21. Mai 2015
Ganz sicher ist es noch nicht, aber vieles deutet darauf hin, dass nur noch Platz zwei hart umkämpft ist - jedenfalls was die GP-Gesamtwertung betrifft. Da ich Caruana bereits im ersten Bericht hatte, müsste ich mich beim heutigen Titelfoto zwischen zwei Spielern entscheiden, die diesbezüglich in Runde 5-7 die meisten Fortschritte machten. Da ich mich nicht entscheiden kann, zeige ich stattdessen den Einmarsch der Protagonisten vor Runde 6. Das Bild [darauf klicken um es zu vergrössern] passt nur teilweise zur Turniersituation: Es entstand gestern in Khanty-Mansiysk, nicht vor einigen Monaten in Baku - daher liegt Gelfand nur auf diesem Bild auf Platz eins. Svidler war allerdings tatsächlich vor und auch nach der sechsten Runde (geteilt) Zweiter. Caruana wirkt, seinem Naturell entsprechend, gleichzeitig entschlossen und zurückhaltend. Giris Überholmanöver auf der linken Spur wirkt nicht überzeugend - tatsächlich muss er aufpassen, dass er keine nassen Füsse bekommt (schlechtes Omen für diese Runde). Nakamura wirkt auch entschlossen, liegt aber zu diesem Zeitpunkt nur im Mittelfeld. Einiges darf der Leser mich nicht fragen: Welche zwei Personen verstecken sich hinter Svidler? Wer läuft direkt neben Nakamura? Ist das ganz hinten etwa Vachier-Lagrave, was zur Turniersituation passen würde?
Andererseits passt das Bild zum bisherigen Turniergeschehen. In der GP-Serie werden insgesamt 44 Runden gespielt. Auch wenn alle Teilnehmer in Khanty zuvor nur 22 davon mitgespielt hatten, erinnern die letzten 11 Runden an die Schlussphase eines Marathonrennens: Einige versuchten einen kleinen Zwischenspurt, während anderen die Puste ausgeht. Zwischenspurts gab es - was die bisherigen sieben Runden betrifft - zuerst von Jakovenko und Tomashevsky, dann kam Caruana, dann Karjakin und zuletzt Nakamura. Wem die Puste ausging - so steht es momentan im Turnier: Caruana 5/7, Karjakin und Dominguez 4.5, Nakamura und Svidler 4, Gelfand und Jakovenko 3.5, Grischuk, Giri und Jobava 3, Tomashevsky 2.5, Vachier-Lagrave 1.5. Mindestens genauso wichtig ist der Stand in der GP-Gesamtwertung, aber da muss sich der Leser noch etwas gedulden.
Vor Runde 6 kam natürlich
Diese Runde habe ich live weitgehend verpasst. Als ich gegen 17:00 erstmals vorbeischaute, lief nur noch eine Partie, aber das wurde dann ein Marathon innerhalb des Marathons. Was war zuvor geschehen? Grischuk-Gelfand und Giri-Dominguez wurde remis, mehr schreibe ich dazu nicht. Nakamura-Svidler wurde, pünktlich nach 30 Zügen, auch remis, verdient aber etwas mehr Text. Svidler spielte "natürlich" Grünfeld-Indisch worauf Nakamura (4.Sf3 Lg7) 5.h4!? entkorkte - das war 2013 populär, zumindest wenn Mamedyarov oder auch Morozevich Weiss hatten, zuletzt nicht mehr. Svidler hatte in seiner Videoserie eine Empfehlung für Schwarz, die er heute nicht spielte. Einerseits plausibel, da Nakamura diese Videoserie kennt, andererseits landete er in einer sehr schlechten Stellung - aber diese überlebte er und stand am Ende eher besser, erinnerte sich jedoch an seinen (inzwischen nicht mehr unbedingt berechtigten) Ruf und akzeptierte Nakamuras Remisangebot.
Das Foto entstand wohl nach der Partie, leider fehlt zu diesem (wie auch zu anderen) Fotos der Ton. Und ich kam auch nicht dazu, mir diese oder andere Pressekonferenzen anzuhören.
Caruana-Jobava 1/2: Caro-Kann, heute ohne bizarre Neuerung denn 5.-f6!??! gab es bereits einmal auf hohem Niveau: Vachier-Lagrave - Jobava aus Runde 2, auch Jobava kann sich nicht immer etwas komplett Neues einfallen lassen. Wieder wurde es eine turbulente Partie, die allerdings diesmal auch für strenge Engines immer etwa ausgeglichen blieb.
Jakovenko - Vachier-Lagrave 1-0: Der Franzose übersah einen Zwischenzug, der Schwarz einen Bauern und mehr oder weniger bereits die Partie kostete. Dass er kurz danach mit Qualitätsopfer im Trüben fischte, half auch nicht mehr. Vor der Partie hatte MVL noch gute Laune trotz nasser Haare:
Karjakin-Tomashevsky 1-0 stand unter dem Motto Läufer- gegen Springerpaar plus jeweils noch ein Turmpaar. Pünktlich zur Zeitkontrolle spielte Karjakin Kg2, im 40. und dann nochmals im 60. Zug. Dazwischen geschah wenig, mal abgesehen vom weissen Königsmanöver Kg2-f3-e2-d1-c2-b3-a2-b1-c1-d1-e2-f3 und nun, wie bereits erwähnt, 60.Kg2. Danach geschah auch zunächst wenig, bis Weiss ab dem 70. Zug die Stellung öffnen konnte, dann gewann das Läuferpaar, gespielt wurden insgesamt 99 Züge.
Ab hier lohnt es sich (vielleicht), den Stand in der "GP-Livewertung" zu nennen, nach Runde 5 stand es so: Caruana 400, Tomashevsky 282, Nakamura 272, Karjakin 270, (Gelfand und Jakovenko 235), usw. . Gut für Nakamura, dass Tomashevsky verlor. Schlecht für Nakamura, dass Karjakin gewann und damit im Rennen um die beiden ersten Plätze der Gesamtwertung ist.
begann scheinbar ruhig und wurde dann turbulent, Marathons inbegriffen. Am ruhigsten und als erstes beendet war die Schlüsselpartie Tomashevsky-Nakamura. Diese begann mit 1.d4 Sf6 2.c4 e6!? (heute kein Königsindisch mit h3). Stattdessen wurde es Katalanisch - die Meinungen gehen auseinander, ob und wieviel besser Weiss zwischendurch stand, Remis nach 30 Zügen. Jobava-Jakovenko begann mit 1.b3!? e5 2.Lb2 Sc6 3.e3 Sf6 (soweit bekannt, vor allem aus Jobava-Partien) und nun 4.h3!? mit der Idee lange Rochade und g4. So kam es dann auch, wobei Engines nicht an dieses Jobava-Konzept glauben. Weiss musste dann die Damen tauschen, das Endspiel war wohl "dynamisch ausgeglichen" und endete remis.
Gelfand-Dominguez endete auch Remis, aber das musste nicht unbedingt sein. Kurz vor der Zeitkontrolle war die schwarze Dame zusammen mit dem "langen" Läufer auf b7 viel stärker als die beiden weissen Türme - Weiss hatte auch einen weissfeldrigen Läufer, aber der konnte nicht alle Felder auf der Diagonale a8-h1 kontrollieren. Zu Gelfands Glück war die Bedenkzeit beiderseits sehr knapp, Dominguez verpasste den Gewinn. Später verdarb Gelfand (jedenfalls laut Engines) die Stellung nochmals, und entwischte wieder.
Aber nicht alle Partien endeten remis, sondern nur diese drei. Vachier-Lagrave - Karjakin 0-1. MVL verlor den Faden, Karjakin setzte energisch nach und war nun erst recht im Rennen um die vorderen Plätze der GP-Gesamtwertung. Zwischendurch wieder drei Fotos: MVL nach der Partie, Karjakin in der Pressekonferenz und auch Nakamura bekommt sein individuelles Foto:
Hat Nakamura sich, vergleiche Titelbild, zwischendurch umgezogen? Nein, das Foto stammt eigentlich aus Runde 5. Ich hatte dem Leser noch Marathons versprochen: Grischuk-Caruana 0-1 in 75 Zügen. Es begann mit 1.Sf3 Sf6 und nun investierte Grischuk bereits 5 1/2 Minuten für 2.d4!? - musste er direkt nach Rundenbeginn auf die Toilette oder ein anderes dringendes Bedürfnis (Grischuk ist einer von wenigen Rauchern in der Weltelite) befriedigen? Es wurde Damengambit mit 5.Lg5 h6 6.Lf4!? und dann 8.g4, was beide im weiteren Verlauf viel Bedenkzeit kostete. Königsangriff, wie wohl erhofft, bekam Grischuk nicht, stattdessen wurde der g-Bauer eher schwach und er landete in einem schlechten Endspiel. Caruana verpasste im 60. Zug einen forcierten Gewinn - da musste er 10 Züge voraus berechnen und (sicher) erkennen, dass die entstehende Stellung mit beiderseits Dame und Turm ohne Bauern für ihn glatt gewonnen wäre - Schach, Schach, Schach usw. und irgendwann Matt oder Materialgewinn. Grischuk verpasste im 74. Zug die letzte Remischance.
Svidler-Giri 1-0 nach 83 Zügen: Schwarz hatte eine Isolanistellung, irgendwann minus den isolierten d-Bauern. Dabei verpasste Svidler eine bessere Abwicklung mit ebenfalls Mehrbauer. So wurde es ein Endspiel mit Damen und Türmen und objektiv sicher sehr guten schwarzen Remischancen, aber daraus wurde dann ein für Schwarz verlorenes Turmendspiel.
Stand in der GP-Livewertung: Caruana 400, Tomashevsky 292, Karjakin 282, Nakamura 277, Gelfand und Jakovenko 240.
Zunächst ein Foto, wiederum ohne Ton:
Damit habe ich auch Jobava gezeigt, der - wenn auch in der GP-Gesamtwertung chancenlos - das Turnier absolut bereichert. Ob diese Aufmunterung Vachier-Lagrave geholfen hat, dazu komme ich noch. Heute war der Tag quasi-identischer Eröffnungen. Bei Caruana-Gelfand und Jakovenko-Grischuk jeweils Grünfeld mit von Weiss g3 und von Schwarz c6 und d5 - das ist remislich und wurde zweimal recht schnell remis. Bei Giri-Tomashevsky 1-0 und Dominguez-Svidler 1-0 jeweils ein spanischer Anti-Marshall, jeweils Stellungen die die Schwarzspieler schon mehrfach hatten. Aber sie verloren trotzdem - bei knapper Zeit untersuche ich mal nicht, warum eigentlich. Karjakin-Jobava begann mit 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sc6!? - dazu gibt es in der Datenbank vor allem Schwarzpartien von Jobava, Jobava, Jobava und Baadur Jobava. Remis nach turbulentem Verlauf.
Nakamura - Vachier-Lagrave 1-0 - damit ist die eingangs gestellte Frage beantwortet. Es begann mit 1.d4 Sf6 2.Lf4!? - "ich muss doch nur abwarten, wie mein Gegner sich heute selbst umbringt!?" Nach 2.-b6 war 3.c4!? dann recht forsch, 3.c3 hätte besser zu diesem Konzept gepasst. Es wurde eine Art Damengambit, und Vachier-Lagrave verlor den Faden. Wie das Foto aus der Pressekonferenz zeigt, hatte Nakamura seinen Gegner bereits vor dem ersten Zug überrascht:
Er hat sich rasiert!! Damit konnte nun wirklich niemand (mehr) rechnen .... . Wie es um Vachier-Lagrave steht, zeigt sich daran dass auch Europe Echecs keine aufmunternden Worte mehr findet: Nach Runde 4 zitierten sie ihn (frei übersetzt) "Viele Fehler in meiner Partie [gegen Caruana], ich muss die Batterien wieder aufladen, der Ruhetag sollte helfen". Nach Runde 5: "Die zweite Niederlage nacheinander für unseren 'Maxime national', dem wir eine schnelle Wiederauferstehung wünschen." Nach Runde 6 kurz und knapp "Allez Maxime!". Nun nach Runde 7 ... nichts mehr.
Bevor ich ihn (falls er das lesen sollte, was ich bezweifle) an bessere Zeiten erinnere, zunächst mal wieder der Stand in der GP-Livewertung: Caruana 400, Nakamura 292, Karjakin 282, Tomashevsky 272, Gelfand und Jakovenko 235.
Ich sprach Vachier-Lagrave dieses Jahr in Wijk aan Zee mehrfach, zuletzt nach seinem schönen Schwarzsieg in der Schlussrunde gegen Caruana. Es ergab sich dieser Dialog: TR "Carlsen spielt noch und steht offenbar schlechter. Ich glaube nicht, dass er verliert, aber Du hättest/Sie hätten wohl nichts dagegen?" [Damit wäre Vachier-Lagrave geteilter Turniersieger. Wenn ich mich nicht zwischen "Du" oder "Sie" entscheiden kann, rede ich Englisch und sage "you".] MVL "Das Turnier lief sehr gut - noch besser als ich erwartet oder gehofft hatte! Dann ist es mir ziemlich egal, was andere Leute machen!". Das gilt vielleicht nicht in der GP-Gesamtwertung, da sind Ergebnisse anderer Spieler durchaus wichtig.
Was passiert in den verbleibenden vier Runden? Werden Tomashevsky, Vachier-Lagrave und Giri mit Bart erscheinen? Das kann ich mir irgendwie kaum vorstellen, und ob ein paar Tage ohne Rasur schon Wirkung zeigen ist auch zweifelhaft. Karjakins Bartversuche sind und bleiben auch eher kläglich. Davon abgesehen, auch am Brett bleibt es weiterhin spannend.
Thomas Richter
// Archiv: Nachrichten Thomas Richter // ID 19801
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