20. Juni 2022
Auf dem Hauptausschuss am 7. Mai in St. Ingbert wurde Gerhard Prill als Vizepräsident Verbandsentwicklung nachgewählt. Was motiviert ihn? Wie ist er eigentlich zum Schach gekommen? Was sind seine Ideen, mit denen er Schach in Deutschland voranbringen möchte? Im Gespräch hat er sich den Fragen von Paul Meyer-Dunker gestellt.
Lieber Gerhard, herzlichen Glückwunsch zur Wahl! Bevor wir zu deinem Amt, deinen neuen Aufgaben und Plänen kommen, lass mich dir eine Frage vorweg stellen. Wie bist du überhaupt zum Schach gekommen?
Ich habe Schach in München im Kinderhort mit ungefähr 10 Jahren gelernt und bin dann mit ca. 14 Jahren erstmals mit einem Schachverein in Kontakt gekommen.
Mit 20 bin ich dann der Liebe wegen in den Breisgau gezogen. Durch einen glücklichen Zufall spielte meine künftige Frau Thea ebenfalls Schach und war auch in einem Schachklub. Das gemeinsame Hobby war dann auch ein bisschen die Klammer, dass wir mittlerweile 50 Jahre zusammen sind. Unser Sohn spielt in Heitersheim am ersten Brett, er hat so 2200. Auch die Tochter war mal Bezirksmeisterin bei den Mädchen. Wir spielen in der Regel nicht gegeneinander, aber es gibt immer wieder gemeinsame familiäre Analysen.
Warum bist du auf die Idee gekommen, dich als Vizepräsident Verbandsentwicklung zu bewerben und was ist deine Motivation für dieses Amt?
Schach hat mir in meinem Leben immer unglaublich viel gegeben, wie man auch an meiner Familiengeschichte sehen kann. Egal wohin es mich beruflich verschlagen hatte, ich bin direkt in den vor Ort befindlichen Schachverein und hatte auf einen Schlag eine Menge neue Freunde. Von dieser tollen Erfahrung möchte ich etwas weitergeben.
Für mein Amt ist die Mitgliederwerbung das bestimmende Thema. Es hat mich über die vielen Jahre verwundert, dass die Mitgliederzahlen nie gestiegen sind. Wenn ich sehe, dass der Schachbund seit vielen Jahren ungefähr 90.000 Mitglieder hat, muss doch irgendwann die Frage kommen, was da verkehrt läuft. Über die vielen Jahre habe ich gesehen, dass die Möglichkeiten, die es gibt, ungenutzt bleiben und es viel mehr Chancen gibt, unser geliebtes Schach zu verbreiten. Das war letztlich die entscheidende Motivation, da noch einmal in die Bütt zu steigen und die nächsten Jahren einige Weichen zu stellen, um das dauerhaft nach vorne zu bringen. Mein Ziel ist es, die Mitgliederzahlen nachhaltig zu steigern.
Welche Möglichkeiten sind das denn, die ungenutzt geblieben sind?
Es muss Schachangebote an die ganze Schachbevölkerung geben. Wir sind gut aufgestellt bei Angeboten für Kinder und Jugendliche. Wir sind gut aufgestellt bei den Senioren. Aber es scheint, als hätten wir völlig vergessen, dass es zwischen 25 und 59 Jahren auch noch etwas gibt. Dieser Personenkreis wird häufig völlig außen vor gelassen und in den Vereinen gibt es meist kein besonderes Angebot. Daraus resultiert, dass diese Gruppe - einschließlich der aktuellen Elterngeneration - häufig nicht mehr Schach spielt bzw. auch keine Grundkenntnisse hierüber hat. Wir haben erst kürzlich eine Umfrage an der örtlichen Grundschule gemacht. Auf die Frage, von wem die Kinder Schach gelernt haben, wurde in 90% der Antworten der „Opa“ genannt. Ein paar mal die „Oma“ oder ein Geschwisterteil, aber so gut wie kaum die Eltern. Wenn die „Opa-Generation“ nicht mehr da ist, droht, dass niemand mehr innerhalb der Familie dieses Kulturgut weitergibt.
Deswegen ist es umso dringender, dass wir uns aufmachen, genau das zu ändern. Es muss unser Ziel sein, dass die Erwachsenen und insbesondere auch die Eltern wieder Schach lernen. Deswegen sollte in jeder Volkshochschule und jedem Bildungswerk ein Schachkurs im Programmheft stehen oder der Verein organisiert dies in eigener Regie. Das führt dazu, dass auch mehr Leute in Clubs kommen. Aber vor allem vermittelt es auch die Grundkenntnisse, um es an zukünftige Generationen weiterzugeben.
Wir müssen auch das Gemeinschaftserlebnis Verein stärken. Onlineschach ist in aller Munde, auch ich nutze das hin und wieder. Es kann das Vereinserlebnis jedoch nicht ersetzen und ist auch nicht vergleichbar. Wenn man fragt, woran sich jemand aus seiner „Schachzeit“ erinnern kann, dann sind es zumeist gemeinsame Erlebnisse, Reisen, Fahrten, die genannt werden. Für viele Menschen ist der Schachverein wie eine zweite Heimat. Das ist ein Trumpf, den wir nutzen müssen!
Eine weitere Gruppe ist die große Anzahl von Studenten, die aktiviert werden können. Da würde es manchmal schon reichen, örtlich eine offene Schnellschachmeisterschaft für Studierende, Lehrende und Mitarbeiter von Hochschulen zu veranstalten oder im einfachsten Fall ein Plakat mit Hinweis auf die regionalen Schachvereine in der Mensa aufzuhängen.
Im Betriebsschach gäbe es die Möglichkeit, einen Wettbewerb zu machen, wer das „klügste“ Unternehmen Deutschlands ist.
Das klingt allein bereits nach einem Programm, mit dem du die gesamte Amtszeit füllen kannst. Hast du Maßnahmen geplant, die du jetzt sofort als Erstes umsetzen möchtest?
Als Allererstes werden wir einen bundesweiten Mitglieder-Award durchführen. Bayern hat das gemacht, Baden auch. Das Rad muss hier nicht neu erfunden werden, da können wir drauf aufbauen. Es ist wichtig, dass wir die Vereine animieren und motivieren, hier aktiv zu werden und sie auch ein wenig in Konkurrenz zueinander zu setzen. Wenn ein Verein sieht, dass der Nachbarverein 10 bis 15 neue Mitglieder geworben hat und man selber eben nicht, kann das auch eine positive Reaktion auslösen nach dem Motto „Das können wir auch“.
Außerdem möchten wir die Vereine bei diesem Unterfangen auch inhaltlich unterstützen. Im Rahmen des Schachgipfels werden wir am 20. und 21. August eine Bundesvereinskonferenz durchführen, um den Vereinen in Vorträgen, Workshops und Diskussion zu helfen und ihnen Instrumente und Ideen mitzugeben, um erfolgreich zu sein. Das soll ein wichtiges Fortbildungsangebot für Vereine und Funktionäre werden.
Auf welchen eigenen Erfahrungen stützt du dich dabei? Was lässt dich glauben, dass diese Vorschläge und Ideen richtig sind?
Die Mitgliederwerbung ist ein Thema, das sich durch mein gesamtes Leben zieht. Bereits 1972 habe ich das erste Mal eine Mitgliederaktion durchgeführt. Mit 21 kam ich nach Frankfurt in den Schachverein Frankfurt-Fechenheim. Dort gab es lediglich ein bis zwei Jugendliche und da habe ich gesagt, das kann nicht so bleiben. Also haben wir ungefähr 700 Werbeflyer in den umliegenden Schulen und Haushalten verteilt und hatten in kürzester Zeit rund 35 Jugendliche im Verein.
Unser Verein Heitersheim in der Region Freiburg im Breisgau hat sich seit mehreren Jahren das Thema „Mitgliedergewinnung“ auf die Fahnen geheftet. Obwohl wir nur ein kleines Städtchen mit 7.000 Einwohnern sind, ist der Schachclub in der örtlichen Vereinslandschaft mit 80 Mitgliedern, davon 40 Jugendliche, gut vertreten und auch anerkannt. Dazu kommen noch ca. 40 Kinder in der Schach-AG der örtlichen Grundschule. Man muss aber auch dazu sagen, dass wir uns immer wieder etwas einfallen lassen.
Ein „Baustein unserer Marketingmaßnahmen“ ist bei uns im Klub ein großes Plakat „Schachfreunde gewinnen Schachfreunde. Bring Deinen Bekannten, Freund, Nachbarn… mit“. Dies motiviert auch unsere eigenen Mitglieder, immer mal wieder Leute in den Club mitzubringen.
Außerdem habe ich das badische Projekt 8000+ initiiert, bei dem es darum ging, die Mitgliedszahlen auf über 8000 zu heben. Wir haben mit dem Projekt dreistellig Mitglieder gewonnen. Viele Informationen und Ideen finden sich dazu auch auf der Website des Badischen Schachverbandes.
Insgesamt habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, dass man herausgeht und die Leute trifft. Auf die Stadtfeste, die Märkte, die Parks, dort wo die Leute sind. Dort kommt man ins Gespräch, findet neue Menschen, kriegt Anregungen und Tipps und merkt auch direkt, wie man ankommt und was vielleicht anders oder besser gemacht werden. Und nur dort ist eben auch die direkte Ansprache möglich!
Eine letzte Sache noch. 2021 habe ich einige Ideen und Möglichkeiten wie man erwachsene Anfänger für den Verein gewinnen kann auf einer Online-Konferenz des DSB vorgestellt. Das Video kann auf YouTube angesehen werden und beantwortet viele Fragen zu diesem wichtigen Thema.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 24271