1. August 2006
"Die Außenansicht der Innenansicht eines Schachverlages: Chessgate AG"
von Axel Dohms
Als ich am Caudebec-Ring 36 b in dem idyllischen, inmitten einer Parklandschaft gelegenen Nettetal am einladenden Verlagshaus der Chessgate AG eintreffe, herrscht dort Aufbruchsstimmung: Nicht nur, säuberlich in den Regalen die aufgereihte Verlagsproduktion, sondern hohe Bücherstapel auf den Tischen, die in einen Kleintransporter verfrachtet werden – auf dem Weg nach Dortmund, wo, wie in den letzten Jahren immer, sowohl für die Logistik des Open wie für das GM-Turnier gesorgt wird.
Mitsamt Spielmaterial und allem Drum und Dran. Ich begrüße Christopher Lutz (Jahrgang 71): "Herr Lutz, ich habe Sie erstmals Ende der 80er Jahre als Schachspieler life erlebt, im Kölner Sartory-Saal. Helfen Sie mir auf die Sprünge, welche Veranstaltung war das?" – "Richtig, ein von der Spar-Kette ausgetragenes Blitzturnier, unter anderem mit Kortschnoi." – "Von Dr. Claus Spahn/WDR moderiert?" – "Kann sein." – "Und? Sind Sie mit Ihrer Entwicklung seitdem zufrieden?" – Er lächelt bescheiden: "Ach, das ist so lange her. Ja, doch schon." – Mitten im Tohuwabohu kommt auch Jürgen Daniel (Jahrgang 66) auf mich zugeschlendert:
"Tag, Herr Daniel, sind das die Wurzeln Ihres Unternehmens: Schachveranstaltungen und Schachvertrieb? "– "Kann man so nicht sagen; ich habe von Anfang an alles gemacht, auch Schachreisen und Marketing, nicht zuletzt den Verlag" – "Bekannt ist, dass sie mit Peter Leko befreundet sind." – "Ja, seit 1989." – "Ist das das Gründungsdatum Ihrer Firma?" – "Nicht eigentlich. Natürlich, ich habe anfangs für Peter Veranstaltungen organisiert, mich um ihn gekümmert, Einladungen nach dem Tauschprinzip für ihn besorgt, ihm einen Turnierplatz gesichert und uns Großmeister nach Nettetal geholt.
Das war nach einigen Jahren, angesichts seiner rasanten Entwicklung, nicht mehr nötig." – "Sie selbst sind Schachspieler?" – "Ja, bei der Schachgemeinschaft Nettetal (Verbandsliga). Ich versuche es immer wieder, bin der schlechteste Spieler in der Firma." – "Verflixt und zugenäht, Herr Daniel, wenn nicht 1989, wann denn wurde Ihr Unternehmen aus der Taufe gehoben?"
1997 hatte Jürgen Daniel seine Firma "Schach! Jürgen Daniel" alleine gegründet. 1999 haben dann Herr Daniel, Artur Jussupow, Stefan Kindermann, Christian Gabriel und Christopher Lutz dann die GM-Schach GbR gegründet. Im Jahr 2000 gingen dann beide Unternehmen mit Hilfe von externem Kapital zusammen in die Chessgate AG auf. Christopher Lutz war seit der Gründung 2000 als Aktionär und Aufsichtsratmitglied der Chessgate AG dabei. Sein Buch 'Endspieltraining für die Praxis' war 1999 zunächst bei 'Schach! Jürgen Daniel' erschienen (die Rechte liegen nun bei der Chessgate AG) und später dann in England.
Jeder Verlag ist um ein deutliches Profil bemüht. Rowohlt ist nicht Fischer. Olms verlegt sich auf die Schachgeschichte und die Klassiker, Beyer auf das Taschenbuchformat. Beide leben nicht vom Schach allein. Der Falken-Verl., den es wohl nicht mehr gibt, hatte die Jugend im Auge, der Dreyer-Verl. eine Zeitlang die Bundesliga. Daneben eine kleine Schar von Exoten. "Wo, Herr Daniel, siedeln Sie Ihren Verlag an, wer ist Ihre Zielgruppe?" – "Wir bedienen mit unserem Sortiment den Vereinsspieler." – "Aber auf sehr hohem Niveau, wenn ich an das letzte Buch aus Ihrem Verlag, das ich in Händen hielt, denke.
Ich meine Christian Seel, der bei uns im Verein groß geworden ist, und seinen Erstling 'Geheimwaffe Philidor'. Das ist Expertenlektüre." – "Gewiss, aber mit einer klaren, für den Vereinsspieler nützlichen Gebrauchsanweisung; der kann sicher sein, dass die besprochene Variante – anders als z. B. im Najdorf-Sizilianer – so aufs Brett kommt. Ganz ähnlich wie bei Matthias Wahls 'Skandinavisch' ist das meistgekaufte deutschsprachige Eröffnungsbuch des letzten Jahrzehnts. Danach spielte plötzlich alle Welt – anhand von Chessbase belegbar – sein System. Ein Renner."
"Andere Hits?" – Bernd Rosen, zweifellos, sein 'Fit im Endspiel', dessen zweite und dritte Auflage wir besorgt haben. Schließlich Mark Dvoreckijs 'Die Endspieluniversität', ebenfalls bereits in dritter Auflage."
Ungeachtet dieser Verkaufsschlager bleibt Schach ein schwieriges Geschäft, fast so heikel wie Lyrik, oder? "Man muss schon genau wissen, was man will. Turnierberichte oder Biographien rechnen sich nicht. Unser Schwerpunkt liegt sicherlich auf von Spielerkoryphäen kommentierten Partiesammlungen. Sehen Sie hier: Tals Lebenswerk in drei Bänden, auf Anregung und Vermittlung von Alexej Shirov. Zwei sind erschienen, der dritte folgt demnächst. Oder von Shirov selbst 'Brett in Flammen', den ersten Band werden wir auch herausbringen." Ein wunderschön aufgemachtes Buch.
Wie überhaupt die technische Sorgfalt, die prächtige Ausstattung ein Markenzeichen sind. Die Bücher schmeicheln sich in Hand und Augen. Daniel: "Ja, das ist unsere Philosophie. Als ich angefangen habe, war der Maßstab, Bücher herzustellen, die mir gefallen. Das ist bis heute so." Und fügt anekdotisch an: "Oft fragen mich Kunden, Herr Daniel, können Sie das Buch empfehlen? Und ob, ich habe es ja selbst verlegt. Ein Verdienst nicht zuletzt von Ulrich Dirr, auch ein Bundesligaspieler, und seiner Firma Art & Satz in München."
Ästhetik ist eine, Kalkulation eine andere Sache. Das Seel-Buch, dessen englische Übersetzung in ein paar Tagen vorliegt und dann auf den Markt kommt, ist in einer Auflage von 2000 Exemplaren erschienen, wie ich gehört habe. – "Richtig." – "Ist das in etwa die Größenordnung, zum in die Gewinnzone zu kommen?" – "Ungefähr. Wir sind bestrebt, den Druckort in Deutschland zu halten und nicht in den Osten abzuwandern. Das hat seinen Preis." – "Nicht in den Osten, aber nach Holland, wie ich dem Impressum von Christians Buch entnehme." – "Hin und wieder ja, das liegt am Standort und meinen guten Beziehungen zum Nachbarland."
"Kommen sich das Internet und Buchgeschäft in die Quere?" – "Nicht wirklich", meint Jürgen Daniel, und Christopher Lutz fügt an: "Von Vereinsspielern wird der Computer überschätzt. Ein gut kommentiertes Buch ist immer noch sein Geld wert." – "Wir merken immer mehr, dass der Trend zum Buch zunimmt. Die Leute probieren die neuen Medien aus, kommen dann aber auf das Alte zurück.
Ende der 80er Jahre, als ChessBase neu war ..., gab es schlampige Bücher. Heute nicht mehr. Es freut mich als Verleger, einen bescheidenen Beitrag dazu leisten zu können, und ich erkenne neidlos an, wenn es anderen auch glückt. Hoffentlich bleibt es so und wird unser Angebot weiterhin angenommen." Das entscheidet wohl das dritte Quartal und Weihnachtsgeschäft, wie in jedem Jahr. "So ist es."
Wie kommt man an Autoren und Manuskripte? "Früher bin ich auf einzelne Personen zugegangen und habe sie angesprochen, bei Matthias Wahls etwa war das der Fall. Mittlerweile ist unser Name und Ruf so gefestigt, dass viele Vorlagen ungefragt ankommen, auch aus Russland. Dafür haben wir die entsprechenden Mitarbeiter wie Artur Jussupov, die ein Gutachten erstellen können, bevor wir uns entscheiden und an die Arbeit machen."
Im Verlag, so ist zu hören, hat es in diesem Jahr organisatorische Veränderungen gegeben, Christopher Lutz wurde Mitte Mai Vorstandsvorsitzender. "Der Verlag (Chessgate AG) und der Vertrieb (iSchach), für den ich verantwortlich bin, wurden voneinander getrennt." – "Sie sind also gewissermaßen zu Ihren Ursprüngen zurückgekehrt?" – "Könnte man sagen. Ich kenne die Kunden seit 10 Jahren und wohl am besten." – "Und Sie, Herr Lutz, kümmern sich um Arbeitsverträge, Lizenzen Lektorat und dergleichen?" – "Bin schon dabei, unser jüngstes Projekt: ein Buch von Professor Hesse, Mathematiker an der Uni Stuttgart, der sich seit Jahren über das Schach Gedanken macht und über seine Schönheit und kulturelle Reichhaltigkeit ein Buch geschrieben hat. Ein Schach-Lesebuch. Es ist im Lektorat und wird wahrscheinlich im Herbst erscheinen. Darüber hinaus sind wir bis zum Jahresende gut ausgebucht."
Chessgate, ein wohlgeordneter und vielbeschäftigter Zweimann-Betrieb, kann man resümieren: als Nukleus das Tandem Daniel / Lutz, darum eine Corona von Schach-Großmeistern als Fachleute, Lektoren und Ratgeber. Nicht zu vergessen Freiberufler, die sich für besondere Anlässe wie beispielsweise die Live-Internetübertragung der WM 2004 / Brissago an den Verlag binden. So Uwe Auerswald oder Guido Kohlen, der die Server-Administration betreut. Fast ein Jahrzehnt Arbeit aus Liebe zum Schach. Ad multos annos, meine Herren.
Axel Dohms
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 4599