12. November 2014
Im Endspurt gleichgezogen: Während ein Männer-Duo, bestehend aus den Internationalen Meistern Matthias Blübaum und Dennis Wagner, nach den ersten beiden Runden der nd-Schachgala in Führung gegangen war, gaben die Frauen in der dritten und entscheidenden Konkurrenz, dem Doppel, noch einmal richtig Gas. Mit Umsicht und Nervenstärke verwandelten Deutschlands Vorzeigespielerin Elisabeth Pähtz und Russlands Europameisterin Walentina Gunina einen zuerst geringen Vorteil in den Gewinn dieser Alles-oder-Nichts-Partie und glichen zum 5:5-Unentschieden aus.
"Ein hochklassiger Wettkampf", lobte Uwe Bönsch, Sportdirektor des Deutschen Schachbundes (DSB), am Ende des Kräftemessens, zu dem das "neue deutschland" zum neunten Mal eingeladen hatte. Und bilanzierte, nachdem er zuvor die Matches vor Schaubildern, die im Nebenraum des Turniersaals an eine Wand projiziert worden waren, für die zahlreichen Fans im nd-Verlagshaus kommentiert hatte: "Ein gerechtes Ergebnis."
Und leidenschaftlich ausgekämpft. Schließlich wurde die diesjährige Ausgabe des Viererduells, das inzwischen zum festen Bestandteil des internationalen Turnierkalenders geworden ist, unter einem ganz besonderen Motto ausgefochten: "Königinnen gegen Prinzen". Die weiblichen Topstars Elisabeth Pähtz (29) und ihre vier Jahre jüngere Kollegin Walentina Gunina, beide sind am Franz-Mehring-Platz bereits mehrmals die Nr. 1 geworden, sollten testen, was die männlichen Nachwuchshoffnungen Matthias Blübaum und Dennis Wagner wirklich drauf haben. Die zwei erst 17-jährigen Jungs absolvieren aktuell ein Zwölf-Monate-Programm des DSB, um zur nationalen Leistungsspitze aufzuschließen, und vor allem der NRW-ler Blübaum hat schon dermaßen aufgedreht, dass er mittlerweile auf Großmeisterniveau spielt. Die offizielle Verleihung des entsprechenden Titels an den Abiturienten aus Lemgo auf dem nächsten Kongress des Weltschachbundes FIDE ist daher bloß noch Formsache.
Karrierefrauen und männliche Teens, die sich beweisen müssen: eine brisante Konstellation. Zumal sich die nd-Schachgala 2014 auf diese Weise eingebettet fand in den Kontext einer Dauerdiskussion, die regelmäßig die Gemüter erhitzt: Warum sind nur wenige Frauen ganz oben in den Ratinglisten zu finden? Spielen Männer wirklich besser Schach als Frauen?
Folgerichtig drängten sich die Interessierten im Münzenbergsaal, als Schiedsrichter Horst Metzing um 15.15 Uhr die Turnieruhren in Gang setzte. Zu den fachkundigen Zuschauern gehörten Paul Werner Wagner, Vorsitzender der Berliner Emanuel Lasker-Gesellschaft, DSB-Geschäftsführerin Heike Quellmalz und Axel Eger, Schachexperte der Thüringer Allgemeinen in Erfurt. Sogar die Schauspielerin und Sängerin Vaile wollte den Ausgang des Geschlechterkampfes um Dame und König miterleben. Die Berlinerin, dem TV-Publikum aus der ARD-Reihe "Marienhof" bekannt, ist selber eine Liebhaberin des Königlichen Spiels, hat ständig ein Miniset dabei. Gerne überredet die 34-Jährige andere Gleichgesinnte aus der Promi-Szene zu einem geistvollen Tête-à-Tête am 64-Felder-Brett, die Liste reicht vom Rapper Smudo ("Fantastische Vier") bis zur Filmproduzentenlegende Artur "Atze" Brauner. Vaile fand das neue Format der nd-Schachgala, ein gemischtes Feld statt reiner Frauenkonkurrenz, "längst überfällig". Die im Denksport sonst übliche Geschlechtertrennung sei "antiquiert"; vielleicht würden sich mit zunehmendem Lebensalter unterschiedliche Interessen herausbilden, grundsätzlich aber seien Frauen und Männer gleichermaßen befähigt, Schach auf hohem Niveau zu spielen.
Dass Schach tatsächlich nicht nur ein Jungensding ist, ließ sich beim Mädchenturnier im Rahmenprogramm der nd-Gala beobachten. Die Kandidatinnen aus Berlin und Brandenburg schenkten sich nichts, gnadenlose Konfrontation war angesagt, und als die Siegerin Laura Kribben während der Pause nach der ersten Runde des Hauptturniers als Extrabonus gegen Dennis Wagner ausprobieren durfte, wie es sich anfühlt, im Blitzschach einen echten Profi vor sich zu haben, war das für die Zehnjährige kein Grund, vor Ehrfurcht zu erstarren. Statt dessen griff sie beherzt an, und Wagner musste, nachdem er die anfängliche Verblüffung überwunden hatte, alle Register seiner Routine ziehen, um sich nicht zu blamieren.
Ähnlich das Bild der Simultan-Vorstellung, die Elisabeth Pähtz und Walentina Gunina gleichzeitig im hinteren Teil des Spielsaales gaben. Die Gala-Ladys rackerten, ihre Gegnerinnen aus der nachwachsenden Generation - zu denen sich auch Sängerin Vaile gesellt hatte - wollten es wirklich wissen. Und waren so cool drauf, dass Brettnachbarinnen der Künstlerin (plötzlich war Vailes stärkste Figur futsch) über die Schulter heimlich Tipps zuraunten, um der deutlich Älteren aus der Patsche zu helfen.
Am Ende allerdings vergeblich, die Meisterinnen ließen nichts anbrennen. Aber eigentlich waren die Einzelergebnisse hier auch weniger wichtig, die Spielfreude stand im Vordergrund. Und Sport, der Freundschaft schafft: ein Aspekt, der zum Markenzeichen der nd-Schachgala geworden ist und in diesem Jahr besondere Aktualität erlangt hat. Schließlich war es - vor dem Hintergrund der Spannungen, die gegenwärtig das deutsch-russische Verhältnis belasten - keine Selbstverständlichkeit, dass die Deutsche Elisabeth Pähtz und die Russin Walentina Gunina ein Team bildeten, beim Simultan und während der Rundenkämpfe. Sondern eine klare Aussage mit einer unmissverständlichen Botschaft an die Politik: Schach verbindet.
Ein Leitmotiv, das eine der Anwesenden mit großer Freude zur Kenntnis nahm: die Berliner Korrespondentin der russischen Tageszeitung "Rossijskaja gaseta". Die Vorboten eines neuen Kalten Krieges, sie sind zum ständig wiederkehrenden Thema für Anna Rose geworden, und um so wichtiger war der Journalistin, dass die nd-Schachgala 2014 dagegen ein Zeichen gesetzt hat. Und sie drückte natürlich ihrer Landsfrau Walentina Gunina die Daumen. Die Europameisterin wiederum erfüllte alle in sie gesetzten Erwartungen, bildete das Rückgrat des Tandems Pähtz & Gunina. Walentina Gunina blieb nervenstark auch in bedrängter Lage, und sie holte in der zweiten Runde, für die der Blitzschach-Modus galt (drei Minuten Bedenkzeit plus zwei Sekunden Zuschlag pro Zug), wichtige Punkte.
Noch lagen die Frauen jetzt mit 3:5 Zählern zurück, und die spannende Frage war: Wie würden die Paare untereinander im abschließenden Doppel harmonieren? Denn jetzt musste abwechselnd gezogen werden, aber Absprachen waren nicht erlaubt. Die Spannung stieg bis ins schier Unerträgliche, und während die Finalpartie ins Rollen kam, kletterte Elisabeth Pähtz sogar auf ihren Stuhl, wie auf dem Sprung, um das Brett aufzumischen.
Und die Aufholjagd gelang. Walentina Gunina und Elisabeth Pähtz setzten die Männer sofort unter Druck, kneteten die Kerle erst sanft, dann schmerzhaft spürbar, bis die Jungs plötzlich einbrachen. Nach den Regeln des Turniers wurde das Ergebnis des Doppels - logisch! - doppelt gewertet, und die Frauen hatten ein ehrenvolles Remis geschafft.
"Wir kennen uns eben gut, Walentina Gunina und ich haben auch früher schon viele Partien gespielt", verriet Elisabeth Pähtz hinterher das Erfolgsrezept der Frauen. Und Schiedsrichter Horst Metzing hielt es durchaus für möglich, dass dieses dramatische Doppel vielleicht Schachgeschichte schreiben werde: Einen derartigen Modus habe es bisher auf Turnieren nicht gegeben, aber der sei toll und werde künftig womöglich "nd-System" heißen.
Die Zukunft wird es zeigen. Im Jahr 2015 steht die zehnte Schachgala auf dem Programm, und für die Jubiläumsausgabe hat nd-Geschäftsführer Olaf Koppe in seinem Schlusswort an die Teilnehmer einige Überraschungen versprochen.
René Gralla
Der Artikel erschien im Original mit (anderen) Fotos im "neuen deutschland" am 8. November, hier nachzulesen.
Durchgang 1:
Matthias Blübaum - Walentina Gunina 0,5:0,5
Dennis Wagner - Elisabeth Pähtz 1:0
Durchgang 2:
Walentina Gunina - Dennis Wagner 0:1
Elisabeth Pähtz - Matthias Blübaum 1:0
E.Pähtz/W.Gunina - M.Blübaum/D.Wagner 1,5:2,5 (Ergebnis wird einfach gewertet)
Durchgang 1:
Matthias Blübaum - Walentina Guinina 1:0
Dennis Wagner - Elisabeth Pähtz 1:0
Durchgang 2:
Walentina Gunina - Matthias Blübaum 1:0
Elisabeth Pähtz - Dennis Wagner 1:0
Durchgang 3:
Walentina Gunina - Dennis Wagner 0:1
Elisabeth Pähtz - Matthias Blübaum 0:1
Durchgang 4:
Dennis Wagner - Walentina Gunina 0:1
Matthias Blübaum - Elisabeth Pähtz 1:0
E.Pähtz/W.Gunina - M.Blübaum/D.Wagner 3:5 (Ergebnis wird nur zu 50 % gewertet, daher per Saldo 1,5:2,5)
E.Pähtz/W.Gunina - M.Blübaum/D.Wagner 3:5
E.Pähtz/W.Gunina - M.Blübaum/D.Wagner 1:0 (Ergebnis wird doppelt gewertet, daher per Saldo 2:0)
E.Pähtz/W.Gunina - M.Blübaum/D.Wagner 5:5
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 19099