26. September 2014
Normalerweise hat eine Turniervorschau - jedenfalls von diesem Autor - etwa diese Elemente: ein bisschen was zu Austragungsort und Geschichte des Turniers, einige Worte zu den Spielern und dann ein paar praktische Informationen. Wann wird gespielt (umgerechnet auf mitteleuropäische Zeit), wann wird nicht gespielt (Ruhetage), was wird Zuschauern im Internet eventuell zusätzlich geboten, z.B. Livekommentar. Was Zuschauern (und Journalisten) vor Ort geboten wird, kann ich meistens weder vor noch während dem Turnier erwähnen - da ich in den seltensten Fällen selbst vor Ort bin.
Diesmal werde ich etwas weiter ausholen, da das Turnier Teil einer Serie ist, bei der man sich für das nächste Turnier - Kandidatenturnier geplant im März 2016 - qualifizieren kann. Aber auch Spieler, die das am Ende nicht schaffen oder von Anfang an relativ chancenlos sind, können immerhin drei starke Turniere mitspielen - unter den Teilnehmern sind auch einige, die derlei Chancen sonst nicht allzu oft bekommen. Bevor ich ins Detail gehe, der konkret anstehende Termin: das erste Turnier der dritten FIDE GP Serie wird vom 2.-14. Oktober in Baku ausgetragen.
Was ist die FIDE Grand Prix Serie?
Grob gesagt: Spieler werden - weitgehend - nach objektiven Kriterien ausgewählt, und die beiden mit dem besten Gesamtergebnis qualifizieren sich für das Kandidatenturnier. Objektive Kriterien nenne ich gleich noch etwas ausführlicher, es sind vor allem die Elozahlen und damit sind natürlich vor allem die "üblichen Verdächtigen" dabei. So sollte es sein, schliesslich geht es am Ende um die Weltmeisterschaft und alle etablierten Weltklassespieler sollten die Chance haben, Weltmeister zu werden. Einige dieser 'Verdächtigen' verzichte(te)n allerdings auf die Teilnahme an der GP-Serie - wohl da sie nicht in ihren Terminkalender passt und/oder weil sie davon ausgehen, sich anderweitig für das Kandidatenturnier zu qualifizieren (bzw. in zwei Fällen bereits mindestens dafür qualifiziert sind).
Die beiden ersten GP-Serien hatten sechs Turniere, jeder spielte vier davon und die drei besten Ergebnisse zählten für die Gesamtwertung. Da FIDE diesmal offenbar Probleme hatte, Ausrichter zu finden, gibt es 2014/2015 nur vier Turniere, jeder spielt drei und es gibt kein Streichresultat. Streichresultate begünstigten tendenziell instabile Spieler (nachweislich Topalov, potentiell z.B. Nakamura) gegenüber konstanteren Spielern wie z.B. Caruana. Dabei spielt auch eine Rolle, dass es in jedem Turnier für die ersten drei Plätze Bonuspunkte in der GP-Wertung gibt.
Wie konnte man sich qualifizieren? Wer hat die Einladung angenommen?
Eingeladen wurden die beiden WM-Finalisten Anand und Carlsen, aber beide verzichteten da sie im November einen anderen wichtigen Termin haben und, wie angedeutet, bereits mindestens für das nächste Kandidatenturnier qualifiziert sind. Eingeladen wurden die vier Finalisten des Weltcups 2013, Sieger Kramnik verzichtete. Damit sind die relativen "nobodies" Andreikin und Tomashevsky dabei, aber das war auch die einzige Möglichkeit um Aufsteiger Vachier-Lagrave zu integrieren (wobei es die Regel sicher vor Beginn des Weltcups gab).
Eingeladen wurden die fünf Elobesten die sich nicht anderweitig qualifizierten, dabei zählt der Mittelwert von Mai 2013 bis April 2014. Ein langfristiger Mittelwert ist aus meiner Sicht sinnvoll - ich mag Spieler wie Eljanov und Movsesian durchaus und sie sind respektable GMs, aber auch wenn sie mal zu Besuch in der top10 waren sind es keine absoluten Weltklassespieler. Benachteiligt werden damit zuletzt stark verbesserte Spieler, bevorzugt werden Spieler die momentan nominell etwas schwächer sind als im Wertungszeitraum. Da auch Aronian und Topalov verzichteten, konnten insgesamt fünf Spieler über die Eloliste nachrücken.
Dann durfte FIDE-Präsident Ilyumzhinov einen Spieler nominieren und wählte Anish Giri - völlig in Ordnung, auch wenn er bereits für die zweite GP-Serie einen Freiplatz bekam. Dann konnten die Ausrichter bzw. AGON in deren Auftrag vier Spieler nominieren: Jakovenko, Radjabov, Kasimdzhanov, Ghaem Maghami - damit ist bereits angedeutet, wo die Turniere stattfinden werden.
Dabei sind insgesamt (in alphabetischer Reihenfolge) Andreikin, Caruana, Dominguez, Gelfand, Ghaem Maghami, Giri, Grischuk, Jakovenko, Karjakin, Kasimdzhanov, Mamedyarov, Nakamura, Radjabov, Svidler, Tomashevsky und Vachier-Lagrave. In jedem Turnier fehlen davon vier, in Baku fehlen (nun nach Elo sortiert) Vachier-Lagrave, Giri, Jakovenko und Ghaem Maghami.
Man kann munter spekulieren, wer warum die Einladung ablehnte. Bei Anand und Carlsen ist es naheliegend und nachvollziehbar. Aronian dachte vielleicht, dass er sich sicher über Elo für das Kandidatenturnier qualifizieren kann - Meldeschluss war vor dem Sinquefield Cup. Topalov äusserte sich in Interviews "wenn ich das Kandidatenturnier nicht gewinnen kann, muss ich auch nicht mitspielen" - ausserdem sind er und sein Manager Danailov ziemlich anti-FIDE und anti-Russland. Bei Kramnik vermute ich, dass er (unabhängig davon ob er seine Karriere demnächst beendet oder nicht) das brennende Interesse am nächsten WM-Zyklus verloren hat.
Die Austragungsorte
Da könnte ich - inklusiv Rückblick - Romane schreiben, fasse mich aber relativ kurz. Bei der ersten GP-Serie 2008-2010 machten diverse Ausrichter einen Rückzieher, wohl vor allem wegen der finanziellen Krise. Damit wurde das Turnier zum "Kaukasus-Cup" mit relativ bekannten (Baku, Sochi, Elista) und eher unbekannten (Nalchik, Jermuk, Astrakhan) Turnierorten.
Die zweite Serie fiel zunächst komplett aus, und dann (2012/2013) erschien AGON, und wieder wurde bei den Austragungsorten "improvisiert" - statt, wie anfangs angekündigt, Lissabon, Madrid und Berlin dann tatsächlich Zug, Thessaloniki und Beijing. Nur ein Turnier fand wie geplant oder angekündigt in einer westlichen Metropole statt - naja, jedenfalls in einem abgelegenen Vorort von Paris. Nachdem DSB-Präsident Herbert Bastian in einem Zeit-Interview Interesse an einem FIDE-Spitzenturnier in Deutschland bekundete, habe ich per email nachgefragt: Gibt es konkrete Pläne, ist das finanziell machbar? Nein, (noch) keine konkreten Pläne, eher persönliche Hoffnungen - "Möglicherweise könnte es interessant sein, zuerst mal ein Weltklasseturnier der Frauen in Deutschland auszutragen." [da sucht die FIDE ja einen Ausrichter!?] Und dann das: "Wegen Berlin habe ich Andrew Paulsen in Tromsö befragt. Er sagte mir, dass es nie konkrete Pläne gab, ein GP-Turnier in Berlin auszutragen, und dass er Berlin nur als Platzhalter eingesetzt hätte, weil die FIDE von ihm eine Vorausplanung gewünscht hätte." Aha, ich dachte, dass er Orte nannte und dann vor Ort Sponsoren suchen und finden wollte - was bei Lissabon und Madrid zumindest "mutig" oder riskant war. Aber offenbar ging er mit dem Finger über die Landkarte und hätte statt Lissabon, Madrid und Berlin auch Frankfurt, Wien und Rom auswählen können?
Diesmal werden die Turniere in Baku, Taschkent, Teheran und Moskau ausgetragen (wobei das letzte Turnier zwischenzeitlich nach Khanty-Mansiysk verlegt wurde und nun offenbar wieder zurück nach Moskau - bis Mai 2015 kann sich das vielleicht noch ändern?). Da wurde wieder gemeckert über "iljumshinow-lastige" (Dirk Poldauf in SCHACH 9/2014, aber er ist bei weitem nicht der einzige) Austragungsorte statt westlicher Metropolen. Allerdings: private Superturniere sind für Sponsoren generell interessanter - da können sie alle ihre Lieblingsspieler einladen und so viele Einheimische wie sie wollen, sie müssen auch niemanden 'dulden' den sie warum auch immer nicht haben wollen. Die GP-Serie hat, so ist nun einmal die Situation in der Weltspitze, ("zu") viele Spieler aus der ehemaligen Sowjetunion - daher das Interesse dort. Teheran ist für einige Spieler problematisch, aber die müssen dort nicht spielen: bei diesem Turnier fehlen Caruana, Nakamura und Gelfand (und Karjakin, der zusammen mit den ersten beiden und drei anderen parallel in Zürich spielt). Bei konkretem und realistischem Interesse anderswo gäbe es wohl auch dieses Mal, wie zunächst geplant, sechs GP-Turniere.
Baku
Gespielt wird jeweils um 15:00 Ortszeit, d.h. 12:00 in Mitteleuropa. Für mich als Schreiberling ideal - die Partien sind am frühen Abend beendet, und dann hat man bis Mitternacht noch viel Zeit um aktuell zu berichten. Das mache ich voraussichtlich jeweils vor den Ruhetagen am 6. und 11.10. und natürlich auch nach dem Turnier. Viel mehr steht bei "Redaktionsschluss" noch nicht auf der Turnierseite. Erwähnen sollte ich noch - für diese wie auch die vorangegangenen GP-Serien - die klare Übersicht auf Wikipedia (auf Englisch, die deutsche Version ist viel knapper).
Prognosen?
Dazu zunächst wieder ein kurzer Rückblick: Die erste GP-Serie war der endgültige Durchbruch von Aronian als Weltklassespieler; die zweite Serie war dann die "Wiedergeburt" von Topalov - der einige Jahre brauchte, um sich von seiner WM-Niederlage gegen Anand zu erholen. Diesmal tippe ich auf Vachier-Lagrave und/oder Giri, wobei man diverse andere Spieler natürlich nicht unterschätzen sollte. Die "konventionelle" Antwort wäre: alle Wege führen über Rom - auch wenn Caruana weder dort noch anderswo in Italien wohnt. Zu Caruana wissen wir schon während/nach dem Turnier in Baku mehr: Kann er die Elolücke zu Carlsen noch weiter reduzieren, oder gar Platz 1 in der Weltrangliste übernehmen (+7 wie in St. Louis reicht vermutlich)? Bei Vachier-Lagrave und Giri müssen wir uns noch etwas gedulden - bis zum zweiten GP-Turnier in Taschkent (schon) ab dem 20. Oktober.
Thomas Richter
Thomas Richter begann seine schachliche Karriere beim südhessischen SC Gross-Zimmern, dann wurde er von anderen Vereinen abgeworben - Kieler SG, USAM Brest (Frankreich), Bordeaux ASPOM und En Passant Texel (Niederlande). Quatsch - ein Spieler meines Niveaus (nationale Elo 1900-2000, war mal 2100 und noch ein bisschen darüber) wird nicht abgeworben, jedenfalls nicht überregional-international. Ich bin eben aus anderen Gründen (Studium und Beruf) mehrfach umgezogen. Wenn ich am Brett noch Ambitionen hätte, wäre mein heutiger Verein nicht ideal; dafür ist er der einzige in erreichbarer Nähe.
Zum Schreiberling oder, wenn man will, Journalist, wurde ich so: Zunächst hatte ich auf diversen Schachforen kommentiert, dann wurde ich eingeladen um auch selber zu schreiben. Vorübergehend auf Chessvibes, dann für Schach-Welt und Schachticker (werde ich weiterhin machen), nun auch gelegentlich als Gastautor beim Schachbund. Meinen Schreibstil mögen andere charakterisieren und bewerten, aus meiner Sicht nur zwei Dinge: 1) Ich schreibe aus der Perspektive eines Amateurs (vermutlich) vor allem für Amateure. 2) Wenn es sich anbietet, verwende ich auch gerne mal internationale Quellen. Englisch, Französisch und Niederländisch kann ich selbst, bei Russisch hilft Google (bzw. ich habe auch Kontakt zu Leuten die mir dabei helfen können).
// Archiv: Nachrichten Thomas Richter // ID 18904
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