6. Juli 2018
Die Feierlichkeiten am 30. Juni im Erfurter Schachklub waren geprägt von einer Exkursion durch die Geschichte des Vereins, der im August 1950 als Schachabteilung bei der BSG Motor West Erfurt gegründet wurde. Nach den Namensänderungen BSG Funkwerk Erfurt (1972 - 1984), BSG Mikroelektronik Erfurt (1984 - 1990) und SV Erfurt-West 90 (ab 1990), trennte sich die Schachabteilung 1998 vom Hauptverein und wurde als Erfurter Schachklub eigenständig. Auch wenn der Klub seit dem Mauerfall 1989 dreizehn Jahre in der 1. Bundesliga spielte, so war doch der erfolgreichste Zeitraum die 1980er Jahre, mit den DDR-Blitzmannschaftsmeisterschaften 1982 und 1983, sowie dem überraschenden Sieg in der DDR-Oberliga 1988. Acht der damals zwölf Spieler, Betreuer und Trainer trafen sich nun nach 30 Jahren wieder. Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler, der 1988 mit zum DDR-Meisterteam gehörte, brachte gleich drei Lasker-Medaillen aus der DSB-Geschäftsstelle mit. Damit wurde nicht nur die Mannschaft insgesamt, sondern speziell auch Heinz Rätsch (im DSV/DSB bis 1999 Damen- und Bundesnachwuchstrainer) und Joachim Brüggemann (seit 2010 Vereinsvorsitzender) geehrt. Rätsch erhielt die Auszeichnung für seine langjährige Trainertätigkeit in Erfurt, Thüringen und Deutschland, Brüggemann für die langjährige Arbeit im Verein.
Joachim Brüggemann begrüßte zu Beginn die anwesenden Schachfreunde und -freundinnen, "Ehefrauen, Kinder, Gäste und Veteranen, welche das Erfurter Schach über viele Jahrzehnte geprägt und gestaltet haben." Alsdann fuhr er fort mit einem Vortrag über die Entwicklung des Erfurter Schachs und speziell seines Vereins.
Der Erfurter Schachklub steht in einer einzigartigen und langen deutschen Schachtradition. Als Betriebssportgemeinschaft (BSG) Motor West Erfurt in den 1950er Jahren gegründet, führt die Traditionslinie über die BSG Funkwerk Erfurt, dann über die SG EVB/Funkwerk zur BSG Mikroelektronik Erfurt in den 1980er Jahren. Als „Vater des Erfurter Schachs“ gilt Heinrich Brüggemann (1928 - 2000). Er war über 30 Jahre Vorsitzender der BSG Mikroelektronik Erfurt.
Ein paar Gedanken, ein Rückblick auf einen Weg und die Hintergründe dieses Erfolges: In den 1960er Jahren gab es mehrere Vereine mit guter Nachwuchsarbeit. Die BSG Motor West Erfurt zählte hierzu und wurde bei den Schülern 1963 erstmals Bezirksmeister, Lok Erfurt DDR-Meister und Motor West Erfurt 1968 erstmals DDR-Jugendmeister. Zu dieser Zeit dominierten im Spitzenschach der DDR vier Sportklubs, zu denen immer die besten Talente delegiert wurden. So spielten auch Thomas Pähtz und Joachim Brüggemann bei diesen (Brüggemann 1972 mit der SG Leipzig DDR Meister). Um konkurrenzfähig zu werden wurde 1971 die Spielgemeinschaft EVB/Motor West Erfurt gegründet. Die damaligen Vorsitzenden waren Heinrich Brüggemann und Josef Niepel. Mit dieser Mannschaft erfolgte 1972/73 der Aufstieg in die DDR-Liga und ein Jahr später der Aufstieg in die Sonderliga (Oberliga). In diesem Zeitraum stießen Joachim Brüggemann und Thomas Pähtz zu dieser Mannschaft. Die beiden Betriebe, die Erfurter Verkehrsbetriebe (EVB) und Funkwerk Erfurt, stellten die erforderlichen Spielräume und die finanziellen Voraussetzungen her. Der Plan bestand darin, zukünftig vielen jungen Spielern aus Erfurt und aus der Region Thüringen eine sportliche und berufliche Ausbildung und Zukunft zu geben. In den folgenden 10 Jahren wurden zahlreiche Talente, i. d. R. 14 Jahre alt, nach Erfurt geholt und in der 1. Mannschaft eingesetzt. In der Reihe nur beispielhaft aufgezählt und stellvetretend für alle: Thomas Luther, Henrik Teske, Peter Enders, Matthias Müller, Norbert Krug, Michael Recknagel, Michael Schwarz, Udo Seidens oder Mario Hackel. Später stieß Bernd Vökler nach Beendigung seines Armeedienstes hinzu. 1981 kam ein erster völlig überraschender Erfolg, die SG EVB/Funkwerk Erfurt wurde DDR-Vizemeister. Noch fehlten uns die Großmeister, die nun einmal die Qualität eines Meisters ausmachen, aber Thomas Pähtz und Peter Enders waren auf dem Weg zum Großmeister.
Unser Anlass für diese kleine Festveranstaltung ist die Würdigung und Erinnerung an eine deutsche Meistermannschaft. Im Jahre 1988 schaffte die damalige Mannschaft der BSG Mikroelektronik Erfurt das „Wunder von Berlin“ und wurde erstmals DDR-Meister. Bestandteil dieser Mannschaft waren folgende Spieler, Betreuer und Trainer:
Besonders möchte ich die Anwesenheit von Heinz Rätsch (Gotha) und Joachim Franz (Erfurt) hervorheben. Beide über 80 Jahre alt und kein bisschen schachmüde. Christian August berichtete über die Vorbereitungen seinerzeit. Nach dem Reglement hatten wir 3,5 Punkte Rückstand, mussten also das direkte Duell gegen Empor HO Berlin mindestens 18:14 gewinnen. Mit 21,0 zu 11,0 gelang uns das großartig. Das Wunder von Berlin war vollbracht. Leider konnte die Herausforderung des Meisters der BRD, der SG Solingen in diesen politisch komplizierten Zeiten nicht realisiert werden. Die Recken spielten gleich ein kleines Blitzturnier, welches jedoch die „Neumeister“ um Christian Troyke gegen die „Altmeister“ um Joachim Franz knapp gewannen.
Mit der Entwicklung von Luther und Teske wurde die Mannschaft immer stärker. Thomas Pähtz wird 1988 erstmalig DDR-Meister der Männer. Zwei Jahre später gelang ihm das zum zweiten Mal. Im Jahr 1990 wurde der SV-Erfurt West 90 e.V. gegründet und stieg als letzter DDR-Meister 1991 in die Bundesliga auf. Um die inzwischen in ganz Deutschland verstreuten Thüringer Spitzenspieler in unseren Verein zu holen und somit dauerhaft eine mitbestimmende Rolle im deutschen Spitzenschach einzunehmen, wurde im Jahr 1998 der Erfurter Schachklub e. V. (ESK) mit seinem ersten Vorsitzenden Norbert Krug gegründet. Die bisherigen Vorsitzenden des Erfurter Schachklubs:
Heiko Kieser und Matthias Müller erhielten eine Flasche Wein aus 2017 von der DEM in Apolda als Dank und Anerkennung.
In der Tradition des neuen Klubs standen und stehen national und international hoch geschätzte Namen:
WGM Elisabeth Pähtz (von ihrem Vater Großmeister Thomas Pähtz ständig trainiert und betreut) wurde 81 Jahre nach Emanuel Lasker zweiter deutscher Schachweltmeister (FIDE-Kategorie unter 18 Jahre weiblich) im Jahre 2002. Diese Leistung bestätigte und untermauerte die Großmeisterin im Jahre 2005 und wurde Weltmeisterin der U20, nachdem sie im Jahr 2004 bereits Vizeweltmeisterin der U20 wurde. Der Vater von Elisabeth Pähtz hat große Verdienste für das reiche Schachleben in der Region, im ESK und für den Nachwuchs, vor allem aber auch als Trainer und Erfolgsgarant für seine Tochter.
GM Thomas Luther wurde dreimal deutscher Meister. Er spielte jahrelang in der Nationalmannschaft und erspielte mit dem besten Einzelergebnis der Mannschaft eine Silbermedaille bei der Schacholympiade 2000, das beste jemals erzielte Resultat einer deutschen Nationalmannschaft.
Unbedingt in diese Phalanx gehört Großmeister Peter Enders, der schon als Elfjähriger (damals noch bei Lok Naumburg) die Weltmeisterlegende Michael Tal in einer Simultanpartie schlug. Er steht geradezu für den Schachstandort Erfurt. In „Schach“ Nr. 1/2003 kann man auf Seite 34 lesen: „Erfurt hat für eine Stadt mittlerer Größe ein sehr reiches Schachleben. Es gibt nicht überdurchschnittlich viele Schachspieler, allerdings ist das Niveau insgesamt sehr gut. Das zeigt sich schon daran, dass wir eine Bundesligamannschaft haben, die praktisch nur aus Spielern besteht, die in Erfurt wohnen. Thomas Pähtz war in seinen besten Zeiten ein sehr starker Spieler. Jetzt hat er gezeigt, dass er auch ein hervorragender Trainer ist. Seine Tochter ist sehr erfolgreich. Nie zuvor hatte ein deutsches Mädchen im Schach überhaupt einen internationalen Erfolg.“ Jeder kennt GM Peter Enders. Ich glaube, Peter ist immer noch der Einzige, der alle drei deutschen Einzeltitel im Normal-, Schnell- und Blitzschach im selben Jahr gewonnen hat.
GM Henrik Teske hat ebenfalls sehr lange in Erfurt gespielt. Solche Stammspieler des ESK in der höchsten Spielklasse des DSB wie Enders, die IM Thomas Casper und Matthias Müller verstärkt mit den jungen IM Heiko Machelett und Christian Troyke sichern ein hohes Ansehen des Klubs und geben ihm ein spezifisches regionales Gepräge. Bernd Vökler und Joachim Brüggemann gehören ebenso zur 1. Männermannschaft, die seit dem Wiederaufstieg in die erste Bundesliga in der Spielsaison 2007/2008 im wunderschönen Spielsaal im Victor’s Residenz Hotel gespielt. Zuletzt bot das Radisson im 17. Stockwerk die Kulisse für Bundesliga 2015/16 in Erfurt.
Seit 1987/88 ist die Tennisanlage mit Schachzentrum am Nettelbeckufer die Spiel- und Trainingsstätte des ESK. Durch enormen finanziellen und personellen Einsatz haben wir in den letzten zwei Jahren das Spiellokal modernisiert, neueste Technik installiert, darunter zwei Beamer und einen PC-Arbeitsplatz. Neue Tische und Stühle wurden angeschafft und die gebrauchte Küche aus dem Gründungsjahr des SV Erfurt West 90(!!) wurde modern ersetzt. Durch gute Werbung wurden ca. 15 neue Mitglieder hinzugewonnen. Den größten Erfolg im Nachwuchsbereich erzielte Margarethe Wagner, die 2018 Deutsche Vizemeisterin in der U12w und deutsche Amateurmeisterin wurde.
Anlässlich der heutigen Feier wurden drei Lasker-Medaillen des Deutschen Schachbundes vergeben. Die Preisträger sind Heinz Rätsch, Joachim Brüggemann und die Meistermannschaft von 1988. Zufällig ergeben die beiden Lebensalter von Heinz und Joachim addiert genau die 150 Jahre, welche wir in diesem Lasker-Jahr feiern.
Die Würdigung dieser beiden Schachenthusiasten erfolgte durch eine kurze Laudatio von Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler, der 2003 die indirekte Nachfolge von Heinz Rätsch antrat. Jedes Mitglied der Meistermannschaft erhielt eine eigene Erinnerungsmedaille, da das Original einen Ehrenplatz in der Trophäensammlung bekommt.
Der Tag klang mit einem Grillfest auf der Tennisanlage stilvoll thüringisch aus.
// Archiv: DSB-Nachrichten - Laskerjahr // ID 22595