28. November 2012
Wie feiert man seinen 60. Geburtstag sinnvoll - noch dazu, wenn dieses Jubiläum eine Schachgruppe begeht, und die das Prädikat "außergewöhnlich" zurecht trägt? Die Rede ist von jener in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Straubing, die unlängst auf sechs Jahrzehnte ihres Bestehens zurückblicken konnte.
Dass man zu einem solchen Fest Gäste einlädt ist normal, und die kamen auch gern, um in der JVA-Mehrzweckhalle nicht nur den Festrednern zu lauschen. Völlig zurecht stand dabei mit Max Holzmann ein Mann im Mittelpunkt, dessen Verdienste gar nicht hoch genug gelobt werden konnten. Dem inzwischen 85-Jährigen ist es beispielsweise zu verdanken, dass die Schachgruppe der JVA zum Spielbetrieb in der Kreisliga 1987 zugelassen wurde und die Mannschaft sieben Jahre später in die Bezirksliga West von Niederbayern aufgestiegen ist. Noch heute ist Max, der nach zweimal den Titel des Niederbayerischen Einzelmeisters gewann und zehnmal Straubinger Stadtmeister wurde, jeden Montag zum Training in der JVA, dass er seit 60 Jahren nur zweimal wegen Krankheit ausfallen lassen musste. Wie lautete doch die Schlagzeile der Sonderbeilage 60 Jahre Schachlehrer Max Holzmann der "Kleinen Schachpost": "Ein Ehrentag für die Ewigkeit!"
Und damit sich der Jubilar auch an jenen 17. November 2012 mit Freude und Stolz erinnern kann, gab es Auszeichnungen. So verlieh ihm der Niederbayerische Bezirksverband die Goldene Ehrennadel, und der Deutschen Schachbund würdigte sein Wirken für das Schach mit dem DSB-Ehrenteller.
Für mich als Augenzeuge war allerdings die warmherzige Ansprache von JVA-Anstaltsleiter Matthias Konopka am bewegendsten, denn ihm gelang es die persönliche Lebensleistung von Max Holzmann, der durch seinen Vater, der als "Vereinsgründer" in die Geschichte der Schachgruppe eingegangen ist, sehr menschlich und damit nachhaltig zu würdigen.
Dass das Schachspiel in der JVA Straubing durch Max Holzmann und seine Mitstreiter zu ein wichtigen Brücke ins Leben wurde, ist unbestreitbar. So sehen es jedenfalls die Mitglieder der SG selbst. "Wir sind der lebende Beweis für die Erkenntnis: 'Wer denkt, sägt nicht am Gitter!'. Was wie ein Scherz klingt, ist aber die positive Erkenntnis, dass man durch strategische Planung, Disziplin und solide Organisation sich gute Chancen erarbeiten kann, um später im 'normalen' Leben wieder Fuß fassen zu können."
Für Schachspieler heißt feiern selbstverständlich selbst Schach spielen. Und so wurde zu einer Simultangala der Extraklasse eingeladen, bei der Robert Rabiega an 47 Brettern Schwerstarbeit zu leisten hatte, während es sein Großmeisterkollege Dr. Helmut Pfleger bei seinem Vortrag über die schönsten Partien der Schachgeschichte eher ruhiger angehen durfte.
Nun, wie geht man so eine Herausforderung an - ursprünglich sollten es dem Jubiläum angemessen sogar 60 Gegner sein, denen sich der Berliner stellen wollte, aber leider waren einige eingeladenen Gäste terminlich verhindert - und das in einer Zeit von maximal fünf Stunden? Außerdem verzichtete Robert darauf, an allen Brettern die weißen Steine zu haben, was im Simultan üblich ist, sondern er wechselte ständig die Farbe.
Entscheidend ist sicher die Einstellung, und da hatte der 41-Jährige vorab ausgeben, dass "wir gemeinsam Freude am Schach haben wollen", also spielte er auch nicht unbedingt ergebnisorientiert. Und das kam wirklich an, wie mir in einer E-Mail Enrico Klein vom Pädagogischen Dienst der JVA mitteilte: "Ich habe in der Nachbereitung des Tages hier nur positive Rückmeldungen erhalten, wobei immer wieder der Respekt über die großartige Leistung von GM Rabiega zum Ausdruck kam. Insbesondere seine freundliche Art sind hier gut angekommen. Ich wäre sehr froh, könnten wir diesen Kontakt noch länger pflegen. Bitte übermitteln Sie Herrn Rabiega ganz liebe Grüße von uns allen hier aus Straubing. Ich kann Ihnen versichern, dass Roberts Spiel alle begeistert hat, denn wenn unser Anstaltsleiter mit konstanter Ausdauer hinter dem GM nach geht und seine Züge begutachtet, dann ist dies sogar für uns neu und bemerkenswert. Vielleicht haben wir ja einen neuen Spieler gewonnen...?"
Nun, dass der Kontakt zur JVA-Schachgruppe bestehen bleiben wird, ist schon dem Fernschach-Match geschuldet, das ja noch nicht entschieden ist und weiterhin läuft. Und Robert hat ja auch vor Ort nach dem Simultan, dass er mit dem respektablen Resultat von +36 =9 –2 beendete, schon versprochen, dass er nicht nur zur abschließenden Analyse der beiden Partien nach Straubing kommen will, sondern voraussichtlich im Sommer kommenden Jahres auch ein Sondertraining mit den Spielern der Bezirksliga-Mannschaft in Straubing durchführen wird.
Was die beiden Verlustpartien von Robert angeht, so schafften das mit Werner Schubert (DWZ 1918) und Erich Kreilinger (1871) zwei starke Vereinsspieler vom TV 1862 Geiselhörig, die zu dein eingeladenen Gästen gehörten. Unter den neun Gegnern, die zu einer Punkteteilung kamen, waren neben der Stellvertretenden Anstaltsleiterin Anja Ellinger auch drei Aktive der JVA-Schachgruppe und ihr Trainer Max Holzmann. Der hatte es bereits in der Vergangenheit den prominenten Großmeistern schwer gemacht, wie ein Blick in die Statistik zeigt: zweimal gewann er gegen Dr. Helmut Pfleger, ein Sieg gelang ihm gegen Ludek Pachman, und dazu kommen zwei Unentschieden gegen Dr. Robert Hübner und den Bundestrainer Uwe Bönsch. Das sind Ergebnisse, die sich wahrlich sehen lassen können.
Hier nun zwei ausgewählte Partien. Die Formulare wurden eigens für dem Anlass gedruckt und dürften für alle Teilnehmer einen besonderen Erinnerungswert haben. Außerdem erhielt jeder eine Faksimile-Ausgabe des ersten Jahrgangs der Kleinen Schachpost von 1964 und eine CD 1952 – 2012 Schachgemeinschaft JVA Straubing.*
Weiß: Werner Schubert
Schwarz: Robert Rabiega
Englische Eröffnung [A28]
1.c4 e5 2.Sc3 Sf6 3.Sf3 Sc6 4.e4 Lc5 5.Sxe5 Sxe5 6.d4 Lb4 7.dxe5 Sxe4 8.Dd4 Sxc3 9.bxc3 Le7 10.Dg4 g6 11.Lh6 d6 12.Dg3 Le6 13.Td1 Dd7 14.Le2 Da4 15.0–0 0–0–0 16.Tb1 d5 17.cxd5 Lxd5 18.Lb5 Da5 19.De3 Kb8 20.c4 Le6 21.Lc6 b6 22.Df3 g5 23.Tfc1 Dc5 24.La8 Lc8 25.Ld5 Le6 26.La8 c6 27.Dxc6 Dxc6 28.Lxc6 Kc7 29.Ld5 Thg8 30.h4 gxh4 31.Le3 h3 32.g3 Lg5 33.Lxg5 Txg5 34.Lxe6 fxe6 35.c5 Kb7 36.Tb5 Ta8 37.cxb6 axb6 38.Tcb1 Ta6 39.T1b2 Tg4 40.Kh2 Tga4 41.Kxh3 Kc7 42.Tc2+ Kb7 43.Tbb2 Te4 44.f4 Ta3 45.Kh4 Tee3 46.Tg2 Kc7 47.Tbd2 Te1 48.Td6 Ta1 49.Tc2+ Kb7 50.Tb2 Ta6 51.Txe6 T1xa2 52.Texb6+ Txb6 53.Txa2 [1-0]
Weiß: G. G. (JVA-Schachgruppe)
Schwarz: Robert Rabiega
Damengambit[D35]
1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sc3 d5 4.Lg5 Sbd7 5.cxd5 exd5 6.Sf3 c6 7.e3 Le7 8.Le2 0–0 9.0–0 Te8 10.Dc2 Sf8 11.Tfc1 Se4 12.Lxe7 Dxe7 13.Ld3 Lf5 14.Lxe4 dxe4 15.Sd2 Lg6 16.Se2 Se6 17.Sg3 f5 18.Dc4 Kh8 19.f4 exf3 20.Sxf3 Sg5 21.Se5 Sf7 22.Sxg6+ hxg6 23.Te1 Sd6 24.Dd3 Dg5 25.Te2 Se4 26.Sxe4 Txe4 27.Tf1 Tae8 28.Tf3 T8e7 29.Th3+ Kg8 30.Db3+ T4e6 31.d5 cxd5 32.Dxd5 Kf7 33.Tf3 Df6 34.g4 De5 35.Dc4 b5 36.Db3 Kf6 37.h4 Tc7 38.g5+ Ke7 39.Db4+ Dc5 40.Dxc5+ Txc5 41.Tf4 Tce5 42.Kf2 a5 43.Kf3 Te4 44.b3 a4 45.bxa4 bxa4 46.a3 T6e5 47.Kf2 Ke6 48.Kf3 Kd5 49.Td2+ Kc4 50.Td4+ Kb3 51.Tfxe4 fxe4+ 52.Kf4 Te7 53.Td6 Kxa3 54.Txg6 Tb7 55.h5 Kb2 56.h6 gxh6 57.gxh6 a3 58.Tg7 Tb5 59.Kxe4 a2 60.Tg1 a1D 61.Txa1 Kxa1 62.Kd4 Th5 63.e4 Kb2 64.e5 Txh6 65.Kd5 Th5 66.Kd6 Kc3 67.e6 Kd4 68.e7 Td5+ 69.Ke6 Te5+ 70.Kd7 [1/2]
Partien (PGN)
Übrigens fand die Schachgala sowohl in den Printmedien als auch online deutschlandweit ihr verdientes Echo. Das sollte nicht nur alle Beteiligten hoffentlich zu neuen außergewöhnlichen Projekte im Interesse einer breiten Öffentlichkeitsarbeit für den Schachsport ermutigen...
* Die CD kann bei Arnold Kasberger vom Pädagogischen Dienst der JVA Straubing bestellt werden. Einfach eine E-Mail an folgende Adresse schicken: arnold.kasberger@jva-sr-bayern.de. Sie enthält die Chronik der Schachgemeinschaft, die erste Jahressausgabe der KLEINEN SCHACHPOST aus dem Gründerjahr 1964, die Kleine Schachpost von 2009 bis heute, viele knifflige Matträtsel und als Besonderheit ein Schachlexikon, das einmalig ist.
Text: Raymund Stolze
Fotos: Arnold Kasberger
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 598