28. November 2006
Die Stimmung im Lager des amtierenden Weltmeisters war nach der 1. Runde sehr gut. Dazu sein Sekundant Stefan Meyer-Kahlen, der Schredder-Mentor: "Es war doch, entgegen mancher Kritik, eine sehr schöne Partie. Trotz reduzierten Materials ein theoretisch interessantes Endspiel, in dem viel Leben steckte. Weiß hatte mehr Gewinnchancen, als es den Anschein hatte." Ein Urteil, dem sich GM Yasser Seirawan, der englischsprachige Alleinunterhalter während der 10tägigen Life-Sendung, anschließt: "Ich saß danach mit dem Deep-Fritz-Team beim Abendessen und demonstrierte einen möglichen Gewinnweg. Sie waren ziemlich baff."
Frederik Friedel, einer der Initiatoren des Programms, fühlt sich dadurch in seiner Philosophie bestätigt: "Genau deswegen lassen wir unseren Computer-Taktiker nicht gegen einen menschlichen Supertaktiker, wie z. B. Judith Polgar, antreten, sondern stellen uns gegen jemanden mit profundem Schachverständnis auf, der sich obendrein gewissenhaft auf den Kampf vorbereitet. Das ist bei Vladimir der Fall."
Bevor die 2. Runde beginnt, schaue ich kurz bei M. Wüllenweber vorbei. "Wie lange haben Sie sich auf den Wettkampf vorbereitet?" – Anderthalb Jahre." – "Sie haben alle Kramnik-Partien parat?" – "Ja, aber das ist nicht entscheidend. Wichtig ist es, Fritz auf die menschliche Spielweise einzustellen." – "Ihr Eindruck nach der ersten Partie?" – "Die haben sich äußerst gründlich vorbereitet." – "Was sagen Sie dazu, dass auf der anderen Seite mit Christopher Lutz ein ausgewiesener Spezialist am Werk ist?" – "Das ist vernünftig. Wir wollen, dass es spannend wird."
Ich komme eine Viertelstunde vor Wettkampfbeginn in die Arena mit 350 Sitzplätzen, die zu 75 % belegt sind. Neben mir sitzt ein Student aus Bayreuth, Leiter des Erasmus-Stipendien-Programms seiner Universität, der in Bonn eine Tagung besucht. Wie ist er hierhin geraten? "Durch Zufall. Im Vorfeld habe ich von dem Event gehört. Ich bin ein reiner Hobbyspieler, auch kein Computerfreak, aber für alle Wissensgebiete offen." Zwei Reihen hinter mit sitzt ein älterer Herr, Mitglied des Godesberger SK, der sich ausführlich über seine Eindrücke aus der 1. Runde, die ich aus privaten Gründen verpasst habe, verbreitet. "Der Kramnik war sehr locker. Auch in schwierigen Phasen hat er schnell und leicht gezogen, einen großen Zeitvorteil erspielt. Und einen Stellungsvorteil." – "Was trauen Sie ihm in dieser Runde zu?" – "Mindestens ein Remis."
Davon träumen auch die Verantwortlichen. Moderator Rolf Behovitz: "Gestern fand ein Podiumsgespräch über Schach statt. Da war von Kunst, Wissenschaft und allem möglichen die Rede, nicht aber von Sport. Das gibt mir Hoffnung für heute." Match-Direktor Josef Reich, der das Mikrofon übernimmt, fügt hinzu: "Kramnik wird es heute mit Schwarz schwer haben. Ein Unentschieden wäre ein Erfolg für den Menschen."
Danach und nach mehr sah es lange Zeit aus. Ang. Damengambit, bei dem Kramnik beherzt zu Werke geht und die Zuschauer sich fragen: Warum macht er das, wenn er Deep Fritz die taktischen Zähne ziehen will? Und die Computeranhänger rätseln, warum die Maschine sich auf dieses Spiel einlässt. Eine strategische Eröffnung mit zahlreichen, taktischen Fußangeln. Der Weltmeister scheint auf Erfolgskurs. Auf beiden "Kanälen" des Kopfhörers, die ich abwechselnd einschalte – beim Tandem Pfleger / Bischoff, dem sich Großmeister Artur Jussupow hinzugesellt wie auch bei Yasser Seirawan – sieht man Kramnik im Vorteil.
Die Hoffnungen dort wie im Auditorium steigen spürbar bis, ja bis ein grober Schnitzer den Weltmeister im 34. Zug um die Früchte einer weitgehend untadeligen Partieführung bringt und die Zuschauer enttäuscht aufstöhnen.
Axel Dohms
Nachfolgend die beiden offiziellen Pressemitteilungen Drei und Vier, sowie eine Analyse von IM Bangiev, analog der Felderstrategie, von der gerade das dritte Buch in der Bangiev-Bibliothek erschienen ist: Denkmethode!: http://www.bangiev-bibliothek.de/
Analysen von IM Alexander Bangiev:
Die Zeichnungen sind von Illustratorin Emese Kazar/Bremen. Anfragen zur weiteren Verwendung richten Sie bitte an: nordseepost@hotmail.com
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