20. Oktober 2012
Alle vier Jahre findet die Einzelweltmeisterschaft der Gehörlosen statt. Dieses Jahr spiele ich bei den Frauen. Bei den Senioren nimmt aus Deutschland Sergej Salow teil.
Zur Eröffnungsfeier am 28. September war FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow zum ersten Mal anwesend. Die Feier fand im Freien statt. Nach dem Einmarsch der Länder wurden viele Reden gehalten. Es folgten verschiedene Showeinlagen und zum Abschluss ein Foto mit den Delegierten. Anschließend gab es einen Empfang mit dem FIDE-Präsident, dem Vorsitzenden des ICSC (International Committee of Silent Chess) und den Teilnehmern der Olympiade 2012 (mehr Informationen).
Bei den Frauen sind wir 14 Teilnehmerinnen aus 10 verschiedenen Ländern. Eine Startrangliste bekam ich heute erst zu sehen. Woher manche Elo-Zahlen stammen, erscheint mir fragwürdig. Manche sind aktuell, andere wesentlich älter. Inzwischen wundert mich jedoch fast nichts mehr. Die Organisation ist insgesamt sehr chaotisch. Wir können immer nur die Paarung der nächsten Runde sehen, die Ergebnisse der vergangen Runden hängen nicht aus (ich habe mir das zum Glück immer aufgeschrieben) und im Internet gibt es noch keine Informationen. Besonders merkwürdig finde ich es, dass es kein Bulletin gibt und die Partien erst vielleicht in ein paar Wochen zur Verfügung stehen - etwas spät.
Teilnehmerliste mit aktuellen Elo-Zahlen Oktober 2012:
In der ersten Runde hatte ich Weiß (Foto) und erwischte eine leichte Gegnerin. Bereits in der Eröffnung gewann ich einen Bauern und etwas später die Dame. Nach 25 Zügen hatte ich meine Gegnerin Matt gesetzt. Die anderen Paarungen gingen bis auf Brett 1 auch wie erwartet aus. Anzumerken ist, dass Baklanowa 2008 und 1996, Gerasimowa 2004 und Gonchar 2000 Weltmeisterin geworden sind.
1 Baklanowa - Gonchar 0.5 : 0.5
2 Marcinkeviciene - Gerasimowa 0 : 1
3 Mucha - Abdrammanowa 1 : 0
4 Afandijewa - Ryvova 0 : 1
5 Botalowa - Jurajewa 1 : 0
6 Krzyszkowiak - Nazarowa 0 : 1
7 Myronenko - Michalionak 1 : 0
Ab der zweiten Runde trafen nun fast gleichstarke Spielerinnen aufeinander, sodass das Ergebnis meist nicht vorherzusehen ist. Ich spielte gegen die Italienerin Nazarowa (Foto). Während meiner ersten Teilnahme an einer Weltmeisterschaft 2004, konnte ich sie mit Weiß besiegen. Diesmal hatte ich Schwarz. Ich wählte eine für mich neue Eröffnung. Leider griff ich in der Zugreihenfolge etwas fehl. Doch Weiß spielte sehr ungenau, sodass ich zu leichtem Vorteil kam. Unter Zeitdruck gelang es mir jedoch nicht, diesen auszubauen. Eher geriet ich nun etwas in Bedrängnis und willigte in Remis durch Dauerschach ein. Auch die anderen Paarungen verliefen friedlich, sodass keine Spielerin mit 2 aus 2 startete.
1 Gerasimowa (1) - Botalowa (1) 0.5 : 0.5
2 Nazarowa (1) - Mucha (1) 0.5 : 0.5
3 Ryvova (1) - Myronenko (1) 0.5 : 0.5
4 Abdrammanowa (0) - Baklanowa (0.5) 0 : 1
5 Gonchar (0.5) - Marcinkeviciene (0) 0.5 : 0.5
6 Michalionak (0) - Afandijewa (0) 1 : 0
7 Jurajewa (0) - Krzyszkowiak (0) 0 : 1
In der dritten Runde traf ich mit Weiß auf die Tschechin Ryvova. Sie spielt immer Russisch. Zwischen Runde 2 und 3 hatte ich etwa zwei Stunden Zeit zum Mittag essen und vorbereiten. Sergej Salow zeigte mir kurz einen guten Plan. Bis zum 9. Zug spielte meine Gegnerin wie erwartet. Dann wich sie von ihrem normalen Aufbau ab. Doch damit kannte sie sich überhaupt nicht aus. Sehr schnell hatte ich großen Vorteil und setzte sie permanent unter Druck. So in die Enge getrieben, blieb Ryvova nichts weiter übrig, als Dame gegen Turm und Springer zu opfern - 15 Züge später ging gar nichts mehr: Sieg für mich!
Bei der Weltmeisterschaft 2004 spielte ich gegen sie Remis. Damals war sie souverän Zweite geworden.
Brett 2 spielte überraschenderweise Remis. Schwarz konnte das Endspiel mit zwei Mehrbauern nicht gewinnen. Leider habe ich es nicht gesehen. Nach drei Runden war ich mit 2.5 Punkten gleichauf mit Baklanowa, der Favoritin.
1 Baklanowa (1.5) - Nazarowa (1.5) 1 : 0
2 Myronenko (1.5) - Gerasimowa (1.5) 0.5 : 0.5
3 Mucha (1.5) - Ryvova (1.5) 1 : 0
4 Botalowa (1.5) - Gonchar (1) 0.5 : 0.5
5 Krzyszkowiak (1) - Michalionak (1) 0 : 1
6 Marcinkeviciene(0.5) - Jurajewa (0) 1 : 0
7 Afandijewa (0) - Abdrammanowa (0) 0 : 1
Die Vorbereitung gegen Baklanowa ist schwierig. Sie spielt viele Varianten und meistens auch noch welche, die ich nicht sonderlich mag. Aufs Brett kam eine Stellung, die leicht besser für mich ist und Schwarz eigentlich eher abwarten muss. Leider zog ich eine Figur auf ein falsches Feld, sodass mein Vorteil weg und die Stellung etwas gedrückt für mich war. Baklanowa nutzte ihre Chance aus. Als es auf die 40 Züge zuging, hatte ich mal wieder nicht viel Zeit übrig (gespielt wird übrigens mit 90 min/40 Züge + 30 min + 30 s/ Zug). Dadurch machte ich in einem Doppelturmendspiel so manchen Fehler, verlor die Übersicht und die Partie.
1 Mucha (2.5) - Baklanowa (2.5) 0 : 1
2 Gerasimowa (2) - Michalionak (2) 1 : 0
3 Myronenko (2) - Botalowa (2) 1 : 0
4 Ryvova (1.5) - Gonchar (1.5) 0.5 : 0.5
5 Nazarowa (1.5) - Marcinkeviciene (1.5) 1 : 0
6 Abdrammanowa (1) - Krzyszkowiak (1) 0 : 1
7 Jurajewa (0) - Afandijewa (0) 1 : 0
2.5 Punkte aus 4 Runden ist nicht das, was ich mir erhofft hatte. Die anderen Spielerinnen schieben sich jedoch auch nur langsam mit Remis nach vorn, sodass ich nach der 4. Runde auf einem geteilten 4. Platz bin. Eine Platzierung unter den ersten drei ist auf alle Fälle noch drin :)
Morgen ist ein freier Tag. Es ist ein Ausflug durch die Stadt und vielleicht auch in die Berge geplant. Außerdem muss ich mir dringend etwas zu essen kaufen. Das Essen im Hotel ist nicht mein Fall und auch andere Spieler bemängeln es.
Sergej Salow ist bei den Senioren an 1 gesetzt und hat bisher 3.5 Punkte aus 4 Partien erreicht. Er hat ein Remis an Nummer 2 abgegeben. Seine Chancen auf die Goldmedaille sind sehr aussichtsreich.
Die Paarungen für Runde 5 am 2. Oktober bei den Frauen sind:
1 Baklanowa (3.5) - Gerasimowa (3)
2 Nazarowa (2.5) - Myronenko (3)
3 Botalowa (2) - Mucha (2.5)
4 Michalionak (2) - Ryvova (2)
5 Gonchar (2) - Krzyszkowiak (2)
6 Marcinkeviciene(1.5)- Afandijewa (0)
7 Jurajewa (1) - Abdrammanowa (1)
Ein weiterer Bericht folgt am 5. oder 6.10. mit den restlichen (hoffentlich erfolgreichen) Ergebnissen. In der Zwischenzeit sind die Ergebnisse auch auf www.dg-sv.de zu sehen.
Liebe Grüße aus Almaty
Annegret Mucha
Am 1. Oktober hatten wir einen spielfreien Tag. Der geplante Ausflug war jedoch mit viel Warterei verbunden. Da noch weitere Tage mit nur einer Runde folgten, konnte ich mir dennoch einen Eindruck von der Stadt Almaty (übersetzte "die Apfelstadt") verschaffen. Besonders waren die Christi-Himmelfahrt-Kirche aus Holz, der Basar, Kok Tobe - eine Art Freizeitpark auf einem Berg mit Aussicht über die gesamte Stadt - und die atemberaubende Berglandschaft.
Die Delegierten der einzelnen Länder trafen sich am selben Tag zum Kongress. Wie beim FIDE-Kongress wird über Regeländerungen abgestimmt, die Austragungsorte der nächsten Veranstaltungen bekannt gegeben und diesmal wurde der ICSC in ICDC (International Committee of Deaf Chess) umbenannt.
Für die 5. Runde konnte ich mich wieder gut vorbereiten. Mein Plan ging auch auf und ich gelangte zu einem Endspiel mit Springer gegen den schlechteren Läufer. Es boten sich mir zwei Chancen, die leicht bessere Stellung zu größerem Vorteil auszubauen, doch ich übersah beide. Die Partie lief zu diesem Zeitpunkt bereits 5 bis 5.5 Stunden. Nach 6 Stunden einigte ich mich auf Remis, da wir uns auf dem Brett im Kreis drehten.
1 Baklanowa (3.5) - Gerasimowa (3) 1 : 0
2 Nazarowa (2.5) - Myronenko (3) 0 : 1
3 Botalowa (2) - Mucha (2.5) 0.5 : 0.5
4 Michalionak (2) - Ryvova (2) 0 : 1
5 Gonchar (2) - Krzyszkowiak (2) 1 : 0
6 Marcinkeviciene(1.5)- Afandijewa (0) 1 : 0
7 Jurajewa (1) - Abdrammanowa (1) 0 : 1
Die 6. Runde verlief sehr unspektakulär. Es wurde viel Material getauscht und nach 23 Zügen endete die Partie mit Remis - wir hatten beide noch etwa 10 Minuten bis zum 40. Zug.
Brett 1 (beide Ukraine) einigten sich sehr schnell auf Remis. Ab der nächsten Weltmeisterschaft ist dies so nicht mehr möglich. Wie bei der Schacholympiade darf in Zukunft kein Remis vor dem 30. Zug angeboten werden.
1 Myronenko (4) - Baklanowa (4.5) 0.5 : 0.5
2 Gerasimowa (3) - Ryvova (3) 1 : 0
3 Gonchar (3) - Mucha (3) 0.5 : 0.5
4 Abdrammanowa (2) - Botalowa (2.5) 0 : 1
5 Krzyszkowiak (2) - Marcinkeviciene (2.5) 0 : 1
6 Afandijewa (0) - Nazarowa (2.5) 0 : 1
7 Michalionak (2) - Jurajewa (1) 1 : 0
Gerasimowa war 2004 Weltmeisterin und 2008 Zweite. Bei der Schacholympiade spielte sie allerdings sehr schlecht. Um vor sie zu kommen, musste ich gewinnen. Ich hatte auch eine sehr aussichtsreiche Stellung auf dem Brett, einmal sogar die Möglichkeit, größeren Vorteil zu erlangen. Im 39. Zug unterlief mir ein Patzer und dann dachte ich, dass die Partie verloren ist. Zum Glück fand Gerasimowa keinen Weg zum Sieg und die Partie endete Remis. Damit waren meine Chancen auf die Top 3 so gut wie zunichte gemacht. Es hing alles von der Auslosung für die letzten Runden ab.
1 Baklanowa (5) - Botalowa (3.5) 1 : 0
2 Marcinkeviciene(3.5) - Myronenko (4.5) 0.5 : 0.5
3 Mucha (3.5) - Gerasimowa (4) 0.5 : 0.5
4 Nazarowa (3.5) - Gonchar (3.5) 0.5 : 0.5
5 Abdrammanowa (2) - Michalionak (3) 0 : 1
6 Ryvova (3) - Jurajewa (1) 1 : 0
7 Afandijewa (0) - Krzyszkowiak (2) 1 : 0
Runde 8 spielte ich gegen eine sehr leichte Gegnerin. Bereits nach der Eröffnung stand ich besser, gewann eine Figur und kurz darauf die Partie. Myronenko gewann gegen Gonchar. Ich glaubte, danach nicht mehr vor sie kommen zu können.
1 Michalionak (4) - Baklanowa (6) 0 : 1
2 Gonchar (4) - Myronenko (5) 0 : 1
3 Gerasimowa (4.5) - Nazarowa (4) 1 : 0
4 Krzyszkowiak (2) - Ryvova (4) 0.5 : 0.5
5 Marcinkeviciene(4) - Abdrammanowa (2) 0 : 1
6 Jurajewa (1) - Mucha (4) 0 : 1
7 Botalowa (3.5) - Afandijewa (1) 1 : 0
Die neunte Runde trat ich gegen Myronenko an. Da die Weltmeisterschaft nach dem Schweizer System gespielt wird, dachte ich, dass die Zweitwertung Buchholz sein würde. Ich kam zu dem Ergebnis, dass es egal sein würde, ob ich Remis spiele oder gewinne - ich wäre in beiden Fällen auf dem vierten Platz.
Da ich mit Kopf- und Magenschmerzen zu kämpfen hatte, bot ich Remis an. Myronenko nahm an. Nach der Runde erfuhr ich, dass die Ausschreibung des Turniers aushängt, d.h. auch die Wertungskriterien nach den Punkten. Als erstes Kriterium sollte das Spiel gegeneinander zählen - hätte ich die letzte Runde gewonnen, wäre der dritte Platz sicher gewesen!
Es ist für mich sehr ärgerlich, dass während des Turniers die Kriterien geändert werden (der Schiedsrichter hatte mal gesagt, dass nach den Punkten die Buchholz zählt). Außerdem müssen solche Informationen vor dem Turnier zur Verfügung stehen. Des Weiteren informierte sich Holger Mende über die Kriterien und stellte fest, dass sie nicht mit den FIDE-Regeln übereinstimmen.
Ein zusätzliches Problem tauchte bei den Herren auf - bis jetzt weiß keiner, wie entschieden wurde, wer 2., 3. oder 4. ist (alle drei Spieler sind punktgleich). Für eine Weltmeisterschaft ist das meiner Meinung nach nicht akzeptabel und schädigt das Ansehen des Verbands insgesamt.
1 Ryvova (4.5) - Baklanowa (7) 0.5 : 0.5
2 Myronenko (6) - Mucha (5) 0.5 : 0.5
3 Abdrammanowa (3) - Gerasimowa (5.5) 0 : 1
4 Botalowa (4.5) - Krzyszkowiak (2.5) 1 : 0
5 Michalionak (4) - Marcinkeviciene (4) 0.5 : 0.5
6 Nazarowa (4) - Jurajewa (1) 1 : 0
7 Afandijewa (1) - Gonchar (4) 0 : 1
Abschlusstabelle nach Runde 9:
Insgesamt bin ich trotzdem ganz zufrieden mit meiner Spielweise und dem Ergebnis. Ich habe wieder Einiges dazugelernt. Durch den 4. Platz werde ich außerdem weiter die Möglichkeit haben, den ICSC bei der Schacholympiade der Normalhörenden vertreten zu dürfen!
Bei den Senioren gelang es Sergej Salow (Foto), den Titel mit 8 Punkten aus 9 Runden zu holen: Gold für Deutschland - Herzlichen Glückwunsch!
Die nächste Einzelweltmeisterschaft findet erst wieder in 4 Jahren statt. Bereits in zwei Jahren ist die Mannschaftsweltmeisterschaft und ich hoffe sehr, dass ich für Deutschland antreten darf.
An dieser Stelle möchte ich mich beim Deutschen Gehörlosen-Sportverband, bei Sergej Salow und Holger Mende für ihre Unterstützung bedanken.
Liebe Grüße aus Kasachstan
Annegret Mucha
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 564