30. Oktober 2018
Seit dem 27. Oktober laufen in der Gemeinde Gmund am Tegernsee die 22. Offenen Internationalen Bayerischen Meisterschaften (OIBM). Unglaubliche 497 Spieler sind in dem bis zum 4. November laufendem Turnier am Start. Zu ihnen gehören 25 Großmeister, darunter neun mit einer FIDE-Elo von 2600 und höher. Die höchste Elo hat der Russe Anton Demchenko. Ihm nur wenig nach steht die deutsche Nummer eins, Liviu Dieter Nisipeanu. Auch das Organisationsteam ist mit Topleuten besetzt: Turnierdirektor Sebastian Siebrecht, Hauptschiedsrichter Ralph Alt und seine international erfahrenen Deputies Gregor Johann und Hans Brugger.
Lesen Sie nachfolgend die ersten drei Rundenberichte von Marco Baldauf.
Bericht zur 1. Runde am 27.10.2018 von IM Marco Baldauf
Auftakt am Tegernsee! An 245 Brettern ging es heute in die erste von insgesamt neun Runden. Beschleunigtes Schweizer System wird in den ersten fünf Runden gespielt. Was das genau bedeutet verstand ich auch erst heute abend. Allen Spielern der ersten Setzlistenhälfte, also den Startnummern 1 bis 249, wird in den ersten fünf Runden ein virtueller Punkt gutgeschrieben. Dieser taucht in der Rangliste freilich nicht auf, sondern wird nur zur Auslosung verwendet. Sinn und Zweck der Übung ist, dass es auf diese Weise schneller zu Begegnungen von Titelträgern kommt. Bereits in der morgigen zweiten Runde müssen die gesetzten Großmeister gegen FIDE-Meister antreten, in der 3. Runde kann es dann schon zu Begegnungen zwischen zwei Großmeistern oder zumindest einem Großmeister und einem Internationalen Meister kommen. Gut für alle Spielerinnen und Spieler, die Normen erspielen wollen und auch gut für die Spannung!
Die erste Runde ist bekanntlich kein großer Freund der Titelträger. Keine Vorbereitung, oftmals müde von der langen Anreise und vor allem die Tatsache, dass man eigentlich nur verlieren kann, bereiten oftmals vor Rundenbeginn Kopfzerbrechen.
Gab es im letzten Jahr sogar Niederlagen von Großmeistern zum Auftakt zu verzeichnen, schlugen sich die Favoriten heute im Großen und Ganzen recht tapfer. Zwei FIDE-Meister müssen eine Niederlage hinnehmen und dies stellt schon die größte Sensation dar. An den Brettern ganz vorne gibt es immerhin zwei Remisen zu verbuchen. Der brasilianische Großmeister Alexander Fier gibt ebenso wie Sasa Martinovic einen halben Zähler ab.
Bericht zur 2. Runde am 28.10.2018 von IM Marco Baldauf
Auf den Punkt genau 500 Spielerinnen und Spieler haben dieses Jahr den Weg an den Tegernsee gefunden. Die ersten 44 Bretter spielen im Erdgeschoss, über 200 Bretter sind im großen Saal im oberen Stockwerk untergebracht. Damit ist das Turnier einmal mehr bis auf den letzten Platz ausgebucht.
Zum gestrigen Auftakt ließen sich sechs Spieler aus Zeitgründen nicht auslosen. Einer davon der 16-jährige Inder P Iniyan. Bis gestern spielte der Youngster noch ein Turnier in den Niederlanden und schaffte es daher erst zur zweiten Runden an den Tegernsee. Zwei Turniere direkt am Stück – für die meisten Hobbyspielerinnen und -spieler undenkbar! Doch ein solcher Zeitplan ist für asiatische Profis, welche oftmals den ganzen Sommer von Open zu Open touren, völlig normal. Iniyan spielte beispielsweise im September zwei Open in Italien, davor das Abu Dhabi Masters und Biel. Als ich vor der Auftaktrunde mit dem indischen Großmeister GN Gopal ins Gespräch komme, stellt er mir schnell die Frage, welches Open man denn direkt im Anschluss spielen könnte – er habe nichts gefunden und nach nur einem Turnier wieder nach Indien zu fliegen könne es ja auch nicht sein.
Meister aus Indien sind jedoch nicht die einzigen weitgereisten Gäste am Tegernsee. Insgesamt weist das Feld Spielerinnen und Spieler aus 34 verschiedenen Nationen auf. Neben Deutschland und seinen Nachbarländern sind auch exotischere Länder wie Iran, Venezuela, Armenien und Island vertreten.
Mit Robert Chovannisjan gelang es den Veranstaltern gar, einen armenischen Nationalspieler an den Tegernsee zu locken. Die junge Nachwuchshoffnung der Schachnation Armenien spielte vor Kurzem bei der Schacholympiade in Batumi für sein Land. Armenien wurde am Ende Achter und landete damit fünf Plätze vor dem deutschen Team. Chovannisjan wusste mit einem Score von 75% durchaus zu überzeugen. Auch hier am Tegernsee erlebte er einen guten Start und liegt mit 2/2 an der Spitze.
Ebenso zu überzeugenden Siegen kamen die Turnierfavoriten Dieter Liviu Nisipeanu, Igor Kowalenko und Alexander Moisejenko. Letzterer stand in Sachen Angriffsführung und dem Einsatz seines Turmes der armenischen Lehrbuchpartie in keinster Weise nach. Der Drachen, eine der schärfsten Varianten der Sizilianischen Eröffnung, war insbesondere unter Direktion von Weltmeister Garri Kasparow eine Waffe sondergleichen. In den 90er Jahren war der Drachen en vogue, seit der Jahrtausendwende nahm die Anzahl seiner Verfechter stetig ab, heute ist er gar ein selten gesehener Gast in der Turnierpraxis. Und dies hat wohl seine berechtigten Gründe...
In der heutigen 2. Runde bewies sich Großmeister Gabor Papp aus Ungarn als Drachenzähmer. In der folgenden Analyse ist zu sehen, wie er dem Drachen nicht an die Kehle geht, sondern sich stattdessen beeilt, dem Ungeheuer schnell die Zähne zu ziehen. Sein iranischer Kollege, der erst 15-jährige Alireza Firouzja, spielt normalerweise die Najdorf-Variante. Über eine Zugumstellung lässt sich aber heute doch auf einen Ritt mit dem Drachen ein, allerdings nur um zu beweisen, dass er die Grundidee dieser Eröffnung nicht verstanden hat. Sein Ansatz, den Drachen wie einen Najdorf zu behandeln, geht gründlich nach hinten los. Die Niederlage des 15-jährigen Großmeisters aus dem Iran gegen den Hamburger FIDE-Meister Julian Grötzbach stellt damit auch die größte Sensation des Tages dar.
Bericht zur 3. Runde am 29.10.2018 von IM Marco Baldauf
Die Luft an den Spitzenbrettern wird zur 3. Runde dünner, für manche der Favoriten gar zu dünn. Nachdem der Setzlistenerste, Anton Demchenko, bereits in der 2. Runde ein Remis abgeben musste (heute gewann er ohne Probleme), müssen sich heute Liviu Dieter Nisipeanu, Igor Kowalenko und Eduardo Iturrizaga gegen Spieler um die 2450 Elo mit einem halben Punkt begnügen. Härter trifft es gar den Europameister von 2013, Alexander Moisejenko. In einer scharfen Partie ist der Ukrainer auf Bauernraub aus, belässt seinen König dabei im Zentrum und bringt seinen Läufer auf Abwege. Die Kompensation seines Gegners, Fabrizio Bellia aus Italien, ist derart überwältigend, dass Moisejenko keine Verteidigung mehr findet.
Siegreiche Favoriten gibt es trotz der schlechten Ausbeute der Großmeister an den vier Spitzenbrettern dennoch. Robert Chovannisjan, über den im Bericht zur 2. Runde bereits berichtet wurde, spielt abermals groß auf und besiegt den Hamburger Schachjournalisten und Internationalen Meister Georgios Souleidis. Neben Chovannisjan befindet sich noch ein weiterer armenischer Großmeister im Feld, nämlich der 20-jährige Manuel Petrosjan. Dieser spielte mit Abstand die längste Partie des Tages. Über sechs Stunden Spielzeit dauerte sein Fight mit dem hessischen Bundesligaspieler Arno Zude an. Petrosjan drückte über die gesamte Partie, Zude verteidigte sich zäh. Schließlich opferte Zude einen Bauern um seine Dame ins gegnerische Lager vorzustoßen, auf der Suche nach Dauerschach. Als das Remis fast unterschriftsreif schien, übertrieb es der junge Armenier mit seinen Gewinnversuchen, agierte übermütig und steuerte seinen König ins Zentrum, auf der Suche nach einem sicheren Feld. Ein Fehler, denn sein König stand dort taktisch anfällig, die Koordination seiner Figuren ging verloren. Nach über 120 Zügen dann der partieentscheidende Fehler, Petrosjan bleibt bei zwei Punkten stehen und Zude findet sich plötzlich in der Spitzengruppe wieder.
Die beiden spanischen Titelträger im Feld wurden in der heutigen dritten Runde gegeneinander gelost. Großmeister Jaime Santos traf auf den FIDE-Meister Carlos Javier Bernabeu. Wie so oft wenn Meister auf Amateur trifft, machte sich der Spielstärkeunterschied im Endspiel deutlich. Ein eingangs wohl dem Remis sehr nahes Turmendspiel wurde von Bernabeu an zwei Stellen schlecht verteidigt und schon war der halbe Zähler futsch. Santos steht nun mit drei Punkten an der Tabellenspitze, morgen wartet mit dem jungen polnischen Internationalen Meister Lukasz Jarmula eine schwere Aufgabe.
Der Preis für die beste Frau im Feld ist mit 200 € dotiert. Aktuell die besten Aussichten darauf hat Jana Schneider. Heute kam sie zu einem Sieg gegen den FIDE-Meister Eduard Miller und steht nun mit 2,5 Punkten in der Tabelle gut.
Morgen muss Jana gegen Großmeister Alexander Fier ran. Fier remisierte die erste Runde, konnte sich aber mit zwei Siegen in Folge zurück kämpfen und scheint nun Fahrt aufzunehmen. Diese interessante Partie erwartet uns morgen an Brett 14. Ebenso einen starken Eindruck hinterlässt die italienische Juniorin Tea Gueci. Einem Sieg zum Auftakt folgten zwei Punkteteilungen mit Internationalen Meistern, morgen wartet mit Alireza Firouzja eine echter Prüfstein.
Offizielle Turnierseite | ChessResults
Anmerkung der Redaktion: Die Wiedergabe der kommentierten Partien in den Rundenberichten wurde aus zeitlichen Gründen verworfen, da uns keine PGN-Dateien vorliegen.
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 8720