1. Dezember 2015
2015 war ein weltmeisterliches Jahr für den Nachwuchs des deutschen Schachs. Aber auch sonst hat sich die harte Arbeit von Bernd Vökler als Bundesnachwuchstrainer ausgezahlt. Wie die Förderung aussieht und wie konkret der neue Weltmeister Roven Vogel davon profitiert hat, schildert er in unserem ausführlichen Interview.
Frage: Der Deutsche Schachbund freut sich über Roven Vogel, der Schachweltmeister der Altersgruppe U16 geworden ist. Wie schätzen Sie als Bundesnachwuchstrainer seinen Erfolg ein?
BV: Zuerst gratuliere ich Roven, seinem Sekundanten Philipp Humburg, dem Landesverband Sachsen und dem Heimtrainer Henrik Teske ganz herzlich zu diesem Erfolg. Weltmeister! Wir freuen uns alle mit ihm. Bis zum Ruhetag hatte er mit 3 Punkten aus 5 Partien einen durchwachsenen Start. Der Schlussspurt mit 6 aus 6 war umso beachtlicher. Das zeugt von großer physischer und psychischer Stärke Roven Vogel's. Dabei wird die dramatische Schlussrunde allen noch lange in Erinnerung bleiben.
Frage: Nun tauchen im Internet dennoch Vorwürfe gegenüber dem Deutschen Schachbund mit Blick auf mangelnde Unterstützung auf. Wie erklären Sie sich derartige Misstöne?
BV: Roven ist als Vierter der Deutschen Meisterschaft U16 in diesem Jahr nicht für die Weltmeisterschaft in Porto Carras nominiert worden. Der Platz ging vielmehr an den Deutschen Meister Dmitrij Kollars. Als Selbstzahler, der alle eigenen Kosten tragen muss, verzichtete Roven respektive seine Eltern im Vorfeld auf jegliche Unterstützung seitens des DSB vor Ort. Zum Verständnis: Der DSB nominiert zwölf Starter zur JWM und stattet diese kostenfrei mit Trainern aus. Mehr ist im knappen Budget von 5000,- € absolut nicht drin. Alle Selbstzahler bekommen aber das Angebot, sich für 550,- € einen „Traineranteil“ bei einem der zusätzlich mitreisenden Trainer zu sichern. Immerhin standen GM Sergey Galdunts, Trainer des Jahres David Lobzhanidze, Meistermacher Wolfgang Pajeken, ich selbst zur Wahl. Die Familie Vogel hat sich jedenfalls für ein anderes Modell mit Sekundant/Kumpel Philipp Humburg vor Ort und Heimtrainer Henrik Teske per skype zu Hause entschieden. Das war eine erfolgreiche Entscheidung! Eine Unterstützung in Porto Carras seitens des DSB wurde nicht erwartet, jedenfalls gab es keinerlei Anfragen vor Ort!
Frage: Die Familie Vogel hat in einem offenen Brief Defizite in der Kaderförderung konstatiert. Worum geht es?
BV: Hier möchte ich einen größeren Zusammenhang herstellen. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass die Haushaltsmittel für Leistungssport im DSB seit mehr als zwei Jahren unter einer besonderen Beobachtung stehen. Die Diskussion mit dem BMI über Schach, Sport und Förderung ist allen noch geläufig. Bei der gegenwärtigen Mittelausstattung des Leistungssports muss leider auf Vieles verzichtet werden, was an sich sinnvoll wäre. Dies ist letztlich eine Frage der Sportpolitik, die vom DSB-Kongress und damit von den Landesverbänden entschieden wird.
Auf der Weltmeisterschaft selbst wurde mangelnder Teamgeist und als Indiz die T-Shirt-Problematik angesprochen. Fakt ist, wir haben keinen Namenssponsor im Nachwuchsbereich. 50 T-Shirts a 20,- € sind 1.000,- €, die mir nicht zur Verfügung stehen. Mein Eindruck von der JWM war im Übrigen ein ganz anderer. Gemeinsame Ausflüge, Fußballspiele, Analysen im Hotelfoyer stellten eine willkommene Abwechslung zur harten Trainings- und Wettkampfarbeit dar.
Frage: Lassen Sie uns auf die konkreten Fördermaßnahmen des Deutschen Schachbundes für Roven Vogel blicken. Was tun Sie als Bundesnachwuchstrainer?
BV: Auch da möchte ich etwas ausholen. Roven Vogel hat 2012 die Deutsche Meisterschaft U12 gewonnen und kam danach in den D/C-Kader des DSB. Mit der Kadermitgliedschaft sind drei „harte“ Fördermaßnahmen und einige „weiche“ verbunden.
Nach seiner Kaderaufnahme habe ich Roven persönlich in Bad Wiessee 2013 betreut. Dort erzielte er als 13-Jähriger erstmals eine Performance von über 2400, ein klares Indiz in Richtung Weltspitze. Leider wurde dieses Turnier vom Tod seines ersten Trainers, Gert Thierfelder überschattet. Zum Glück haben ihn seine Familie, der Landesverband Sachsen und der USV TU Dresden in dieser schweren Zeit aufgefangen. Trotzdem gelang der Start in die Saison 2014 nicht optimal. Platz 4 bei der DEM.
Nach einigen guten Turnieren im Sommer 2014 befand sich Roven Vogel plötzlich auf Platz 1 der Weltrangliste, wozu sicherlich auch die Änderung der FIDE bei der Elo-Berechnung beigetragen hat. Dank einer Initiative das Schachverbandes Sachsen fuhr Henrik Teske als Coach und Betreuer mit zur Jugendweltmeisterschaft 2014 in Südafrika. Leider konnte Roven Vogel seiner Rolle als Mitfavorit nicht ganz gerecht werden.
Nach Rücksprache mit Henrik Teske nominierte ich Roven dennoch für die deutsche Jugendnationalmannschaft bei der Olympiade U16 im ungarischen Györ. Zusammen mit Alexander Donchenko, Jan-Christian Schröder, Thore Perske und Fiona Sieber kämpfte er ernsthaft um Gold. Wie stark diese Mannschaft im Dezember 2014 war, zeigt sich eigentlich erst heute.
Angeboten wurde ihm außerdem die kostenfreie Teilnahme an einem Lehrgang in Bad Blankenburg mit Weltmeistertrainer Evgeny Romanov. Er hat sich aber dagegen entschieden.
Die wichtigste Kadermaßnahme des DSB hat Roven Vogel im April 2015 erfahren. Er wurde von mir zur IDJM nach Ströbeck eingeladen und er dankte es mit IM-Norm und einer guten Leistung. Die Teilnahme an einem GM-Rundenturnier mit dem Elo-Durchschnitt von ca. 2500 betrachte ich als eine hochwertige Fördermaßnahme.
Frage: Der Deutsche Schachbund arbeitet eng mit seinen Landesverbänden zusammen. Ein Vorwurf lautet dennoch, der Schachsport sei auf regionaler Ebene besser organisiert. Gibt es Defizite in der Zusammenarbeit mit den Schachfreunden in Sachsen?
BV: Nein, im Gegenteil. Der Schachverband Sachsen ist einer der Wenigen, der in Zeiten der Krise (BMI-Mittel) praktische Solidarität mit dem DSB gezeigt hat. Ich habe das oben schon angesprochen. Das Team des SVS um Frank Schulze und Dr. Dirk Jordan an führender Stelle generiert und sammelt Mittel des Landessportbundes Sachsen für den Nachwuchsleistungssport, wie vielleicht nirgendwo sonst in Deutschland. So betreuen regelmäßig 3 oder 4 Großmeister die sächsischen Teilnehmer an den deutschen Jugendmeisterschaften. Der sächsische Jahresetat für D-Kader ist dreimal so groß, wie meiner für ganz Deutschland! Ich weiß das, ich akzeptiere das und respektiere (fast) immer die Wünsche aus Dresden, zumal das ja im gemeinsamen Interesse liegt.
Frage: Der Deutsche Schachbund hat mit der Fördergruppe der „Prinzen“ ein nachhaltiges Instrument der Unterstützung für talentierte Nachwuchskräfte geschaffen - wie geht es hier weiter?
BV: Nach der Schacholympiade 2008 in Dresden war es an der Zeit, ein Nachfolgeprojekt der sehr erfolgreichen „Jugendolympiamannschaft“ aufzulegen. Mit freundlicher Namensleihgabe meines Vorgängers Michael Bezold entwickelte ich das Konzept der „Prinzenförderung“ weiter.
Das spätere Erfolgsmodell schlechthin entwickelte sich prächtig. Talent, gepaart mit Einsatzwille und hochwertigem Training zeitigte einen Erfolg auf der ganzen Linie. Im Bereich U18 dominiert Deutschland 2015 die Weltrangliste!
Name | Titel | Föderation | Elo-Zahl | Geburtsjahr |
Bluebaum, Matthias | GM | GER | 2590 | 1997 |
Wagner, Dennis | GM | GER | 2586 | 1997 |
Antipov, Mikhail | GM | RUS | 2569 | 1997 |
Alekseenko, Kirill | GM | RUS | 2568 | 1997 |
Oparin, Grigoriy | GM | RUS | 2563 | 1997 |
Vaibhav, Suri | GM | IND | 2552 | 1997 |
Boruchovsky, Avital | GM | ISR | 2540 | 1997 |
Svane, Rasmus | IM | GER | 2529 | 1997 |
Das Schachjahr von Matthias Blübaum und Dennis Wagner ist vorbei. Beide haben die duale Karriere, in diesem Fall Studium und semiprofessionelles Schachspiel, dem riskanten Leben eines Schachprofis vorgezogen. Ob vielleicht Alexander Donchenko oder Roven Vogel den Sprung ins Haifischbecken der Profischachspieler wagen, bleibt abzuwarten.
Frage: Herr Vökler, Sie sind unentwegt für das deutsche Nachwuchsschach auf der Suche nach Spitzenleistungen. Gibt es neue Projekte, wie geht es weiter?
Der DSB möchte 2018 die Mannschaftseuropameisterschaft U18 in Bad Blankenburg (Thüringen) ausrichten. Dafür muss sich der Deutsche Schachbund leistungssportlich positionieren. Auch die Landesverbände gehören mit ins Boot. Ich werde die Thüringer Landesregierung kontaktieren und hoffe, dass die Chancen höher als das Risiko eingeschätzt werden.
Eine Kampagne „Jugend für die Europameisterschaft“ wird zwei oder drei Mannschaften eine konkrete leistungssportliche Perspektive geben. Zusammen mit Schulschach in Dittrichshütte und einem attraktiven Rahmenprogramm wird sich eine positive Eigendynamik entwickeln mit weiteren Synergieeffekten.
Persönlich betreue ich Vincent Keymer nächste Woche bei der Deutschen Meisterschaft in Saarbrücken. Roven Vogel haben wir übrigens ebenfalls eine Teilnahme angeboten. Er hat sich aber für einen Start beim Qatar Masters entschieden. Dort kreuzt er die Klinge mit Weltmeister Magnus Carlsen! Ich freue mich drauf.
Bernd Vökler, Apolda am 27.11.2015
Fragen DSB und Einleitungstext Frank Neumann, Referent für Öffentlichkeitsarbeit
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 20524