24. November 2014
Kommt er, oder kommt er nicht? Noch ist nicht sicher, ob Magnus Carlsen, der alte, aktuelle und vielleicht sogar zukünftige Weltmeister sein Versprechen wahr machen wird und nach dem Ende des WM-Kampfes mit dem Fernbus aus Sotschi direkt zu den Deutschen Meisterschaften nach Verden reist. "Mich reizt die norddeutsche Tiefebene", so der Weltmeister, der schon in der heutigen vierten Runde in den Wettbewerb einsteigen könnte, um seine Chancen im Titelrennen zu wahren.
Die Konkurrenz hier in Verden ist natürlich vorgewarnt - und leicht dürfte es nicht werden für Carlsen, denn Daniel Fridman gewinnt Partie um Partie und hat bereits jetzt drei Punkte Vorsprung auf den norwegischen Weltmeister. Spielen wird er heute gegen den anderen Drei-Punkte-Mann Matthias Blübaum. Direkt hinter dem Führungduo tummeln sich mit Dennis Wagner, Vitaly Kunin und Sebastian Siebrecht drei Titelträger - auch an diesen dreien müsste Carlsen sich erst einmal vorbeiarbeiten auf dem Weg zur Deutschen Meisterschaft. Ebenfalls zweieinhalb mit beachtlicher Souveränität erarbeitete Punkte haben Thilo Kabisch und Sebastian Zehnter - sie trotzten gestern sowohl Dennis Wagner und dem wiederum hartnäckig auf Gewinn spielenden Vitaly Kunin zwei wichtige halbe Punkte ab.
Manchem wird es aufgefallen sein, dass die gestrige Runde entgegen aller Ankündigung erst um 19 Uhr eröffnet wurde. Kurzfristig hatte sich herausgestellt, dass der große Saal des Hotels direkt neben dem kleinen Saal der Schachmeisterschaft für einen sonntäglichen Tanznachmittag vergeben worden war - ummta, ummta, ummta, und von dieser schönen Wendung und dem Fauxpas des Hotels kurzfristig überrascht, beschloss die Turnierleitung, zur Wahrung der Turnierruhe den Rundenbeginn um vier Stunden zu verschieben. Und tatsächlich, um kurz nach 19 Uhr schwang noch einmal "Gute Nacht, Freude, es wird Zeit für mich zu gehen" durch die Luft, und danach - Stille. Die Partien konnten beginnen.
Leider müssen in dieser Welt oft die Leisen den Lauten weichen - die Tanzwütigen hätten ja eigentlich auch anerkennend sagen könnten, Mensch, Mensch, eine deutsche Schach-Meisterschaft gleich nebenan! Und viele kleine und große Meister direkt hinter dieser dünnen Wand! Da wollen wir mal ein bisschen vorsichtig sein und ganz leise tanzen heute! Doch so kam es nicht, und statt dessen und wie immer waren es die freundlichen Schachsportler, die sich fügten und in die Abendstunden wechselten, sehr zum Missvergnügen des aus einiger Ferne anreisenden Gerlef Meins, den die Nachricht der Spielverlegung nicht mehr rechtzeitig erreichte. Aber vier Stunden Kurzurlaub in Verden - das ist doch vielleicht auch ganz schön? Wir empfehlen hiermit noch einmal das John Lennon-Denkmal, und natürlich das Pferdemuseum. Für den Werderaner endete der Tag zum Glück versöhnlich mit einem Remis gegen GM Rainer Buhmann. Das lange Warten wurde also belohnt, sozusagen. Alles wird gut.
Der späte Rundenbeginn war vermutlich von Vorteil für diejenigen Naturen unter uns, die eher den Eulen als den Lerchen zuzuordnen sind. Alle Eulen und Nachtschwärmer in dem 44-köpfigen Feldes hatten sicherlich bessere Chancen, die bis um 01 Uhr und länger andauernden Partien wacker zu überstehen. Die braven Lerchen natürlich, freundliche Frühaufsteher, werden möglicherweise spät um elfe an ihr Limit gekommen sein. Oder um zwölfe. Oder noch später. Einfach war es nicht, und in der Tat, als um halb eins immer noch gespielt wurde an drei Brettern, da war das Ergebnis sicher auch eine Frage der guten Kondition.
Als spielstarke Eulen erwiesen sich in der Verdener Night Lounge Sergej Kalinitschew, der in der Geisterstunde Matthias Krallmann Gespenster sehen ließ und am Ende einen entscheidenden Bauern gewann, und ebenso Daniel Fridman. In einer komplexen Position mit reichlich weit vorgerückten Freibauern und einem mutig mäandernden Monarchen gelang es ihm nach Mitternacht, Tomislav Bodrozic (einer Lerche, eventuell) noch einen vollen Punkt abzunehmen.
Hoffen wir also nach all der Mühsal durch die nächtlich angesetzten Partien, dass die Hotelleitung, warum eigentlich auch nicht, die heutige Kaffeeration im Turniersaal verdoppelt. Oder verdreifacht. Kännchen für alle!
So, und nun? Nun geht die Runde gleich los, und aus Verden darum schöne Grüße in die Welt, an alle interessierten ZuschauerInnen, und an Weltmeister Carlsen. Magnus, am Busbahnhof noch ein paar Kilometer Richtung Autobahn, dann kommt der Niedersachsenhof. Wir spielen gleich rechts, wenn man reinkommt!
Olaf Steffens
Olaf Steffens ist FIDE-Meister, wohnt in Bremen und spielt dort für den SV Werder II in der Oberliga Nord-West. Obwohl das Schachspiel eigentlich viel zu schwierig für ihn ist, versucht er es immer wieder und schreibt darüber zusammen mit anderen auf www.schach-welt.de.
Während der Deutschen Einzel-Meisterschaft 2014 schreibt er für den Deutschen Schachbund.
// Archiv: Nachrichten Olaf Steffens // ID 19166
Kommentare
Kommentar von HeikoJanßen |
Lieber Olaf,
bin absolut sicher, dass Er kommt.
Er nimmt nur den Seeweg über die Donau und muss in der Schweiz ein paar Meilen zu Fuß über die Berge laufen, dann geht es über den Rhein schließlich durchs Wattenmeer die Weser rauf und links ab in die Aller. Endlich ist Er da!
Bis Sonntag müsste Er es geschafft haben. Gönne Ihm diese Reise zur Erholung; schließlich gibt es in Norwegen keinen Yogaminister wie im Heimatland Anands.
Das Beste: Er wird ein paar Blitzrunden mit Marco spielen!
Ich hoffe, dass Marco ihn gewinnen lässt. In guter Laune bei Kaffee und leichtem Gebäck wird Er Hauptsponsor von Werder und alle 14 Tage bei den Heimspielen in der VIP Lounge allen interessierten Schachspielern zu Verfügung stehen. Er wird uns bei dieser Gelegenheit auch sein Geheimnis um den Zug "Kd2" preisgeben.
Olaf, solche Dinge fallen mir ein, wenn ich deine Kommentare und Schilderungen von der Stimmung in Verden lese.
Ziehe den Hut vor einem, der in den Stunden vorher auch noch seinem ganz normalen Job nachgeht.
Wenn Du es dann schließlich geschafft hast, wünsche ich Dir einen wunderbaren Spaziergang um Maasholm, der schließlich in dem Schiffchen endet. Genieße den Blick auf die Schlei.
Herzliche Grüße
Heiko
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