27. Mai 2015
Wir leben bekanntlich im Zeitalter der Verpackung, und da wirkt so eine prosaische Überschrift wie „Turnierbericht“ natürlich etwas antiquiert und genügt einfach nicht dem hohen Standard, dem unser Gauklerblatt* verpflichtet ist. Also: Was war los und wie steht‘s?
Die Spitzenbegegnung zwischen Alexander Krastev und Leopold Franziskus Wagner endete nach einem interessanten taktischen Zusammenprall mit einem wohl von der Furcht diktierten Friedensschluss schon im 25. Zug:
16. Sxd5! exd5 [Nach 16. ... Dxd5 17. Lxe7 Sxe7 18. Dxe7 Tac8 ist der Mehrbauer schwierig zu verwerten.] 17. Txc6 b4! [Schwächer wäre 17. ... Lxc6? 18. Lxe7 Db6 19. Lxf8 Lxf8 20. De3 mit doch klarem Vorteil für Weiß.] 18. Dxb4 Sxc6 19. Dxb7 Dc8 Von diesem scharfen Waffengang ermattet schlossen die beiden Kontrahenten im 25. Zug Frieden, ohne die Frage zu klären, ob hier die Qualität oder die beiden Bauern schwerer wiegen.
Da Jakob Weihrauch gegen Markus Kirchner verlor, verbleibt nun kein Spieler mehr bei 100 Prozent, die Spitze teilen sich nun Kirchner, Wagner, Krastev und Ruben Lutz mit je 4,5 Punkten.
Antonia Ziegenfuß zog gestern gegen Hannes Hetzner den Kürzeren, Svenja Butenandt und Nalani Kurzweil nutzten die Gunst der Stunde und zogen mit ihr gleich - dieses Trio hat zur Stunde drei Punkte.
Nach fünf Runden ist die Zahl der Spieler mit weißer Weste naturgemäß arg geschrumpft - Simon Li ist einer von nur noch zwei Exemplaren dieser seltenen Spezies. Im innerbayerischen Duell mit Kevin Tong setzte er sich in einer fantastischen Partie durch, deren Kommentierung jeden Rahmen sprengen würde. Ich weiß auch nicht, an welcher Stelle man ein Diagramm bringen sollte - so ungefähr ab dem 22. Zug würde man am liebsten mindestens alle zwei Züge eines setzen. Daher hier kommentarlos als Lied ohne Worte:
Kevin Tong - Simon Li: 1. e4 c5 2. Sf3 d6 3. d4 cxd4 4. Sxd4 Sf6 5. Sc3 g6 6. Le3 Lg7 7. f3 Sc6 8. Dd2 0–0 9. Lc4 Ld7 10. g4 Tc8 11. Le2 Se5 12. 0–0–0 Sc4 13. Lxc4 Txc4 14. h4 b5 15. h5 Da5 16. Kb1 Tfc8 17. hxg6 fxg6 18. Sb3 Dc7 19. e5 Se8 20. Sd5 Dd8 21. Dh2 h5 22. Dh4 Kf7 23. Lg5 Lf8 24. Sd4 dxe5 25. gxh5 Lf5 26. hxg6+ Lxg6 27. Se6 Da5 28. Sd4 exd4 29. Df4+ Sf6 30. Lxf6 Lxc2+ 31. Kc1 Le4+ 32. Sc3 Txc3+ 33. Kd2 Te3+ 0–1 (Partie bei der DSJ nachspielen)
Ngoc Han Julia Bui kassierte gestern zwar ihre zweite Niederlage, hat mit 3 aus 5 aber weiter die Nase vorn. Ihr ist eine Meute von nicht weniger als neun(!) Spielerinnen mit 2,5 Punkten dicht auf den Fersen.
Theoriehaie unter sich: Samuel Fieberg und Alexander Rieß spielten die Eröffnung im Blitztempo herunter, nach 15 Zügen hatten beide nur noch zwei Türme und einen Springer nebst etlichen Bauern auf dem Brett, dafür zeigte die Uhr bei beiden 1:33 an. Die Partie ging dann in ein Doppelturmendspiel über, das angesichts beiderseitiger Freibauern lange Zeit einem Drahtseilakt glich. Hier verlor Alexander schließlich das Gleichgewicht:
37. ... Kh7? 38. Tbb8 Txf6 [Das Matt wäre nur mit 38...g5 zu vermeiden, nach 39.hxg5 sind die weißen Bauern aber gefährlicher, z.B. 39. ... Ta2 40. Tg8 Tb7 41. g6+ Kh6 42. g7 oder 39. ... Kg6 40. Tg8+ Kf5 41. Tab8! Ta2 42. Tg7] 39. Tb7+ und Aufgabe wegen des Matts nach 39. ... Kh6 40. Th8#. Samuel führt nun alleine mit 4,5 aus 5.
Charlotte Sanati verlor in der 4. Runde gegen Annmarie Mütsch und teilt sich nun mit dieser die Pole-Position, nachdem sie in der Nachmittagsrunde Inken Köhler besiegte, während Annmarie gegen Jana Schneider nicht über ein Remis hinaus kam. Im Verfolgerfeld mit 3,5 Punkten lauert auch die Turnierfavoritin Jana Schneider auf einen Ausrutscher ihrer Konkurrentinnen.
Hier führt nach der zweiten Doppelrunde etwas überraschend Raphael Lagunow mit 4,5 aus 5 die Tabelle alleine an. Ihm folgen der weiterhin ungeschlagene Überraschungsmann Konstantin Urban und Dmitrij Kollars. Im Feld der Spieler mit 3,5 Punkten befinden sich u.a. Vincent Keymer und Roven Vogel, der heute mit zwei Siegen möglicherweise seine Aufholjagd startete. Von romantischem Geist geprägt waren schon die Anfangszüge der Partie Kevin Kololli - Raphael Lagunow: Nach 1. f4 e5 2. e4 d5 3. exd5 e4 hatte Raphael das Duell, wer heute Gambit spielt, für sich entschieden. Das wollte Kevin offensichtlich nicht so stehen lassen:
In der Diagrammstellung entkorkte er 18. dxc6!? Lxd1 19. Lxb5, nach 20. ... Sc7 20. Txd1 Sxb5 21. Sxb5 Txe4 22. c7 Lc5! stellte sich aber heraus, dass der Freibauer auf c7 keinen ausreichenden Ersatz für den fehlenden Turm darstellte.
Nathalie Wächter schraubte ihr Punktekonto in der 4. Runde durch einen Sieg gegen Olga Weis zunächst auf formidable 4 aus 4, gab gegen Theresa Peters dann aber das erste Remis ab. Somit schmolz ihr Vorsprung auf ein halbes Pünktchen, da sich Fiona Sieber im Verfolgerinnenduell gegen Teodora Rogozenco durchsetzen konnte.
Spartak Grigorian und Xianliang Xu zeigen bisher die beste Form im Turnier: Spartak räumte in der 4. Runde Mark Kvetny aus dem Weg, Xu besiegte am Vormittag Anton Bilchinski. Die direkte Begegnung endete am Nachmittag mit einem ausgekämpften Remis, so dass beide mit vier Zählern an der Spitze des Feldes liegen.
Josefine Heinemann besiegte am Vormittag Sarah Hund, was ihr die alleinige Führung einbrachte. Die verteidigte sie am Nachmittag durch ein Remis gegen Sonja Maria Bluhm. Zwischen diesen beiden Spielerinnen liegt Jana Böhm mit vier Punkten auf dem 2. Platz.
Erstmals liegt der Setzlistenerste Hagen Poetsch allein an der Spitze: Am Vormittag musste er sich gegen Felix Meißner zwar mit einem Remis begnügen, aber am Nachmittag bezwang er Marco Riehle. In der 6. Runde steht das Duell gegen den aktuellen Zweiten Philipp Wenninger auf dem Programm.
„Wenn Zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht Dasselbe“ musste Nanke Caliebe gegen Estelle Morio lernen:
Den letzten weißen Zug Se5 beantwortete sie mit 22. ... Se4?, was nach 23. Sb5! f6 24. Sf3 Sd6 25. Sc7 die Qualität kostete. Die Siegerin Estelle Morio führt nun mit stolzen 5 aus 5 die Tabelle vor drei Spielern mit 4,5 Punkten an.
Bernd Rosen
* Das "Gauklerblatt" ist die Meisterschaftszeitung der DJEM 2015
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 19812