26. Mai 2015
Das Turnier in Khanty-Mansiysk und damit die gesamte Grand Prix Serie ist vorbei. War es bis zum Schluss spannend? Nicht ganz - in der letzten Runde brauchten die beiden im Titel erwähnten Spieler noch ein Remis, und das erreichten beide ziemlich problemlos. War es knapp? Den nackten Zahlen nach (Endstand in der GP-Gesamtwertung) nicht, aber bei den Brettpunkten zählte jeder halbe Punkt, und vor allem zwei Russen werden einigen verpassten Chancen nachtrauern - gemeint sind nicht die nach Elo favorisierten Grischuk und Karjakin, sondern Tomashevsky und Jakovenko. Der Abschlussbericht wird auch ein Rückblick auf alle 11 Runden in Khanty-Mansiysk sowie die gesamte Serie bestehend aus vier Turnieren, aber zunächst bespreche ich die letzten 4 Runden - also was seit dem vorigen Bericht geschah.
Davor der Endstand im Turnier: Caruana, Nakamura, Jakovenko 6.5/11, Gelfand und Dominguez 6, Grischuk, Giri, Karjakin, Svidler 5.5, Tomashevsky 5, Jobava 4, Vachier-Lagrave 3.5. Wichtiger der Endstand in der GP-Gesamtwertung: Caruana 370, Nakamura 347, Jakovenko 310 usw. - da vor allem das zählt, erhalten Caruana und Nakamura zusammen das Titelfoto, Jakovenko kommt später.
Mindestens ein Leser wunderte sich, warum mein zweiter Zwischenbericht nicht wie üblich zum Ruhetag erschien, sondern einen Tag früher. Das lag daran, dass mehrere Quellen (chess24, chess.com und Europe Echecs) davon ausgingen, dass Freitag - nach der siebten Runde - Ruhetag sei. Die Spieler waren richtig informiert und erschienen pünktlich im Turniersaal - im Nachhinein wären einige vielleicht lieber im Bett geblieben. Das gilt nicht für Nakamura: Er hätte dann einen Tag verschlafen, an dem für ihn alles nach Wunsch lief. Oder fast alles, je nachdem was in den drei verbleibenden Runden nach dem tatsächlichen Ruhetag noch passieren sollte. Beginnen wir mit seiner eigenen Partie: Jobava-Nakamura 0-1 - das betont Nakamura-freundliche chess.com nannte es "eine der faszinierendsten Partien dieses Jahres". Was für 'FM hellokostya' (Vertretung für Peter Doggers, der in Maastricht ein Turnier spielte) sooo faszinierend war, ist etwas unklar: dass Weiss aus der Eröffnung heraus klar schlechter stand, oder dass Schwarz dann fast seinen gesamten Vorteil vergab, oder dass Jobava später zum (für Nakamura) guten Ende in ein für ihn (Jobava) theoretisch verlorenes Turmendspiel abwickelte? Eher ist klar, warum chess.com über Nakamura sehr positiv berichtet [Foto durch darauf klicken vergrössern]:
Noch einmal von vorne: Jobava spielte "sein" krummes 1.d4 Sf6 2.Sc3 d5 3.Lf4 nebst f3, g4, h4 und g5. Das ging vielleicht noch, auch das Bauernopfer 11.g6?! sowie - bereits aus der Not geboren - 16.Ke2 ging noch einigermassen. Dann liess er zu, dass der Damenflügel geöffnet wurde und die schwarzen Figuren da eindrangen sowie auf dem gesamten Brett dominierten. Danach war Jobava trickreich, und Nakamura wurde nachlässig. Trotz zweier weisser Mehrbauern hatte Schwarz plötzlich Remischancen, bis er - wie bereits erwähnt - in ein verlorenes Turmendspiel abwickelte.
Was "spektakulär" betrifft, hatte diese Partie in ein und derselben Runde Konkurrenz von Grischuk-Karjakin 1-0: Ebenfalls eine wilde Stellung, hier fanden beide lange nicht unbedingt die besten Züge, aber es war ein Duell auf Augenhöhe. Gespielt wurde die Anti-Moskau Variante im halbslawischen Damengambit - in letzter Zeit auf allerhöchstem Niveau etwas aus der Mode gekommen. Das WM-Turnier 2007 in Mexiko war fast ein Thematurnier zu diesem Komplex, später gab es dazu 2010 noch ein Schnellschach-Match Gelfand-Leko. Grischuk spielte das recht seltene 10.e5, auch in ausgiebig diskutierten Varianten gibt es noch relatives Neuland (einige Vorläufer gibt es noch, u.a. Nakamura-Gustafsson 0-1, österreichische Liga 2009). 11.-Sxc3 (gängiger 11.-Sd7) war "fast" neu, und danach investierten beide viel Bedenkzeit. Genau wie bei Jobava-Nakamura patzte am Ende der Verlierer: 39.-Sf7?? (mit immerhin noch drei Minuten auf der Uhr) 40.Dg8 1-0. Gut für Nakamura, da Karjakin ein Konkurrent in der GP-Wertung war.
Diese hochinteressante Pressekonferenz habe ich mir angehört, werde sie aber nicht zusammenfassen - zu viel geschah insgesamt im Turnier! Der Leser findet alle Pressekonferenzen hier auf der Turnierseite.
Caruana-Jakovenko 0-1(!) war dagegen ein gemischtes Ergebnis für Nakamura. Zwar stiegen damit seine Chancen auf den (geteilten) Turniersieg in Khanty-Mansiysk, aber Jakovenko war nun wieder im Rennen um Platz zwei in der GP-Gesamtwertung. Caruana hatte zunächst einen nicht unbedingt kerngesunden Mehrbauern - unklar ob er wirklich gewinnträchtig war. Dann patzte er kurz vor der Zeitkontrolle mit 36.Db3? - nach 36.-c4! war nicht nur der Mehrbauer weg, plötzlich stand er glatt auf Verlust!
Gelfand-Svidler 1-0 verlief nicht nach Wunsch für Nakamura - danach hatte auch Gelfand, der zuvor siebenmal remisierte (und davor bei der Mannschafts-WM neunmal in Serie) wieder gewisse Chancen in der GP-Gesamtwertung. Svidler spielte Grünfeld (na klar) und folgte seiner Vorbereitung - auch OK bis auf ein kleines Detail: in seinen Notizen stand zu dieser Variante "Weiss gewinnt"!? Gelfand spielte dann ein bisschen ungenau, Svidler hatte Remischancen und verlor dann doch im Endspiel. Für meinen Geschmack hat er recht früh aufgegeben, aber das tut er mitunter.
Da hatte Svidler noch gut lachen .... . Tomashevsky-Dominguez 1/2 - Remispartien kann man doch ignorieren? Diese nicht, Tomashevsky mühte sich lange und versuchte alles, um einen Mehrbauern zu verwerten. Später hatte er zwei Mehrbauern bei ungleichfarbigen Läufern. Dann hatte er gar drei verbundene Freibauern - allerdings opferte er dafür seinen Läufer und das war wohl nur der allerletzte eher symbolische Gewinnversuch. Nach 101 Zügen war es remis. Tomashevsky haderte mit seinem Schicksal - er war davon überzeugt, dass er irgendwo den Gewinn verpasst hatte.
Vachier-Lagrave - Giri 1/2 erwähne ich, ohne es fett zu drucken. MVL wollte vor allem die fünfte Niederlage nacheinander vermeiden, Giri (der auch kein allzu gutes Turnier hat) prüfte ihn nicht wirklich.
Viermal Remis und zwei Entscheidungen, aber ich ordne es zwei-zwei-zwei: Nakamura-Grischuk war ein korrektes Remis, 7.Da4+ ist nicht unbedingt die aussichtsreichste Variante gegen Grünfeld - aber Nakamura konnte seine Turniersituation konsolidieren. Dominguez-MVL wurde auch remis, wobei der Franzose nun (Najdorf) wieder Mut zum Risiko hatte, oder kann er sonst nichts gegen 1.e4 ? In unklarer Stellung wurden die Züge wiederholt: MVL hatte nichts Besseres (aber remis mit Schwarz ist ja OK), Dominguez fand trotz langem Nachdenken nichts Besseres bzw. wollte nicht allzu viel riskieren. Er war zwar nicht im Rennen um die vorderen Plätze in der GP-Gesamtwertung, aber durchaus zu diesem Zeitpunkt ein Kandidat für den Turniersieg in Khanty-Mansiysk.
Giri-Jobava 1-0 - nicht fett gedruckt da es sowohl für dieses Turnier als auch für die GP-Gesamtwertung recht irrelevant war. Jobava erlitt Schiffbruch. Svidler-Tomashevsky 0-1 - Tomashevsky war (je nach weiterem Turnierverlauf) eventuell immer noch oder wieder im Rennen um die Qualifikationsplätze. Auf das Brett kam eine spanische Variante, die beide recht gut kennen: meine Datenbank hat dazu unter anderem dreimal Svidler-Tomashevsky (russische Meisterschaft 2006 und 2008 sowie Baku Grand Prix 2014). In Runde 7 hatten beide Schwarz und verloren in spanischen Varianten, nun war klar, dass mindestens einer nicht verlieren würde. Tomashevsky drang am Damenflügel ein, im 39. Zug verpasste er das noch bessere 39.-Tbb2 ("die Drohung ist stärker als die Ausführung"), aber auch so gab Svidler drei Züge später auf - vielleicht wieder etwas früh.
Jakovenko-Gelfand 1/2: Gelfand folgte seiner Vorbereitung im Najdorf-Sizilianer, die Züge wurden wiederholt und die Partie endete remis. Stimmt alles, ist aber noch nicht die ganze Geschichte. Die Züge wurden nur zweimal wiederholt, dann wollte Gelfand doch weiterspielen. Dabei hatte er die weisse Antwort übersehen, nach der er erwog, sofort aufzugeben. Er spielte aber immer noch weiter, und produzierte am Ende ein kleines Wunder - das ist die Schlusstellung:
PATT !!!!! Dieser halbe Punkt fehlte Jakovenko am Ende, sonst wäre er (wenn die nächsten beiden Runden identisch verlaufen) im Kandidatenturnier.
Karjakin-Caruana 1/2 war zum Schluss ebenfalls Patt, allerdings nicht so spektakulär. Karjakin spielte eine Variante mit frühem Damentausch, in der eigentlich nur Weiss ein bisschen auf Gewinn spielen kann. Dann misshandelte er die Stellung, und Schwarz hatte Gewinnchancen. Irgendwann reklamierte Karjakin im Läuferendspiel Remis durch dreimalige Zugwiederholung. Der zweite Schiedsrichter gab ihm recht, die Partieformulare wurden unterschrieben ... und dann wurde weitergespielt, da der Schiedsrichter zwischenzeitlich seinen Irrtum erkannte. Es lag an Karjakins Handschrift auf dem Partieformular und dem kleinen aber relevanten Unterschied zwischen -Kc6 und -Ke6. Caruana erreichte später ein gewonnenes Damenendspiel, das er sofort zum Remis verdarb. Die Damen wurden getauscht und das Bauernendspiel noch geübt (Schlusstellung: Weiss Kd1, Schwarz Kd3 und Bauer auf d2).
Da fasse ich mich zu einigen Remispartien recht kurz. Gelfand-Tomashevsky und Vachier-Lagrave - Svidler wurde recht geräuschlos Remis. Caruana-Nakamura wurde ebenfalls remis. Einige lobten Nakamura für seine Eröffnungswahl: sizilianische Drachenvariante, obwohl er in der gegebenen Turniersituation nur ein Remis brauchte. Das war vielleicht höhere Psychologie: wenn er z.B. die Berliner Mauer gespielt hätte, dann könnte Caruana relativ bequem "auf zwei Resultate" spielen. In einer scharfen Variante muss Weiss dafür etwas riskieren, dabei reichte auch ihm ein Remis - daher war Nakamuras Eröffnungswahl durchaus (psycho)logisch und nicht unbedingt extrem mutig und riskant!? Zumal er Caruana damit überraschte. Grischuk-Giri war komplex und endete plötzlich remis, da Weiss dieses nach 34 Zügen anbot (seine Bedenkzeit war, wie üblich, knapp) und Schwarz einverstanden war.
Jobava-Dominguez 1-0. Nun hatte auch Jobava sein Erfolgserlebnis, dank freundlicher gegnerischer Hilfe (22.-La5?). Und Dominguez' Chancen auf den (geteilten) Turniersieg erhielten einen Dämpfer.
Jakovenko-Karjakin 1-0: Weiss gewann die Dame für Turm und Leichtfigur, hatte Schwarz danach eine Festung oder nicht? In der Partie gewann Weiss. Spätestens nun war übrigens klar, dass die Russen im Turnier keinesfalls zusammenarbeiteten, es war jeder für sich: Karjakin-Tomashevsky 1-0 in Runde 5 half Karjakin und schadete Tomashevsky. Grischuk-Karjakin 1-0 in Runde 8 war im Sinne von "ein Russe im Kandidatenturnier" das falsche Ergebnis. Svidler-Tomashevsky 0-1 tags darauf "passte" zwar, aber ich will Svidler keine Absicht unterstellen. Nun verfolgte Jakovenko eigene Interessen - er konnte sich nun noch aus eigener Kraft für das Kandidatenturnier qualifizieren. Bevor ich erkläre, welches Ergebnis er in der letzten Runde gegen wen brauchte, wird er zunächst 'fotografiert':
Die Ausgangssituation war klar: Caruana und Nakamura reichte jeweils ein Remis, Jakovenko musste gewinnen - und zwar mit Schwarz gegen Nakamura. Hier ein Foto vor der Partie:
Beide schüttelten danach noch die Hände mit dem Herrn im Hintergrund, der eigens angereiste FIDE-Präsident Kirsan Ilyumzhinov. Nakamura war dem Anlass entsprechend vergleichsweise gut gekleidet, nur sein Rasierapparat ist wieder kaputt. Die anschliessende Partie war nicht allzu aufregend: Nakamura wollte Remis und bekam Remis. Dito für Caruana mit Schwarz gegen Giri, und auch bei Karjakin-Gelfand und Dominguez-Grischuk geschah nicht allzu viel bevor die Spieler sich friedlich einigten bzw. im zweiten Fall ein Dauerschach auf dem Brett stand.
Generell "hasse" ich es, wenn Partien endlos dauern während ich meinen Bericht schreiben muss. Heute konnte ich bereits beginnen, da die verbleibenden Partien recht unwichtig waren. Svidler gegen Jobava und Tomashevsky gegen Vachier-Lagrave wollten jeweils einen Mehrbauern verwerten - Svidler gewann, Tomashevsky am Ende nicht. Das ist der Vollständigkeit halber erwähnt.
Noch ein Blick auf die Bühne in Khanty-Mansiysk, dann die nackten Daten zu diesem Turnier und zur GP-Serie insgesamt, dann die versprochene knappe Zusammenfassung aller vier Turniere:
Pl. | Spieler | Land | Elo | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | Punkte | TPR |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1. | Dmitry Jakovenko | 2738 | * | 1 | ½ | 0 | ½ | ½ | 0 | 1 | 1 | ½ | ½ | 1 | 6,5 | 2821 | |
2. | Fabiano Caruana | 2803 | 0 | * | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | 1 | 6,5 | 2815 | |
3. | Hikaru Nakamura | 2799 | ½ | ½ | * | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | 1 | 6,5 | 2816 | |
4. | Leinier Dominguez Perez | 2734 | 1 | ½ | ½ | * | ½ | ½ | 1 | ½ | ½ | ½ | 0 | ½ | 6,0 | 2793 | |
5. | Boris Gelfand | 2744 | ½ | ½ | ½ | ½ | * | ½ | 1 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 6,0 | 2792 | |
6. | Alexander Grischuk | 2780 | ½ | 0 | ½ | ½ | ½ | * | ½ | ½ | 1 | ½ | ½ | ½ | 5,5 | 2753 | |
7. | Peter Svidler | 2734 | 1 | ½ | ½ | 0 | 0 | ½ | * | 1 | ½ | 0 | 1 | ½ | 5,5 | 2757 | |
8. | Anish Giri | 2776 | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 0 | * | ½ | 1 | 1 | ½ | 5,5 | 2753 | |
9. | Sergey Karjakin | 2753 | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | 0 | ½ | ½ | * | 1 | ½ | 1 | 5,5 | 2755 | |
10. | Evgeny Tomashevsky | 2749 | ½ | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | 0 | 0 | * | 1 | ½ | 5,0 | 2719 | |
11. | Baadur Jobava | 2699 | ½ | ½ | 0 | 1 | ½ | ½ | 0 | 0 | ½ | 0 | * | ½ | 4,0 | 2658 | |
12. | Maxime Vachier-Lagrave | 2754 | 0 | 0 | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 0 | ½ | ½ | * | 3,5 | 2622 |
Spieler | Land | Elo | Baku | Tasch | Tifl | KhMa | Endstand | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1 | Fabiano Caruana | 2803 | 155 | 75 | 140 | 370 | ||
2 | Hikaru Nakamura | 2799 | 82 | 125 | 140 | 347 | ||
3 | Dmitry Jakovenko | 2738 | 30 | 140 | 140 | 310 | ||
4 | Evgeny Tomashevsky | 2749 | 82 | 170 | 30 | 282 | ||
5 | Boris Gelfand | 2744 | 155 | 15 | 85 | 255 | ||
6 | Shakhriyar Mamedyarov | 2735 | 35 | 125 | 75 | 235 | ||
7 | Sergey Karjakin | 2753 | 82 | 75 | 55 | 212 | ||
8 | Teimour Radjabov | 2738 | 50 | 50 | 110 | 210 | ||
9 | Dmitry Andreikin | 2723 | 20 | 170 | 10 | 200 | ||
10 | Alexander Grischuk | 2810 | 82 | 40 | 55 | 177 | ||
11 | Leinier Dominguez | 2734 | 10 | 75 | 85 | 170 | ||
12 | Anish Giri | 2776 | 40 | 75 | 55 | 170 | ||
13 | Peter Svidler | 2734 | 82 | 20 | 55 | 157 | ||
14 | Baadur Jobava | 2699 | 75 | 40 | 20 | 135 | ||
15 | Rustam Kasimdzhanov | 2715 | 35 | 15 | 75 | 125 | ||
16 | Maxime Vachier-Lagrave | 2754 | 75 | 40 | 10 | 125 |
Vor dem Turnier in Khanty Mansiysk lautete die Reihenfolge in der GP-Gesamtwertung Tomashevsky, Caruana, Nakamura, Gelfand und Jakovenko, Karjakin usw. - diese sechs Spieler hatten noch einigermassen realistische Chancen auf die beiden ersten Plätze nach dem Turnier. Diese sechs Spieler hatten lange alle auch während dem Turnier noch mehr als rein theoretische Chancen. Caruana und Nakamura haben es am Ende geschafft, zu ihnen (und anderen) komme ich gleich beim kurzen Rückblick auf alle vier Turniere. Jakovenko fehlte ein halber Brettpunkt - den konnte er kaum in der letzten Runde gegen Nakamura erzielen, aber durchaus zuvor gegen Gelfand. Bei Tomashevsky fehlte jede Menge - klar gewonnen stand er gegen Grischuk, vielleicht "unklar gewonnen" gegen Jakovenko und Dominguez, und gegen Karjakin "musste" er nicht unbedingt verlieren. Aber damit "korrigiere" ich sein Ergebnis extrem. Karjakin hatte nach sechs Runden plus zwei und war im Rennen - in der zweiten Turnierhälfte musste er nur noch einmal gewinnen und keine Partie verlieren, leichter gesagt als getan!? Gelfand gewann nur eine Partie, das ist zu wenig.
Nun zur GP-Serie insgesamt, ich habe alle meine Berichte nochmals überflogen, ebenso chessgames.com zu den Turnieren in Baku, Taschkent, Tiflis und Khanty-Mansiysk. Meine gewagte These: vorne lagen am Ende einer, der attraktives und einer, der opportunistisches Schach spielte. Entgegen dem einschlägigen Ruf der beiden Sieger bot Caruana durchweg attraktives Schach, bei seinen insgesamt neun Gewinnpartien war alles vertreten: Kontersiege, saubere positionelle Leistungen, ein wildes Duell gegen Svidler in Baku. Er konnte es verkraften, dass er auch insgesamt vier Partien verlor. Nakamura tat dagegen insgesamt nicht mehr als nötig: In Baku ein schöner holländischer Sieg gegen Andreikin, und gegen Kasimdzhanov profitierte er von einem groben gegnerischen Fehler. In Taschkent ein Sieg gegen Jobava, der an diesem Tag wirklich Schrott spielte, und ein Arbeitssieg gegen Gelfand. Nun in Khanty-Mansiysk bezwang er Vachier-Lagrave, nachdem drei seiner Konkurrenten in der Gesamtwertung (nacheinander Caruana, Jakovenko und Karjakin) den Franzosen zermürbt hatten, und wiederum Jobava. Entscheidend am Ende vielleicht, dass er mit Jobavas Art, Schach zu spielen, besser zurecht kam als andere - schliesslich hat er selbst Wurzeln als Haudrauf-Spieler und 'streetfighter', spielt viel im Internet (wo man oft obskure Varianten vorgesetzt bekommt) und mag auch Chess960. Etwas überraschend und wichtig, dass er nur eine Partie verlor - in Baku gegen Karjakin, da wollte er wie Jobava spielen und der Schuss ging nach hinten los.
Kurz zu anderen Favoriten zu Beginn der Serie: Karjakin zeigte mehrfach saubere positionelle Leistungen, war aber anfällig in unkonventionellen Stellungen: Niederlagen gegen Andreikin, Jobava und zuletzt Grischuk. Grischuk - ich plädiere auf meine Zeitnot und sage nur, dass seine Zeitnot öfters fatale Folgen hatte. Giri und Vachier-Lagrave hatte ich im ersten Vorbericht im engeren Favoritenkreis, da habe ich mich geirrt bzw. sie konnten meine (und ihre eigenen?) Erwartungen nicht oder kaum erfüllen - MVL immerhin in den ersten Runden in Taschkent, dann aber ganz und gar nicht in Khanty-Mansiysk. Giri zeigte dagegen steigende Tendenz: in Taschkent gewann er keine Partie, in Tiflis eine und nun in Khanty-Mansiysk zwei. Am Ende viel zu wenig, jedenfalls wenn man auch insgesamt viermal verliert.
Noch ein kurzer Blick auf Elozahlen: Der Weltranglistenerste Carlsen ist auch Weltmeister, im Kandidatenturnier spielen nun (Caruana, Anand und Nakamura) die top-aktuelle Nummer zwei bis vier. Die grössten Sprünge machten, in beide Richtungen, zwei andere Spieler: Jakovenko gewann (4,5/6 in der russischen Mannschaftsmeisterschaft inbegriffen) satte 21 Elopunkte und verbesserte sich hier von Platz 20 auf Platz 11. Zur top10 klafft noch eine Lücke, aber Russland-intern hat er Karjakin überholt. Vachier-Lagrave verlor dagegen (italienische Mannschaftsmeisterschaft inbegriffen) satte 31 Punkte und stürzte von Platz 12 auf Platz 29. Laut Emil Sutovsky womöglich der extremste Absturz eines (ca.) top10-Spielers jemals, aber MVL hat durchaus Konkurrenz von mindestens Radjabov, Leko und Morozevich. Die kamen alle nicht mehr zurück, schafft MVL ein Comeback? Davon gehe ich aus und ihm würde ich es gönnen - sein Problem ist vielleicht, dass er lange kaum Einladungen bekam und nun plötzlich (zu) viele.
Dabei belasse ich es für heute. Im WM-Zyklus geht es weiter mit dem Weltcup im September in Baku, aber das Rennen um die beiden Eloplätze für das Kandidatenturnier geht bereits in drei Wochen mit Norway Chess weiter - Nakamura und Caruana haben da Platz gemacht für andere.
Thomas Richter
// Archiv: Nachrichten Thomas Richter // ID 19809
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