Berolina = neulateinisch für Berlin). Aber ansonsten ist die Schach-Berolina seit Jahrzehnten eher unauffällig im Spielbetrieb zugange. Selbst der im Januar nach 58 Jahren ununterbrochener Amtszeit ausgeschiedene Dauervorsitzende Werner Windmüller (83) kann sich nicht mehr an die großen Zeiten erinnern. Was vielleicht auch daran lag, das bei seinem Amtsbeginn 1955 der Klub bereits ausblutete und die besten Spieler an die neugegründeten Sportclubs verlor. Mit dem verbliebenen Rest ging es von der höchsten Spielklasse mit zwei DDR-Vizemeistertiteln ziemlich schnell abwärts bis in die Berliner Bezirksklasse. Fünfte Liga sozusagen. Das ist im vereinten Deutschland zwar immer noch so (eine Mannschaft in Liga vier, eine in fünf), aber bei deutlich mehr Konkurrenz.
Das alles erklärt natürlich noch nicht, wie ein Weltflair verkörpernder Marc Lang ausgerechnet auf diese alte unscheinbare Dame Berolina (im 19. Jahrhundert kam Kaiser Wilhelm I. auf die Idee eine weibliche Symbolfigur für einen an sich männlichen Stadtnamen zu nehmen) aufmerksam wurde. Dabei gab es bereits vor dem ersten Kontakt indirekte Verbindungen zu ihm:
Diese ganzen Fäden ins Schwabenländle reichten aber noch nicht aus, um daraus einen Wettkampf Berolina kontra Lang entstehen zu lassen. Die Lunte zum Brennen brachte Christoph Brumme, stellvertretender Vereinsvorsitzender, Weltenbummler und Schriftsteller. Er recherchierte für ein Schachbuch, welches im Herbst 2014 auf den Markt kommen soll und sich eher an Schachinteressierte als an Fachleute richtet. "111 Gründe, Schach zu spielen" ist der Titel des Werkes und bei der mitunter schwierigen Suche nach diesen Gründen, rückte auch Blindschach in den Fokus und mit ihm Marc Lang.
Nach der ersten Kontaktaufnahme mit dem Weltrekordler war die Idee eines Wettkampfes gegen Berolina schnell sehr konkret geworden. Und zwar so konkret, daß bereits ein Termin im Januar ausgemacht wurde. Das hieß allerdings auch, gerade mal drei Monate Zeit für die Vorbereitung zu haben, einen repräsentativen Spielort zu finden und Sponsoren aufzutreiben, die die Unkosten stemmen würden.
Eine Veranstaltung in dieser Größenordnung und in dieser kurzen Zeit auf die Beine zu stellen, erwies sich aber für das unerfahrene Vereinsteam als zu waghalsig. Der wegen des Winters unbeliebte Termin im Januar wurde fallengelassen und bei der Wahl der Location das eigene Spiellokal bevorzugt: das Schachcafe "en passant". Selbst die benötigten Gelder sollen komplett aus der Vereinskasse kommen.
Es geht also etwas gemütlicher mit etwas engeren Platzverhältnissen zu. Marc äußerte sich positiv, als gegen 17 Uhr am Freitag der Aufbau begann. Die Tische mit den 13 Brettern sind auf zwei Räume verteilt und miteinander verkabelt. Marc wird sich in den dritten Raum setzen und hat dort mit drei Laptops und einem Beamer viel Technik zu stehen.
Der Blick auf einen Teil der Bretter soll ihm vor Veranstaltungsbeginn weiter verbaut werden. In der gestrigen Generalprobe, die ohne Probleme verlief, durfte er noch alles sehen. Auch die Übertragung ins Internet klappte.
Eine aufregende Reise hatten die 14 DGT-Bretter (ein Ersatzbrett) hinter sich. Jedes ist rund fünf Kilo schwer und etwa 300-400 Euro teuer. Schon ziemlich mutig, so einen Schatz per Post auf die Reise von Günzburg nach Berlin zu schicken. Zumal der Paketfahrer in Berlin die drei riesigen Kartons einfach bei Christoph in das Treppenhaus stellte. Ohne sich die Mühe zu machen, die Dinger bis in die dritte Etage zu schleppen. Ein Wunder das die Ware noch im Hausflur stand, als Christoph nach Hause kam. Er ging daran erst achtlos vorbei, im Glauben jemand hätte seine Umzugskartons dort stehengelassen.
Bis auf zwei kleine "Lackschäden" blieben die Bretter nahezu unverletzt und funktionierten tadellos. Jedenfalls die ersten drei, vier Züge. Dann wurde das Probespiel mit den 13 Gegnern, die sich teilweise durch Komparsen vertreten ließen, abgebrochen.
An die Bretter sollen sich heute folgende Spieler setzen:
Nr. | Name | Alter | DWZ | Platz | Mannschaft |
---|---|---|---|---|---|
1 | Werner Windmüller | 83 | 1541 | 57 | 506 |
2 | Mario Tops | 48 | 1225 | 67 | 610 |
3 | Roland Sternberg | 51 | 1332 | 65 | 605 |
4 | Steven Beetz | 31 | 1782 | 36 | 407 |
5 | Gerd Schönfeld | 65 | 1889 | 16 | 310 |
6 | Frank Hoppe | 49 | 1964 | 12 | 202 |
7 | Peter Müller | 40 | 1921 | 15 | 108 |
8 | Thomas Müller | 44 | 1754 | 40 | 504 |
9 | Gerd Wolff | 54 | 1384 | 63 | 604 |
10 | Ayush Batzaya | 54 | 1848 | 23 | 203 |
11 | Venelin Dimitrov | 21 | 1580 | 53 | 612 |
12 | Martin Petruschke | 33 | 1546 | 56 | 512 |
13 | Volker Schmidt | 59 | 1766 | 38 | 309 |
Platz = Plazierung in der DWZ-Vereinsrangliste
Mannschaft = Mannschaftsnummer und Brett in der Saison 2013/14
Die Liste der Spieler änderte sich in den letzten Wochen mehrfach. Und wir hatten sogar Probleme überhaupt auf 13 Spieler bei 69 Mitgliedern zu kommen. Allerdings kamen Spieler aus der Top-10 nicht als Gegner in Frage. Und zudem sind ein halbes Dutzend Spieler bei der Berliner Einzelmeisterschaft beschäftigt, die zeitgleich stattfindet. Ziemlich viel Probleme also. Dabei wollte Marc möglichst frühzeitig eine Teilnehmerliste haben, um sich vorbereiten zu können.
Beim gemütlichen Beisammensein am Abend an einem Tisch vor dem Café, befragte unsere Vereinsvorsitzende Katja Sommaro den Weltrekordler nach seinem Wunschergebnis: Gegen die vier Besten möchte er ein 2:2 erreichen. Namen wollte er keine nennen. Aber wahrscheinlich meinte er damit auch mich. Vier Remis werden das wohl nicht sein. Weil ich gewinne, muß demzufolge einer verlieren...
Gegen die anderen neun Spieler will er sieben Punkte machen.
Jeder der 13 Spieler bekommt 20 Minuten Bedenkzeit plus fünf Sekunden je Zug. Marc erhält 13 mal 20 Minuten plus 10 Sekunden je Zug. Das ist also so, als würde er die Partien nacheinander statt gleichzeitig spielen. Dementsprechend zieht sich der Wettkampf in die Länge. Fünf bis sechs Stunden werden es ingesamt schon sein. Und wohl zweimal will er die Partien unterbrechen. Nicht um Pause zu machen, sondern um sich beim Blindskat, bei einer Blindspringerwanderung über 24x24 Felder und bei einem Partienquiz "zu entspannen". Das mit dem Skat und dem Quiz habe ich ja noch verstanden. Die Springerwanderung inklusive irgendwelcher magischer Quadrate hat aber nicht nur mich überfordert.
Die Dokumentation solcher Veranstaltungen ist natürlich immer besonders wichtig. Ein von Marc engagierter Filmemacher ist leider mehr oder weniger abgesprungen. Dieses Vorhaben soll nur zum Teil umgesetzt werden.
Dafür konnte ich einen anderen Filmemacher für den Auftritt des Weltrekordmannes begeistern. Dennis Siebold warb im Januar auf schachbund.de für sein Schachfilmprojekt "Zerstörung von Zeit". Da Siebold gleich um die Ecke wohnt, schaute er am Freitag schon mal rein. Heute bringt er dann seine Kamera mit.
Zusätzlich versuche ich natürlch so viel wie möglich in Bild und Ton für die Nachwelt festzuhalten. Da ist mein Einsatz am Brett aber eher hinderlich. Vielleicht kann ich ja kurzen Prozeß machen und bin schnell fertig. Hoffe ich jedenfalls.
Offizieller Beginn ist um 13 Uhr. Der Präsident des Berliner Schachverbandes, Carsten Schmidt, wird bei der Eröffnung unseren langjährigen Vorsitzenden Werner Windmüller ehren. Nach einigen technischen Instruktionen werden die Uhren an den Brettern in Gang gesetzt. Alle Partien werden im Internet übertragen!
Schiedsrichter bzw. verantwortliche Zugübermittler sind Olaf Kreuchauf, Jens Rennspieß und Roland Exner. Im vorderen Bereich des Cafés werden die Partien auf einer Leinwand übertragen und u.a. von Katja Sommaro und IM Julian Urban kommentiert.
Während Papa Lang sich den Kopf stundenlang mit Zügen vollstopft, wird (der schachuninteressierte) Sohn Lang übrigens von uns anderweitig bespaßt: mit dem Besuch vom Fernsehturm und Legoland am Potsdamer Platz.
Mehr Informationen zur Veranstaltung
Artikel bei der Schach-Welt
Frank Hoppe
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 9720