16. Februar 2015
Gustav Richard Neumann. Ein wohl nahezu vergessener Name, was wohl auch am sehr häufig vorkommenden Familiennamen liegen mag. Dabei war Neumann von Dezember 1868 bis Mai 1870 Spitzenreiter der sehr viele Jahrzehnte später aufgestellten Chessmetrics-Weltrangliste von Jeff Sonas.
Am 16. Februar 2015 jährte sich Neumann's Todestag zum 134. Mal. Bei der Vervollständigkeit seiner Daten für unsere Portalbox mit dem Auszug aus unserem Spielerregister fiel mir in der Wikipedia ein Abschnitt ganz besonders auf. Sein in der Deutschen Schachzeitung nach 1870 gemachter Vorschlag einer neuen Remisregel fand später in modifizierter Form Eingang in die Turnierarenen: die Punkteteilung bei dreimaliger Stellungswiederholung.
In der Wikipedia findet sich bei Neumann folgender Abschnitt:
"Im Turnier zu Baden-Baden 1870 verlor Neumann in der 10. Runde mit den weißen Steinen eine 'ewige Partie', die bei 124 Zügen über 12 Stunden dauerte. Sein Gegner Wilhelm Steinitz bediente sich dabei vom 19. bis zum 29.Zug sowie vom 34. zum 40.Zug und vom 87. bis 101.Zug einer ständigen Zugwiederholung. Neumann äußerte sich später in der "Deutschen Schachzeitung" wie folgt dazu: "(...) so bringe ich, zur Vermeidung eines mehrmals im Badener Turnier eingetretenen Falles in Vorschlag, daß nach dreimaliger Wiederholung desselben Zuges von beiden Seiten jeder Spieler das Recht habe, die Partie als unentschieden abzubrechen." In leicht modifizierter Form wurde diese Regel eines Remis durch Zugwiederholung später im Turnierschach üblich und wird bis heute beibehalten."
Schauen wir uns doch einmal die entscheidenden Stellungen aus dieser Partie an, die Neumann später so bitter aufstießen. Bitter deshalb, weil er diese Partie ja verloren hatte.
Es folgte 18. Dg4 Was sonst? 18. ... Lf5 19. Df3 Le4 20. Dg4 Lf5 21. Df3 Le4 22. Dg4 Lf5 23. Df3 Le4 24. Dg4 Lf5 25. Df3 Le4 26. Dg4 Lf5 27. Df3 Le4 28. Dg4 Lf5 29. Df3 Jetzt hatte Steinitz erstmal genug von dem Spielchen und wich mit 29. ... Ld6 ab.
Wenig später ging das Theater von vorne los:
Die Möglichkeiten von Neumann, den Wiederholungen aus dem Weg zu gehen, sind noch deutlich geringer als noch kurz vorher. Er möchte ja kein Material opfern. 34. Dg4 Lf5 35. Df3 Le4 36. Dg4 Lf5 37. Df3 Le4 38. Dg4 Lf5 39. Df3 Le4 40. Dg4 Lf5 41. Txe8 Jetzt weicht Weiß ausnahmsweise mal ab.
Die Partie geht einige Dutzend Züge weiter, bis es irgendwann erneut langweilig wurde:
88. Tg1+ Kf4 89. Tf1 Kg3 90. Tg1+ Kf4 91. Tf1 Kg3 92. Tg1+ Kf4 93. Tf1 Kg3 94. Tg1+ Kf4 95. Tf1 Kg3 96. Tg1+ Kf4 97. Tf1 Kg3 98. Tg1+ Kf4 99. Tf1 Kg3 100. Tg1+ Kf4 101. Tf1 Te8 Jetzt reicht's wieder Steinitz als Erstem.
In heutigen Turnierarenen sieht man solche Endloswiederholungen ja höchstens noch in Blitzturnieren ohne Schiedsrichter. Und selbst da wird mindestens der Spieler intervenieren, der glaubt, daß er über die Zeit gehoben werden soll. Und selbstverständlich kennt jeder ambitionierte Schachspieler heute die Remisregel bei dreimaliger Stellungswiederholung.
Im Turnierschach des 19. Jahrhunderts gab es das noch nicht. Und auch Schachuhren waren noch rar und relativ unbekannt. Auch wenn beim Turnier in Baden-Baden bereits damit gespielt wurde. Der neumodische Schnickschnack führte aber auch dazu, daß Bedenkzeitüberschreitungen gern ignoriert wurden. So überschritt Paulsen gegen de Vere die Zeit, aber der Brite weigerte sich so zu gewinnen und es wurde eine Wiederholungspartie gespielt. Johannes Fischer hat zu dem Turnier 2005 einen schönen Artikel bei ChessBase veröffentlicht.
Auch der wegen des Kriegsausbruchs nach vier Runden abkommandierte, noch relativ unbekannte Deutsche Adolf Stern, verlor die beiden gutstehenden Weißpartien gegen Minckwitz und Steinitz auf Zeit. Seine beiden Gegner erklärten sich aber bereit, trotzdem weiterzuspielen. Gegen Minckwitz gewann Stern, gegen Steinitz wurde es remis.
Pl. | Name | Land | Alter | Rating | Rang | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | Pkt. |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1. | Adolf Anderssen | GEM | 52 | 2714 | 1 | x | 11 | 1½ | 00 | 11 | 1½ | 10 | 11 | 10 | ++ | 13,0 |
2. | Wilhelm Steinitz | 34 | 2696 | 3 | 00 | x | 0½ | 11 | 11 | 11 | 11 | ½0 | ½1 | 11 | 12,5 | |
3. | Joseph Blackburne | 28 | 2578 | 8 | 0½ | 1½ | x | ½0 | 10 | 11 | 1½ | 11 | ½½ | ++ | 12,0 | |
4. | Gustav Neumann | GEM | 31 | 2703 | 2 | 11 | 00 | ½1 | x | 01 | 01 | 11 | 11 | 0½ | ++ | 12,0 |
5. | Louis Paulsen | GEM | 37 | 2638 | 5 | 00 | 00 | 01 | 10 | x | 10 | 1½ | ½+ | 1½ | ++ | 9,5 |
6. | Cecil de Vere | 25 | 2601 | 7 | 0½ | 00 | 00 | 10 | 01 | x | 01 | 01 | ++ | ++ | 8,5 | |
7. | Simon Winawer | 32 | 2614 | 6 | 01 | 00 | 0½ | 00 | 0½ | 10 | x | 11 | 1½ | ++ | 8,5 | |
8. | Johannes von Minckwitz | GEM | 27 | 2513 | 11 | 00 | ½1 | 00 | 00 | ½- | 10 | 00 | x | ++ | 11 | 7,0 |
9. | Samuel Rosenthal | 32 | 2544 | 9 | 01 | ½0 | ½½ | 1½ | 0½ | -- | 0½ | -- | x | ++ | 7,0 | |
10. | Adolf Stern | GEM | 22 | - | - | -- | 00 | -- | -- | -- | -- | -- | 00 | -- | x | 0,0 |
Der erst wenige Monate vor dem Turnier durch einen Wettkampf gegen einen Dr. Erlenmeyer bekanntgewordene Stern, etablierte sich knapp eineinhalb Jahre später mit Rating 2481 auf Platz 13 der Chessmetrics-Weltrangliste. Es blieb seine höchste Plazierung.
Später trat Stern als Präsident des Südwestdeutschen Schachbundes in Erscheinung und war Redakteur der Südwestdeutschen Schachzeitung.
Frank Hoppe
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 19441