25. Dezember 2013
Einen ihrer größten Erfolge hat sie mit einem Disco-Titel gefeiert, und das in einem Alter, in dem sich andere schon gar nicht mehr auf die Tanzfläche trauen. 1984 holte die damals bereits 57-jährige Eartha Kitt mit „Where Is My Man?“ ihre erste goldene Schallplatte und schaffte es unter die Top 10 der US-Billboard-Dance Charts. Was aber bisher nur wenige Eingeweihte gewusst haben: Zwischen der legendären Queen of Nightlife, deren Todestag sich heute zum fünften Mal jährt, und der Welt des Königlichen Spiels hat es eine indirekte und zugleich sehr private Verbindung gegeben. Denn der deutsche Jazzpianist und Popdozent Rainer Schnelle, der sein Studio in der südholsteinischen Kleinstadt Barmstedt hat und nebenbei in Schachkreisen nördlich der Elbe als ausgewiesener Taktiker bekannt und gefürchtet ist, war von 1983 bis 1988 Mitglied der Eartha Kitt-Band.
In jener Zeit baute der Mann, der früher mit Inga Rumpf oder "Amon Düül 2" gerockt hat und heute mit Leuten wie Ulrich Tukur swingt, eine enge persönliche Beziehung zur Diva des Nachtlebens auf, wie der Autor René Gralla erfährt bei einem Treffen mit dem jungenhaft wirkenden 62-Jährigen, der an der Hamburger Musikhochschule die Popstars von Morgen ausbildet.
René Gralla: „Where Is My Man?“ war einer der großen Hits von Eartha Kitt. Im entsprechenden Videoclip hat sie sich als Femme fatale inszeniert. Wie war die Zusammenarbeit mit dieser Frau?
Rainer Schnelle: In ihrer Laufbahn hat sie das kokette Image gepflegt. Aber da war eigentlich überhaupt nicht viel dran. Eartha Kitt wird sicher auch ihre Liebesabenteuer gehabt haben, aber im Grunde war sie ein einsamer Typus. Ab und zu mal hat sie ihren weiblichen Charme ausgespielt, und zwar mit diesem Selbstbewusstsein, dass sie alles schon erlebt hat, aber letztendlich ließ sie niemanden an sich ran. Gleichzeitig war Eartha Kitt eine Kämpfernatur: Sie hat versucht, sich so unabhängig wie möglich von den Menschen zu halten – was natürlich nicht immer ging -, und kämpfte sich durch das Leben. Mit der Folge, dass sie auch viele Projekte nach einer gewissen Zeit abgebrochen und die Beteiligten dabei regelrecht vor den Kopf gestoßen hat.
R. Gralla: Vielleicht hatte sie Angst, enttäuscht zu werden, weil sie zu oft schon enttäuscht worden war?
R. Schnelle: Davon bin ich überzeugt: dass sie extrem empfindlich war und zum Teil Signale auch falsch gedeutet hat. Und das alles aus Angst vor Verletzungen.
R. Gralla: Sie präsentierte sich als Vamp, zugleich umgab sie aber auch eine melancholische Aura.
R. Schnelle: Eindeutig. Und hast du sie irgendwie angetickt, von ihrer Vergangenheit zu erzählen, dann konnte sie ausufernd darüber reden. Und war sehr schnell den Tränen nahe.
R. Gralla: Trotz zahlreicher Anfeindungen – nach kritischen Äußerungen gegen den Vietnamkrieg während eines Lunchs im Weißen Haus 1968 wurde sie in den USA für viele Jahre zur Unperson – hatte der lange Kampf gegen Häme und Hetze bei ihr rein äußerlich keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Bis ins Alter ist sie eine schöne Frau geblieben.
R. Schnelle: Absolut. Zeitweilig hatte ich sehr engen Kontakt zu Eartha Kitt. Ich habe mit ihr Auslandsreisen unternommen und war eine Art persönlicher Begleiter, und sie hat unsere gemeinsamen Essen und Spaziergänge geschätzt. Und ich fand sie auf eine gewisse Art stets attraktiv …
R. Gralla: … sind wir da etwa einem bisher unbekannten pikanten Detail aus der privaten Biographie von Eartha Kitt auf die Spur gekommen?
R. Schnelle: Nein. Dafür war der Altersunterschied zwischen uns nun doch wieder zu groß.
R. Gralla: Wenigstens Schach haben Sie ja wohl miteinander spielen können. Schließlich genießt der Name Rainer Schnelle einen guten Ruf nicht nur in Jazzkreisen, sondern auch in der Schachszene nördlich der Elbe.
R. Schnelle: Die Gelegenheit zu einer Partie mit Eartha Kitt hat sich leider nie ergeben.
R. Gralla: Das können wir beinahe gar nicht glauben ...
R. Schnelle: ... sicher haben wir mal über Schach gesprochen, und sie hat wohl gesagt, dass sie das spielen kann, aber mehr war da nicht. Die Welt von Eartha Kitt war die Musik.
R. Gralla: Ganz anders ist es bei Ihnen, Herr Schnelle, Sie lieben nicht nur die Musik, sondern auch das Schach. Und damit stehen Sie in einer Reihe mit Namen wie John Lennon selig, Ringo Starr, Bono von U2, Sting oder Smudo von den "Fantastischen Vier". Woher rührt diese Affinität zum eher introvertierten Denksport, obwohl das extrovertierte Showgeschäft im krassen Gegensatz dazu steht?
R. Schnelle: Schauen Sie sich doch mal einen Mann wie Sting an und vergleichen Sie den mit, sagen wir mal, Mick Jagger, und Sie werden feststellen, dass Sting eben doch ein eher reflektierender Mensch ist. Auch im extrovertierten Musikgeschäft gibt es Leute, die einen introvertierten Zug in ihrer Persönlichkeit haben. Und was mich betrifft: Spiele ich eine Partie, tauche ich in eine andere Welt ein und bin komplett raus aus jeglichen anderen Formen des Denkens. Und genau das finde ich am Schach schön.
R. Gralla: Gerade weil Sie in diesem Zusammenhang von der Schönheit des Schachsports sprechen: Sind Sie als Künstler, der schließlich einen ausgeprägten Sinn für Ästhetik haben dürfte, nicht manchmal seltsam berührt, wenn Sie für Ihren lokalen Verein in der Amateurliga ein Punktspiel bestreiten und dabei um sich herum merkwürdige Gestalten sehen, die offenbar keinen Wert auf ein gepflegtes Äußeres legen? Und die oft genug leicht verwirrt bis regelrecht verstört wirken?
R. Schnelle: Das stimmt, das ist manchmal ziemlich bitter (lacht). Aber dann konzentriere ich mich eben auf meine Partie, ziehe die durch und gut is'. Und die sonstigen Peinlichkeiten blende ich einfach aus.
R. Gralla: In Ihrer musikalischen Karriere sind Sie zuerst als Rockmusiker gestartet - mit Pionieren des Krautrock wie "Atlantis" oder "Amon Düül 2" - , wechselten dann aber zum Jazz. Warum?
R. Schnelle: Die musikalischen Strukturen im Rock sind mir nach einiger Zeit zu simpel geworden. Ich habe nach mehr Komplexität gesucht und die im Jazz gefunden. Außerdem bin ich ja Pianist, und als Instrumentalist finde ich im Jazz mehr Möglichkeiten, mich auszudrücken und künstlerisch auszuleben. Während im Rock die Band meist bloß die Begleitformation für eine charismatische Frontfigur ist, sei es eine Sängerin oder ein Sänger.
R. Gralla: Trotzdem haben Sie sich nicht vollständig von der massentauglichen Musik verabschiedet. Sie sind Dozent an der Hamburger Hochschule für Theater und Musik und unterrichten dort die Stars von Morgen im Kontaktstudiengang Populärmusik.
R. Schnelle: Dennoch bin ich auch dort primär der Mann für das Jazzige. Ich unterrichte Harmonielehre und wende mich an diejenigen, deren Interesse über einfache Songstrukturen hinausgeht. Insofern orientiere ich mich an Vorbildern wie Earth, Wind & Fire oder Stevie Wonder.
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Und wie ist die Performance des Jazzpianisten Rainer Schnelle im Denksport? Da ist dem gebürtigen Holsteiner sogar ein besonderes Kunststück gelungen, das bis zum 14. Zug einem berühmten Vorbild gleicht - welches seinerseits im weiteren Sinne auch etwas mit Musik zu tun gehabt hat ... siehe:
... und historisch versierte Schachfreunde haben es natürlich sofort erkannt: Rainer Schnelles Partie ist bis zur schwarzen Neuerung 14. ... Db4 - die dem Nachziehenden aber auch nichts nützt - das Remake eines All-Time-Hits, nämlich der legendären Opern-Partie von Paul Morphy, die am 2. November 1858 während einer Aufführung des "Barbier von Sevilla" in der Pariser Oper gespielt worden ist. Nachfolgend zum Vergleich das Original:
Play it again, Rainer! Für die unvergessene Eartha Kitt up there in The Heavens!
Weitere Infos zu Rainer Schnelle: blog.rainerschnelle.de
René Gralla
(Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors)
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 9340