30. November 2006
Wieder Katalanisch, wieder kein Sieg
Kramnik muss hart kämpfen – 1,0 : 2,0
Auch zwei Tage nach dem historischen Bock herrschte im Pressezentrum Ratlosigkeit. Der Ausgang der 2. Partie war für alle Experten und den Weltmeister selbst unerklärlich. Für einen Bezirksklassenspieler wie mich war er traurig und tröstlich zugleich. Der erlebt es in seiner Praxis andauernd: Dreißig Züge wie ein Weltmeister gespielt und dann scheitert er nicht am Gegner, sondern an sich selbst. Lange vor Beginn der 3. Runde streune ich durch die Flure auf der Suche nach einer plausiblen Erklärung. Es gibt keine. Ein belgischer Kollege: "A pity."
Ein Experte der Kölnischen Rundschau: "Das ist eine gute Geschichte. Dramatische Geschichten sind immer gut für das Geschäft." Yasser Seirawan: "A historical blunder." Ich wandere zu M. Wüllenweber. "Wie beurteilen Sie das Geschenk von vorgestern? Es erhöht sicherlich nicht den Reiz des Wettkampfs." – "Für uns ist das nicht besonders toll, so zu gewinnen. Klar. Den Medien ist es egal, sie haben eine Story. Die Fachwelt leidet darunter. Keine Frage."
Die Schachfans nicht. Der Saal ist am dritten Spieltag pickepacke voll. Unglück zieht an wie ein Unfall auf der Autobahn. Moderator Rolf Behovits begrüßt den Ehrengast Dr. Rauball, der den ersten Zug ausführen darf.
Danach geht es richtig los. Katalanisch, wie gehabt. Diesmal weicht Vladimir Kramnik nicht im siebten, sondern im zehnten Zug von der Buchvariante ab. Sofort dreht der holländische Schiedsrichter Albert Vasse den Bildschirm von ihm weg; der Weltmeister darf nur so lange darauf schauen und Anzahl der Partien, Elo-Performance und Punktausbeute aus Großmeisterpartien einsehen, wie der Computer im Speicher bleibt. Sobald er anfängt, eigenständig zu rechnen, ist Kramnik die Einsicht verwehrt. Schon die Eröffnung gestaltet sich ziemlich spannend. Der Computer opfert, zur allgemeinen Überraschung, einen Bauern zwecks Initiative. Das ist ungewöhnlich.
Matthias Feist, der gute Geist, der Kramnik am Brett gegenübersitzt, die Computerzüge ausführt und das Programm mitentwickelt hat, äußert sich dazu in der nachfolgenden Pressekonferenz: "Daran haben wir in den letzten Jahren wesentlich gearbeitet." Das Resultat ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert. Die Kiste macht, im Unterschied zu den ersten beiden Partien, mächtig Druck und Tempo. Der Weltmeister wird in die Defensive gedrängt. Nur dank seines technischen Könnens und seines tiefen Schachwissens kann er die Situation meistern. Er rettet sich in eine Festung mit Läufer und drei Bauern gegen Turm und zwei Bauern. Als die meisten Zuschauer sich daraufhin verabschieden, harren die Unentwegten noch aus: Erkennt der Computer das an? Einige erwarten noch eine lange Sitzung, denn er verfügt über ziemlich genau eine Stunde Restbedenkzeit. Vielleicht will er die ausnutzen, denn er wähnt sich gewiss rechnerisch im Vorteil. Zum Glück kommt es nach drei, vier Zügen zu einer gütlichen Einigung.
Eins ist nach der bisher besten Partie von Deep Fritz allen klar: Der Weg für den Weltmeister ist noch weit und schwer.
Axel Dohms
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 4885