14. August 2020
Ullrich Krause ist seit 2017 Präsident des Deutschen Schachbundes. In seiner Amtszeit ist viel passiert und es wurden viele Probleme angepackt, die den Deutschen Schachbund schon lange beschäftigt haben. GM Raj Tischbierek, Chefredakteur der Zeitschrift SCHACH, hat sich für die Augustausgabe seiner Zeitung mit Ullrich Krause getroffen, um über all das zu reden. Entstanden ist daraus ein zwölfseitiger Artikel zu allen wichtigen Themen der letzten Monate. Wir veröffentlichen das Interview komplett!
Haben Sie während der nunmehr bald ein halbes Jahr anhaltenden Ausnahmesituation etwas über den Deutschen Schachbund gehört oder gelesen? Wenn ja, waren es positive oder negative Nachrichten oder Schlagzeilen?
Darüber, warum diese Frage trotz einiger erfreulicher Entwicklungen vom Gros der deutschen Schachgemeinde mit "negativ" beantwortet werden würde, sprach ich Mitte Juli mit dem konstruktiv mit dem Imageproblem des Verbandes umgehenden Präsidenten Ullrich Krause bei Kaffee, Wasser und Schnitzel in einem Berliner Biergarten.
Raj Tischbierek
Als Sie vor drei Jahren, nach Ihrer Wahl zum Präsidenten, unsere SCHACH-Fragen beantwortet haben, sagten Sie unter 1., "Wo möchten Sie im Moment gerne sein?": "Bei der Eröffnung des Kongresses des Deutschen Schachbundes 2019". Der Traum ist wahr geworden, 2019 fand der erste, letztlich so benannte "Gipfel" statt. Nun musste der zweite aufgrund der bekannten Umstände verschoben werden.
Der diesjährige Gipfel war ursprünglich für Mai geplant. Wir mussten ihn absagen, hatten aber das Glück, dass uns das Magdeburger Maritim-Hotel einen alternativen Termin im August anbieten konnte. Damals wäre uns ein noch späteres Datum lieber gewesen, aber diese Option gab es nicht. Nun steht der August bevor und tatsächlich haben sich die Corona-Verordnungen in Sachsen-Anhalt dahingehend geändert, dass wir den Gipfel vom 14.- 22. August durchführen können – und das erstaunlicherweise, auch für uns, fast ohne Einschränkungen! Wir mussten natürlich ein Hygienekonzept vorlegen. Aber man kann ganz normal Schach spielen, also ohne Maske und Mindestabstand zum Gegner. Die einzigen nennenswerten Auflagen, die wir haben, sind ein nicht unerheblicher Mindestabstand von einem Meter fünfzig zwischen zwei Brettern und eine Maximalzahl von Personen pro Raum. Das hat zur Folge, dass wir das Finale der Amateurmeisterschaft, der DSAM, mit etwa 250 Teilnehmern leider absagen müssen. Das hätte die Kapazität gesprengt. Die Saison wird jetzt bis 2021 verlängert, sprich, die beiden abgesagten Vorrundenturniere werden nachgeholt und beim Gipfel 2021 steigt dann das Finale der Saison 2019-21. Die anderen Turniere, also die beiden Masters, die Deutschen Meisterschaften und der Dähne-Pokal, sind von der Teilnehmerzahl her überschaubar. Selbst die Seniorenmeisterschaft, bei der wir mit ca. 200 Teilnehmern rechnen, wird – Stand heute – stattfinden. Wir können auch den Kongress durchführen, eine aus Sicht des Schachbundes zentrale Veranstaltung, wenn sie von der Öffentlichkeit auch nicht in dem Maße wahrgenommen wird. Hier haben wir durch den vorgeschriebenen Mindestabstand eine Limitierung auf 77 Personen. Das Maritim verfügt glücklicherweise über mehrere riesige Säle, nur so wird die Austragung der Veranstaltung überhaupt möglich. In der Festung Mark, in der wir im letzten Jahr gespielt haben, wäre das nicht machbar gewesen.
Ullrich Krause, 52, wurde in Lübeck geboren und lebt von Kind auf in Groß Grönau, einem kleinen Dorf unweit der Hansestadt. Er studierte in Kiel Mathematik und arbeitet seit 2008 als Software-Tester bei der Drägerwerk AG in Lübeck, einem börsennotierten Familienunternehmen in den Branchen Medizin- und Sicherheitstechnik mit ca. 13.000 Mitarbeitern und Filialen in mehr als 100 Ländern weltweit. Seit 2019 beaufsichtigt und koordiniert er als Agile Coach die Arbeit von Programmierern. Krause ist ein schachspielender und auch heute auf den 64 Feldern noch aktiver Präsident. Fünfmal war er zwischen 1992 und 2014 Landesmeister von Schleswig-Holstein und hat ebenso oft an Deutschen Meisterschaften teilgenommen. 1999 erfüllte er in Altenkirchen eine IM-Norm. Sein Elohoch waren 1992 2340, aktuell notiert er bei der FIDE bei 2208. Krause ist geschieden. Seine 11-jährige Stieftochter Amelie wohnt bei seiner Ex-Frau, lässt aber einen Tag in der Woche bei ihm die Sonne scheinen.
Keinerlei Auflagen am Brett, aber ein Mindestabstand von einem Meter fünfzig bis zum nächsten Tisch. Wie passt das zusammen?
Das hat mich auch überrascht. In den letzten Wochen habe ich häufiger mit den Verbandspräsidenten der Landesverbände telefoniert. Es gibt große Unterschiede in den einzelnen Bundesländern. So wurde in Mecklenburg-Vorpommern der normale Spielbetrieb bereits wieder aufgenommen, während Baden- Württemberg wohl die strengsten Auflagen hat. Aber auch dort kann man inzwischen darüber nachdenken, wieder normale Wettkämpfe durchzuführen. Wobei die Mindestquadratmeterzahl pro Spieler gewährleistet sein muss, was in der Regel dazu führt, dass man nur noch einen Mannschaftskampf pro Saal durchführen kann, statt wie zuvor zwei oder drei. Sachsen- Anhalt ist glücklicherweise auch ein Vorreiter in punkto Lockerungen, wovon wir profitieren. Leider kann der geplante abschließende Galaabend mit 800 Leuten und allen Siegerehrungen, Ansprachen usw. nicht stattfinden. Ich weiß noch nicht genau, wie wir das machen. Da das große Miteinander im letzten Jahr sehr gut ankam und für viele sogar der Höhepunkt der Veranstaltung war, ist es natürlich sehr schade, dass wir den Ausklang diesmal nicht in dieser Form durchführen können.
Dennoch: alles in allem eine sehr positive Nachricht für das deutsche Schach?!
Ja, unbedingt! Was mich sehr freut, weil der Gipfel ein Lieblingsprojekt von mir war bzw. ist. Ich fand das Konzept von Anfang an sehr überzeugend: möglichst viele Spieler zur selben Zeit am selben Ort! Genau das, was die Deutsche Schachjugend schon vor vielen Jahren erkannt und in Willingen umgesetzt hat. Eine Art Festival – genau so muss man solche Veranstaltungen präsentieren!
Schade nur, dass es nicht in alter Tradition ein "Kongress", sondern ein "Gipfel" ist.
Der Arbeitstitel, als die Idee aufkam, war tatsächlich "Kongress des Deutschen Schachbundes". Aber der ist dann im Laufe der Diskussion verschwunden und daraus wurde der "Gipfel". Es geht ja in erster Linie um das Event und nicht um den Namen.
Wobei, um noch einmal auf den August zurückzukommen, unter den Gegebenheiten natürlich immer noch kleine Fragezeichen bleiben. Es sind noch vier Wochen – da kann jederzeit noch etwas passieren, was die Austragung des Gipfels im letzten Moment doch noch verhindert. Aber aktuell sieht es nicht danach aus. Dann hatten wir einfach das Glück, dass die notwendigen Lockerungen just in dem vom Hotel vorgeschlagenen Zeitfenster kamen. Zumal wir, wenn es im August nicht geklappt hätte, die Veranstaltung wohl für dieses Jahr hätten absagen müssen.
Der Gipfel überschneidet sich teilweise mit den Spieltagen der Vorrunde der Online-Olympiade.
Ja, richtig. Wir sind gerade dabei, zu organisieren, dass unsere Mannschaft vom Maritim aus spielt, also auch vor Ort dabei ist.
Was hat der DSB während der Krise gemacht, außer sich um den Gipfel zu kümmern?
Die Idee einer deutschen Internet-Meisterschaft gab es schon vor zwei Jahren. Jetzt hatten wir durch die Umstände quasi das Glück, dass das schon vor Corona gestartete Turnier auf ein gigantisches Interesse stieß: Insgesamt gab es 1.500 Teilnehmer!
Danach haben wir weitere Online-Turniere aufgelegt. Zuerst die Amateurmeisterschaft in Wertungsgruppen, dann den Deutschland-Cup und jetzt die Deutsche Schach-Online-Liga. Hier versuchen wir, den Spielbetrieb der Vereine nachzuempfinden. Ein Angebot für die, die Interesse haben. Es sind 240 Mannschaften und mehr als 1.800 gemeldete Spieler – diese Größenordnung hätte ich nicht erwartet.
Wie viele sind nach der ersten Runde noch dabei?
(lacht) Eine Mannschaft hat zurückgezogen. Eine! Sicher, zu Beginn gab es einige technische Probleme. Es wird auf dem Server unseres Partners ChessBase gespielt, der die entsprechende Softwarelösung eigens für dieses Turnier entwickelt hat. Ich kenne die Software nicht, aber die Anwendung ist ziemlich komplex.
Ein Spieltag wurde verlegt, um eine Woche Zeit zu haben, die Probleme zu beheben. Nach meinem Kenntnisstand funktioniert jetzt alles weitgehend reibungslos. Ich habe am letzten Freitag selbst mitgespielt, für Lübeck, und leider verloren (lacht), aber rein technisch war zumindest bei uns alles okay. ChessBase hat die Probleme also innerhalb einer Woche gelöst, was wir sehr begrüßen. Wir merken an der Berichterstattung auf den Vereins- und Verbands-Webseiten, dass das Turnier nicht nur auf großes Interesse stößt, sondern wirklich akzeptiert wird. Über die Wettkämpfe wird größtenteils so berichtet, als wenn es offizielle Mannschaftskämpfe wären. Erstaunlich!
Ein großer Vorteil dieser Online-Liga ist – das war mir vorher nicht in dem Maße bewusst –, dass alle Wettkämpfe, also auch die untersten Ligen, live übertragen werden. Das hat man beim normalen Schach natürlich nicht. Aber hier: jede Partie Zug für Zug live, mit der sofortigen Möglichkeit, alle Partien herunterzuladen! Das ist ein echter Vorteil. Wir überlegen, ob wir dieses Angebot verstetigen. Beispielsweise könnte man die Sommerpause auch künftig mit einem solchen Ligabetrieb füllen.
Was ist mit dem leidigen Betrugsthema?
Ich habe von keinem einzigen Betrugsfall gehört.
... was nichts heißen muss.
Wir hatten bei der Online-Amateurmeisterschaft leider zwei Betrugsfälle. Unglücklicherweise war das auch noch im Finale und zu allem Überfluss handelte es sich um die beiden Erstplatzierten. Aber seitdem habe ich nichts mehr Neues gehört, und ich werde recht zuverlässig informiert.
Die einzige Betrugsprävention ist doch, dass eine Software die Züge einer kompletten Partie abgleicht. Wenn aber jemand ein Eröffnungsbuch neben sich liegen hat und die ersten 15 Züge ’runterblitzt, kann man ihn schwerlich des Betruges bezichtigen. Oder aber, der Betreffende spielt gar nicht selbst, sondern jemand deutlich stärkeres an seiner statt. Diese Verdachtsfälle gab es zuletzt beim Online-Grand-Prix der Frauen. Oder man nimmt nur phasenweise Hilfe von außen in Anspruch. Und und und ...
Natürlich, vieles lässt sich nicht ausschließen, gerade bei der verwendeten Bedenkzeit von 45 Minuten plus 15 Bonussekunden pro Zug. Aber ich glaube, so lange es nicht um Geld geht, spielen viele für ihren Verein, freuen sich über das Miteinander und stehen, wie in normalen Partien auch, zu ihren Niederlagen.
Als ich im Vorfeld nach Positivmeldungen im Umfeld des DSB suchte, sind mir unter anderem die soliden Finanzen aufgefallen, über die er heute verfügt. Dabei entsinne ich mich im Rahmen der Diskussionen um öffentliche Zuschüsse an massive Sparmaßnahmen vor gar nicht langer Zeit. Was ist passiert?
Das ist eine gute Frage. Ein wesentlicher Punkt ist, dass wir sehr auf die Ausgabendisziplin achten.
Sie meinen die Abrechnungen von Mitarbeitern, Ehrenamtlichen usw.?
Genau. Es wird jetzt sehr genau darauf geachtet, wofür das Geld ausgegeben wird. Als ich 2017 ins Amt gewählt wurde, hatten wir mit Ralf Chadt- Rausch einen sehr kostenbewussten Vizepräsidenten Finanzen, und seine beiden Nachfolger haben diese Linie fortgesetzt. Als gemeinnützige Organisation achten wir auf einen ausgeglichenen Haushalt, so, wie es auch in unserer Finanzordnung steht. Jahrespläne regeln die laufenden Kosten.
Das allein kann es doch aber nicht sein. Sind beispielsweise die öffentlichen Gelder weiter in dem früheren Umfang geflossen, also höher als erwartet?
Die Zuschüsse sind sogar geringfügig höher ausgefallen als gehabt. Zudem erzielen wir höhere Einnahmen im Geschäftsbetrieb. Nach meinem Eindruck agiert der DSB heute insgesamt wirtschaftlicher als in der Vergangenheit. Wir versuchen, sowohl auf der Einnahme- als auch auf der Ausgabenseite alle Prozesse kontinuierlich zu verbessern und zum Beispiel günstigere Verträge zu verhandeln.
Aber es ist doch so, dass bestimmte Gelder nur für bestimmte Sachen ausgegeben werden dürfen. Selbst, wenn insgesamt genügend Geld vorhanden ist, können nicht "außer der Reihe" plötzlich, sagen wir, 2.000 Euro in ein Projekt gepumpt werden?
Wir haben einen Haushaltsplan, der jedes Jahr vom Kongress bzw. vom Hauptausschuss verabschiedet wird. Da steht etwa drin, dass das Budget für den Leistungssport 105.000 Euro beträgt. Dann ist genau aufgeschlüsselt, wieviel Geld wofür ausgegeben wird. Das ist quasi die Vorgabe.
Ein anderes Beispiel: Das Budget für Öffentlichkeitsarbeit beträgt 15.000 Euro. Wenn wir dann zum Beispiel eine neue Webseite beauftragen wollen, die nicht im Budget vorgesehen ist, müssen wir das normalerweise erst einmal zurückstellen, bis es einen neuen Haushaltsplan gibt. Das Präsidium kann es trotzdem in Auftrag geben, muss sich dann aber bei der nächsten Tagung vor den Landesverbänden dafür verantworten. Solche "Alleingänge" bleiben daher die Ausnahme. Generell gilt, dass das, was im Haushaltsplan steht, die Obergrenze für Ausgaben jeglicher Art ist.
Für mich als Präsident bzw. Mitglied des Präsidiums ist das ein gewisses Problem. Wenn wir auf unerwartete Ereignisse reagieren wollen bzw. müssen und dafür, mal angenommen, 5.000 Euro brauchen, dann gestaltet sich das überaus kompliziert. Die Landesverbände könnten dann sagen, dass das nicht budgetiert war. Meines Erachtens sollte das Präsidium über eine Art "Notbudget" verfügen, was uns handlungsfähiger machen würde.
Können Sie mir ein konkretes Beispiel nennen?
Die Webseite. Seit Jahren reden wir davon, dass sie modernisiert werden muss, was ein enorm wichtiger Punkt für die Sponsorenakquise ist. Wir haben uns ein Angebot eingeholt: ein erheblicher Betrag, der weit über dem Jahresbudget für Öffentlichkeitsarbeit liegt. Trotzdem haben wir den Auftrag erteilt. Es könnte also sein, dass wir uns beim nächsten Kongress rechtfertigen müssen. Allerdings rechne ich nicht damit, weil Einigkeit bestand, dass hier etwas passieren muss.
Und das ist nur eines der Probleme. Der Präsident hat ein Budget von 1.000 Euro im Jahr, seinen "Repräsentationsfonds". Wenn ich zum Beispiel einen Kranz zu einer Beerdigung mitnehme oder dergleichen. Die anderen drei Vizepräsidenten, also auch der Vizepräsident Finanzen, Dr. Hans-Jürgen Weyer, haben kein Budget. Null! Sie können nicht über Geld verfügen. Die Budget-Hoheit haben die Referenten der einzelnen Bereiche wie Leistungssport, Öffentlichkeitsarbeit usw. Ehrenamtler, die vom Kongress alle zwei Jahre gewählt werden. Das Präsidium soll immer alle Angelegenheiten regeln, und das möglichst schnell, hat aber überhaupt keine Budgetverantwortung. Ich weiß nicht, warum das so ist, ich habe es so vorgefunden. Darüber sollten wir nachdenken.
Steht das mit der Budgetverantwortung der Referenten nur auf dem Papier, oder wird es auch in der Praxis so gehandhabt?
Das wird nach meinem Kenntnisstand so gehandhabt. Aber da dem Präsidenten keine Referenten explizit zugeordnet sind, kann ich dazu keine eigenen Erfahrungen beisteuern.
Was ist, wenn einer Ihrer Vizepräsidenten einen Referenten anruft und ihm darlegt, dass für eine bestimmte Sache Geld benötigt wird?
Da spricht man sich natürlich ab. Aber unabhängig davon denke ich, dass das Präsidium auch über ein eigenes Budget verfügen sollte. Für "unerwartete Ausgaben", oder wie immer man es nennen will. Der Hauptausschuss bzw. der Kongress tagen nur zweimal im Jahr. Das heißt, wenn wir wirklich einmal Handlungsbedarf haben und schnell handeln wollen, müssten wir eigentlich einen außerordentlichen Kongress einberufen und uns das von den Landesverbänden absegnen lassen. Das verursacht erhebliche Kosten und ist in der Regel keine Option. Das Präsidium und speziell der Präsident werden schnell kritisiert, wenn Dinge nicht bzw. zu langsam umgesetzt werden. Das ist völlig legitim, weil wir am sichtbarsten sind. Aber das Präsidium sollte dann auch in die Lage versetzt werden, Dinge wirklich schnell zu entscheiden.
Ihrer Meinung nach bedarf es Reformen?
Unbedingt. Wobei ich nicht sagen kann, ob es dafür eine Mehrheit bei den Verbänden gibt. Eine größere Machtbefugnis des Präsidiums wird generell skeptisch gesehen. Ich würde gern die ganze Struktur des DSB reformieren. Es ist nur die Frage, wie weit man dabei geht. Es gibt einige problematische Punkte, die aber historisch gewachsen sind. Das ist so bei einer Satzung, die vor x Jahren erstellt und dann immer nur partiell verändert wurde. Da ist die Gefahr einer nicht mehr zeitgemäßen Grundstruktur groß.
Ein weiteres Thema ist die zweijährige Amtszeit. Nicht nur die des Präsidenten und der Vizepräsidenten, sondern auch die der Referenten. Das Präsidium kann nach seiner Wahl eineinhalb Jahre in Ruhe arbeiten und dann beginnt schon wieder der Wahlkampf. Ich rechne fest damit, dass ich bei der Wahl 2021 einen Konkurrenten haben werde. Das ist völlig in Ordnung, aber die eineinhalb Jahre "Ruhe" sind einfach zu knapp bemessen.
Ideal wären meiner Meinung nach Amtsperioden von vier Jahren bei einer maximal zweimaligen Wiederwahl. Was die Details angeht, bin ich kompromissbereit, nur sollten die Arbeitsperioden verlängert werden. Ich kann allerdings auch hier nicht sagen, wie das von der Mehrheit der Delegierten gesehen wird, die ja im Fall der Fälle darüber entscheiden würden.
Lassen Sie mich noch einmal auf die Finanzen zurückkommen. Wird jetzt, unter Verantwortung des neuen Geschäftsführers Marcus Fenner, nicht das "Prinzip Jordan" bei der DSAM 1:1 fortgesetzt? Gibt es Provisionen von den Hotels für die unter der Ägide des Schachbundes vermieteten Zimmer, die aber nun in die eigene Kasse fließen?
Das ist von Hotel zu Hotel verschieden. Von einigen erhalten wir Provisionszahlungen, wogegen aus meiner Sicht auch nichts spricht. Das Geld fließt in den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, es wird versteuert und es wird wieder ausgegeben, um die Turniere attraktiver zu gestalten. Aber in der Tat handelt es sich dabei um eine neue Einnahmequelle für uns. Allerdings ist der Anteil an den "soliden Finanzen" überschaubar, weil wir nicht mit allen Hotels diese Vereinbarung haben. Andere gewähren uns stattdessen Freizimmer.
Aber bei der DSAM wird insgesamt viel Geld eingespart. Früher waren hier an den Wochenenden von Donnerstag bis Sonntag 15 Leute unterwegs – mit den entsprechenden Kosten für den DSB. 15 mal Hotelzimmer, 15 mal Tagegeld usw. Jetzt sind es, glaube ich, acht oder neun. Wenn man das multipliziert, kommt, selbst wenn es in dieser Saison wegen Corona nur fünf statt der sonst sieben Turniere waren, eine ordentliche Summe zusammen.
... setzte 2001 seine Idee einer Deutschen Schach-Amateurmeisterschaft (DSAM) in die Tat um und machte das Projekt im Auftrag des Deutschen Schachbundes zu einem großen Erfolg. An den Vorausscheidungen nahmen zuletzt um die 400 Spieler pro Turnier teil. 2018 erfolgte der Bruch, weil der DSB von Nebenabsprachen Jordans mit den gastgebenden H-Hotels erfuhr, die Provisionen in die Kassen zweier mutmaßlich von ihm kontrollierten Vereine spülte – um die heute vor Gericht gestritten wird. Der Vorgang polarisiert vor dem Hintergrund von Jordans Engagement für das Schach mit Meinungen von "geht gar nicht" bis "völlig legitim" bis heute die deutsche Schachgemeinde.
Womit wir bei der DSAM sind, dem nach der Trennung von Dirk Jordan 2018 "populärsten" DSB-Thema der letzten zwei Jahre. Trotz aller Probleme gelang es, die Amateurmeisterschaft neu aufzustellen und sie nach altem Muster fortzuführen. Das Verdienst dafür gebührt in erster Linie Marcus Fenner?
Ja! Natürlich nicht ausschließlich, aber zu einem großen Teil. Er hat einige kompetente Mitstreiter vom alten Team übernommen. Jürgen Kohlstädt etwa, der bekanntlich rund um die Uhr für den Deutschen Schachbund im Einsatz ist. Oder Frank Jäger, der außerordentlich hilfreich war und ist.
Nach der Trennung von Herrn Jordan hatten wir vier Monate Zeit, um die neue Serie auf die Beine zu stellen. Und das mit dem erschwerenden Umstand, dass sich die H-Hotels, vormals Ramada, in denen zuvor alle Turniere ausgetragen wurden, von einem Tag auf den anderen zurückgezogen haben. Wir hofften anfangs, dass wir die Termine und die Hotels einfach übernehmen können und nur die Verträge neu verhandeln müssen. Es ließ sich auch gut an, aber dann kam plötzlich das "Nein!" der H-Hotels: keine Verträge mehr mit dem Deutschen Schachbund.
Marcus Fenner musste aus dem Stand sieben neue Hotels finden, und das innerhalb von wenigen Wochen. Das war ja der Vorteil des "Jordan-Modells", dass er mit der gesamten Hotel-Kette zusammengearbeitet hat, die dann natürlich über die Jahre entsprechendes Entgegenkommen gezeigt hat. Es stand wirklich auf der Kippe, ob wir das stemmen können.
"Der Deutsche Schachbund hat die DSAM an die Wand gefahren, die kriegen das niemals hin" – das habe ich damals ständig gehört und gelesen. Es wäre in der Tat ein fatales Signal gewesen, wenn wir es nicht hingekriegt hätten. Wie hätte es ausgesehen, wenn wir uns von dem "bewährten" Organisator trennen und es dann keine DSAM-Serie mehr gibt? Das war ein knappes Ding und eine, glücklicherweise erfolgreiche, Herkulesarbeit von Marcus Fenner!
Wie ist der Stand in Sachen "Jordan" und warum sind die "H-Hotels" 2018 plötzlich von den Vertragsverhandlungen zurückgetreten?
Wir sind gegen Dr. Jordan zivilrechtlich vorgegangen und haben auch Strafanzeige gestellt. Das zuständige Landgericht Dresden hat unser zivilgerichtliches Verfahren vorläufig bis zum Abschluss des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens ausgesetzt. Das dürfte vor dem Hintergrund geschehen sein, dass die strafrechtlichen Ermittler andere Möglichkeiten haben als ein Zivilgericht. Das heißt, wir müssen den Ausgang des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens abwarten. Nach unserem Kenntnisstand sind die Ermittlungen gegen mehrere Personen gerichtet und noch nicht abgeschlossen.
Über die Motive der H-Hotels könnte ich natürlich Mutmaßungen anstellen, möchte darüber jedoch nicht öffentlich spekulieren.
Wenn das Verfahren der Staatsanwaltschaft abgeschlossen ist, geht es um das Geld aus den Provisionszahlungen der Hotels aus den DSAM-Nebenabsprachen, das bei zwei Vereinen, "Ran ans Brett" und "64 Felder", liegt. Und die Konten der Vereine sind im Moment eingefroren?
Ich bin kein Jurist, mit den Details beschäftigen sich qualifiziertere Leute als ich. Nach meinem Kenntnisstand sind Privatkonten von Dirk Jordan eingefroren, über die Konten der Vereine wissen wir nichts.
Es wurde kommuniziert, dass das Geld aus den Nebenabsprachen nicht auf seine, sondern auf die Konten der zwei Vereine geflossen ist.
Das ist richtig. Aus diesem Grund gehen wir mit unserer Klage auch gegen die Vereine vor. Gelder, die Dirk Jordan in unserem Auftrag erwirtschaftet hat, stehen nach unserer Auffassung dem DSB zu, auch wenn sie auf Konten der genannten Vereine gelandet sind. Wir haben allerdings keine Kenntnis darüber, ob bzw. in welcher Höhe die Gelder inzwischen wieder abgeflossen sind.
Welchen Prozessausgang erhoffen Sie sich?
Wir klagen auf Herausgabe der Gelder in voller Höhe und, weil wir nur für die letzten Jahre einen vollständigen Überblick haben, vorgeschaltet auf Auskunftserteilung. Wie in jedem Gerichtsverfahren wird dem entweder ganz oder teilweise stattgegeben oder das Gericht entscheidet, dass kein Anspruch besteht. In Anbetracht des oben erwähnten Ermittlungsverfahrens und der Tatsache, dass Konten eingefroren wurden, halte ich das aber für unwahrscheinlich. Unser Anwalt ist sehr zuversichtlich, was den Ausgang des Prozesses angeht.
Können Sie eine Größenordnung nennen?
Sechsstellig. Im Prinzip kann man das überschlagen. Fünf Euro pro Teilnehmer pro Übernachtung, x Teilnehmer, y Übernachtungen. Allerdings ist alles, was außerhalb der zehnjährigen Verjährungsfrist liegt, rechtlich nicht mehr relevant.
Bevor die Sache justiziabel wurde, gab es ein Vergleichsangebot von Dirk Jordan?!
Jedenfalls gab es entsprechende Signale und wir waren auch gesprächsbereit. Seine Vorstellungen waren aber nicht akzeptabel.
Es ging dabei nicht nur um die Höhe des Betrages, sondern um Bedingungen, die an seine Auszahlung geknüpft sein sollten. Unannehmbar für uns war zum Beispiel, dass Dr. Jordan sofort wieder für den DSB aktiv werden wollte. Oder auch, dass die Zahlung an uns als Spende deklariert wird! Es ist weder akzeptabel noch zulässig, wenn man eine Spende annimmt, die offensichtlich keine Spende ist. Vor allem aber hat unser Anwalt uns eingeschärft, dass wir uns nur dann vergleichen dürfen, wenn wir uns zuvor einen Überblick über den "abgezweigten" Gesamtbetrag verschafft haben. Wenn das Präsidium nämlich leichtfertig auf Gelder verzichtet, die dem DSB zustehen, macht es sich unter Umständen selbst wegen Untreue strafbar. Bestandteil eines Vergleichs hätte deshalb eine umfassende Auskunftserteilung sein müssen. Aber die hat Dirk Jordan strikt abgelehnt.
Gipfel, solide Finanzen, DSAM – drei Erfolgsgeschichten. Wie erklären Sie sich den Fakt, dass trotzdem fast nur negativ über den Schachbund diskutiert wird? Warum ist sein Image so schlecht?
Diese Frage habe ich mir von Beginn an gestellt – seit ich vor drei Jahren zum Präsidenten gewählt wurde. Egal, was passierte, ich wurde erstmal kritisiert. Und "kritisiert" ist noch höflich formuliert, zum Teil wurde es sehr persönlich. Nach der Trennung von Dr. Jordan habe ich Einschreiben an meine Privatadresse bekommen: ich solle sofort zurücktreten, wenn ich noch einen "Funken Restanstand" besäße. Da dachte ich noch, okay, ich stehe nun mal an der Spitze und dass sich manche Leute an mir abreagieren, ist normal, das gehört dazu.
Aber es ist in der Tat so, das habe ich inzwischen gelernt, dass es nicht nur mich, sondern den gesamten Schachbund betrifft. Wir haben ein schlechtes Image. Dabei handelt es sich jedoch nicht um ein Phänomen, das erst seit dem Beginn meiner Präsidentschaft auftritt, auch vorher war es nicht anders. Bei Herbert Bastian war es so, das habe ich selbst schon in meiner Zeit als Präsident von Schleswig-Holstein mitbekommen, und bei Robert von Weizsäcker und Alfred Schlya davor dem Vernehmen nach auch. Egal, was der Schachbund tut, es wird stets negativ ausgelegt. Zumindest von den Leuten, die sich öffentlich äußern. Die sprichwörtliche "schweigende Mehrheit" sieht das allerdings anders, wenn ich meine persönlichen Gespräche auf die Gesamtheit der Schachspieler hochrechne.
"Inzwischen gelernt"? Schon in Ihrem Wahlkampf 2017 haben Sie betont, dass die Öffentlichkeitsarbeit ein zentraler Punkt ist, an dem man massiv arbeiten müsse. Vor drei Jahren. Seitdem hat sich wenig, um nicht etwas ketzerisch zu behaupten, nichts, geändert.
Was ich damals unter "Öffentlichkeitsarbeit" verstand, war in erster Linie die Webseite des Deutschen Schachbundes, aber auch die Präsenz bei Facebook und bei Instagram, die Kommunikation zur nichtschachlichen Presse usw. Unseren Facebook-Auftritt haben wir inzwischen stark verbessert, was sich auch an der Zahl der Follower ablesen lässt, die sich vervielfacht hat. Und bei Instagram waren wir früher gar nicht vertreten.
Die Webseite war damals nicht gut, jetzt ist sie besser, aber es gibt immer noch viel Verbesserungspotenzial. Ihre Kritik ist berechtigt, dieses Problem hätte man früher angehen müssen. Wir haben jetzt eine professionelle Agentur für das Design etc. beauftragt und arbeiten schon seit Monaten an den Inhalten. Das Ergebnis wird man im August sehen.
Noch vor dem Gipfel?
Das ist der Plan, wobei man bei IT-Projekten natürlich nie völlig sicher sein kann.
Eine zeitgemäße Webseite allein wird das Bild des Schachbundes in der breiten Schachöffentlichkeit – an der Basis, bei den Vereinen und Spielern – nicht grundsätzlich ändern können.
Wie gesagt: Mir war das ganze Ausmaß der Problematik nicht bewusst. Wir müssen generell unsere Strategie überdenken, mit Kritik umzugehen. Sollte man, wenn man scharf und nicht selten ohne Kenntnis der Fakten kritisiert wird, nicht auch scharf zurückschießen bzw. sich wenigstens sachlich erklären? Bislang haben wir es so gehandhabt, dass wir nicht öffentlich Position bezogen, sondern alles intern in unseren Gremien geregelt haben. Die Frage ist, ob man das nicht grundsätzlich ändern sollte.
Der DSB wird ständig angefeindet und solange wir dagegen nichts unternehmen, bleiben viele negative Aussagen hängen.
Der DSB hat einen Öffentlichkeitsreferenten. Aber ich habe noch nie von ihm gehört.
Das ist für mich eines der Schwerpunktthemen bei der oben angerissenen Strukturreform. Was ich anstrebe, ist Professionalisierung, auf so vielen Gebieten wie möglich. Die Öffentlichkeitsarbeit muss professionell aus der Geschäftsstelle heraus gesteuert werden. Man kann von einem ehrenamtlichen Referenten nicht erwarten, dass er schachpolitische Themen tagesaktuell auf hohem Niveau moderiert, quasi wie in der Bundespressekonferenz.
Was ein Öffentlichkeitsreferent laut Satzung bzw. Geschäftsverteilungsplan alles leisten soll, ist absolut illusorisch. Er ist nicht vom Fach und macht es zudem ehrenamtlich in seiner Freizeit. Das kann nicht funktionieren! Das sollten bzw. müssen Profis machen. Diese Struktur mit dem Öffentlichkeitsreferenten, der die Budgetverantwortung hat und der alles steuern soll, ist vollkommen aus der Zeit gefallen, da müssen wir unbedingt ran.
Und das schon seit mindestens 20 Jahren.
Ja, das stimmt vermutlich. Aber nun steht das Thema auf der Tagesordnung. Es wird keine leichte Sache, dafür Mehrheiten zu bekommen. Denn es geht letztlich darum, die Kompetenzen von Ehrenamtlern zu beschneiden – wofür man bei Ehrenamtlern wirbt, die darüber abstimmen. Schwierig.
Verfügen Sie mit der zwingend notwendigen Imageverbesserung des Verbandes nicht über gewichtige Argumente?
Ich denke schon. Unser Bild in der Öffentlichkeit kann nur mit professioneller Arbeit verbessert werden, anders wird es nicht funktioneren. "Professionalisierung" ist das Zauberwort. Wir machen natürlich nicht alles richtig, aber so schlecht, wie wir häufig dargestellt werden, sind wir bei Weitem nicht.
Fallen Ihnen spontan Vorgänge ein, für die der Schachbund zuletzt aus Ihrer Sicht zu Unrecht Prügel bezogen hat?
Zwei Punkte.
Wir haben nach dem letzten Kongress, im Juli 2019, mit der Arbeit an einem neuen Verbandsprogramm begonnen, das unsere Ziele hinsichtlich des 150-jährigen Jubiläums des Deutschen Schachbundes 2027 in 18 verschiedenen Bereichen formuliert. Das Programm wird in der Präambel explizit als "lebendes Dokument" bezeichnet, es soll auf jeder DSB-Tagung dem aktuellen Geschehen angepasst werden. Wir sind uns somit vollauf seiner, gewissermaßen, "Unvollkommenheit" bewussst. Aus meiner Sicht handelt es sich dennoch um einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Es geht um Visionen. In der öffentlichen Diskussion konnte man indessen darüber nur Negatives lesen. Es ist natürlich sehr leicht, aus einem Programm mit einer zweistelligen Zahl an Themen einzelne Sätze herauszugreifen und diese zu kritisieren.
Der zweite Punkt ist ein sehr aktueller: "Der Schachbund hätte in diesen Corona-Zeiten viel mehr machen müssen. Der Schachbund ist dafür verantwortlich, dass ..." Ich weiß gar nicht, wofür alles. Zum Beispiel sollen wir alle, die unter den heutigen Gegebenheiten mit Online-Schach anfangen, in die Vereine überführen. Wie, bitte schön, soll das funktionieren? Wir machen Online-Angebote, die nur für unsere Mitglieder sind. Die ganzen freien Online-Turniere, die auf den verschiedensten Servern wie Pilze aus dem Boden schießen, entziehen sich völlig unserem Einflussbereich, ebenso wie die Aktivitäten auf Streaming-Diensten wie Twitch. Schach boomt, Schach wird wahrgenommen, wunderbar. Aber wie sollen wir mit unseren – bescheidenen – Mitteln zu einer Art Multiplikator werden?
Wird dem Schachbund also zuviel zugemutet?
Ich denke, ja. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir ein relativ kleiner Verband mit einer Handvoll Angestellten sind, die gute Arbeit leisten. Ich habe den Verdacht, dass der Auslöser für das Anspruchsdenken, das uns gegenüber an den Tag gelegt wird, ein Vergleich mit großen Sportverbänden mit ganz anderen Mitteln und Möglichkeiten ist. Für einige Dinge wurden und werden wir natürlich auch zurecht kritisiert.
Die Öffentlichkeitsarbeit haben wir schon besprochen. Die übereilte Entscheidung, die 2. Bundesliga abzubrechen, ist ein weiteres Beispiel. Das haben wir zwei Tage später korrigiert.
Inzwischen wurde der Fall "Jordan" vom Fall "Schulz" überlagert. Von Seiten der Deutschen Schachjugend lautete der Vorwurf, dass der Rauswurf ihres Geschäftsführers generalstabsmäßig geplant war. Der Vorsitzende der DSJ, Malte Ibs, wurde erst unmittelbar im Vorfeld des Hauptausschusses, bei der die Kündigung abgesegnet werden sollte, informiert, an dem er selbst, wie bekannt war, urlaubsbedingt gar nicht teilnehmen konnte.
Das ist so nicht zutreffend. Wir hatten triftige Gründe, Herrn Schulz zu kündigen, darunter einen sehr konkreten, über den ich mich öffentlich nicht äußern werde. Der Beschluss über die Kündigung konnte nur vom Präsidium getroffen werden. Es gab eine Präsidiumssitzung am Vorabend des Hauptausschusses am 15. November 2019. Dass Malte Ibs bei dieser Sitzung nicht dabei sein würde, wussten wir natürlich vorher, er hatte seinen Urlaub angekündigt.
... wirkte seit 1990 als Geschäftsführer der Deutschen Schachjugend. Ohne ihn wäre das Projekt der jährlich gemeinschaftlich ausgetragenen Jugend-Einzelmeisterschaften (U10 bis U18) in Willingen mit gut 500 Teilnehmern und Hunderten Begleitpersonen schwer vorstellbar. Schulz war (und ist) eine Institution; Kritiker aus den Reihen des DSB bemängeln jedoch sein Problem im Umgang mit Autoritäten bei der Zusammenarbeit mit der Dachorganisation. Die u.a. daraus erwachsenen Probleme eskalierten im Vorjahr und führten zu seiner Entlassung. Im Falle einer beim anstehenden Kongress zu beschließenden Abspaltung vom DSB wird die DSJ ihren Geschäftsführer wieder einstellen.
Aber die Entlassung war schon deutlich länger geplant. Lange, bevor Ibs davon erfahren hat.
Im Oktober lagen uns alle Fakten vor. Anschließend benötigten wir auch selbst noch Bedenkzeit, denn es handelte sich ja um eine weitreichende Entscheidung. Der nächste mögliche Termin für den Beschluss war dann die Präsidiumssitzung in Hamburg. Es war keinesfalls so, dass wir die Sache schon ein halbes Jahr in der Schublade hatten und nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet haben.
Ich habe Malte Ibs im Vorfeld in einem vertraulichen Gespräch über den Beschluss in Kenntnis gesetzt, der auf der Präsidiumssitzung gefällt werden sollte. Er hat dieses vertrauliche Gespräch sofort öffentlich gemacht! Das geht nicht! Unabhängig davon, ob es um Jörg Schulz geht oder was auch immer. Wenn ich mit einem Präsidiumsmitglied über Interna spreche, müssen das auch Interna bleiben. Sie dürfen nicht an Tausende von Leuten in einer Mail verteilt werden, in der zum Widerstand aufgerufen wird.
Aber argumentiert man andersherum, war es quasi "Notwehr". Ihm blieben nur Stunden, um den aus seiner Sicht ungerechtfertigten Rauswurf Schulz’ zu verhindern. Die Loyalität zu seinem langjährigen Mitstreiter und Geschäftsführer war größer als die zu den Kollegen im Präsidium. Die DSJ sprach Schulz öffentlich weiterhin ihr volles Vertrauen aus.
Er hätte stattdessen auch versuchen können, die ihm bekannten und gewichtigen Kündigungsgründe mit Sachargumenten zu widerlegen. Diesen Versuch seitens der DSJ gab und gibt es nicht. Wir hätten mit Sicherheit zugehört.
Wirklich? Die Fronten waren doch ganz offensichtlich verhärtet. Letztlich gab es beim Hauptausschuss mehr Widerstand gegen die Kündigung als erwartet, was in dem Kompromiss gipfelte, Schulz erst zum 30. Juni 2020 zu kündigen. Im Vorfeld sollte über die rechtliche Abspaltung der DSJ entschieden werden, die so die Möglichkeit gehabt hätte, Schulz eigenverantwortlich wieder einzustellen.
Da muss ich einige Dinge richtigstellen: Die Kündigung zum 30. Juni 2020 resultierte aus der langen Beschäftigungsdauer von Jörg Schulz, die eine siebenmonatige Kündigungsfrist nach sich zog, und war keinesfalls eine Entscheidung des Hauptausschusses. Es gab auch keinen "Widerstand" seitens des Hauptausschusses. Außerdem heißt das Projekt, über das der Kongress entscheiden soll, "DSJ als e.V." und nicht "Jörg Schulz als DSJ-Geschäftsführer".
Das Problem ist, wie schon erwähnt, dass ich mich nicht öffentlich zu unseren Beweggründen äußern darf, sonst würde unser Standpunkt verständlicher werden. Aber wenn jemand gekündigt wird, dann geht es die Öffentlichkeit nichts an, warum.
Was einmal mehr nicht hilfreich für die Außendarstellung war. Immer wieder zu betonen, dass das Vertrauensverhältnis von Seiten des Präsidiums zu Jörg Schulz irreparabel erschüttert ist, ohne sich zu den Gründen zu äußern.
In anderen Fragen ist es durchaus diskutabel, inwieweit man sich öffentlich positioniert, wir haben gerade darüber gesprochen. Im konkreten Fall stellte sich die Frage nicht. Wir dürfen uns, auch zum Schutz unseres Mitarbeiters, über diese internen personalrechtlich relevanten Dinge öffentlich nicht äußern.
Sagen wir, dass die DSJ offensiver, der DSB professioneller mit der Sache umgegangen ist. Und trotzdem ist es wieder der Schachbund, der in der öffentlichen Wahrnehmung verliert.
Das kann ich in diesem Fall nicht bestätigen. Nach der Email von Malte Ibs und den anderen öffentlichen Kundgebungen waren wir in der Tat für einige Tage in der Defensive. Aber jetzt, im Nachhinein? Intern, in den Gremien des DSB, wurde und wird die Aktion von Malte Ibs nach meinem Kenntnisstand negativ beurteilt. Man darf personalrechtlich relevante Interna im Vorfeld einer Präsidiumssitzung nicht öffentlich machen. Damit wird die Arbeit unserer Gremien torpediert bzw. unmöglich gemacht.
Im Wahlkampf 2017, Krause gegen Bastian, war die DSJ noch Ihr wichtigster Unterstützer.
Ja, das stimmt.
Da haben Sie noch gemeinsam an einem Strang gezogen. Wie konnte es passieren, dass das Vertrauensverhältnis inzwischen komplett zerrüttet ist? Wurde dies tatsächlich nur durch den besagten Vorfall ausgelöst oder kam eins zum anderen?
Letzteres. Vorher kannte ich Jörg Schulz nur oberflächlich von privaten Gesprächen in den Pausen bei DSB-Sitzungen. Aber ich habe nie mit ihm zusammengearbeitet. Das machte den Unterschied. Ich hatte von seinen Schwierigkeiten mit anderen Autoritäten zwar gehört, habe aber das Ausmaß dessen bzw. die Konsequenzen erst dann selbst erfahren.
Worauf wird es jetzt zwischen dem DSB und der DSJ hinauslaufen?
Jörg Schulz ist seit dem 1.7.2020 nicht mehr Angestellter des Deutschen Schachbundes. Was wir jetzt auf dem außerordentlichen Kongress in Magdeburg verhandeln werden, der wie der Gipfel eigentlich schon im Mai stattfinden sollte, ist der Antrag der DSJ auf Eigenständigkeit. Juristisch ist das ziemlich kompliziert. Voraussetzung ist eine Satzungsänderung, für die es einer Zweidrittelmehrheit bedarf.
Die DSJ wäre dann finanziell eigenverantwortlich?
Dafür muss auch die Finanzordnung geändert werden. Dort steht momentan, dass die DSJ einen Zuschuss in Höhe von x vom DSB erhält, der jedes Jahr neu verhandelt wird. Das ist im Wesentlichen nichts anderes als der Etat der entsprechenden Referate. Künftig flösse dieser Zuschuss bzw. auch ein Anteil an den Mitgliedsbeiträgen dann nicht mehr an die DSJ im DSB, an die Jugendorganisation des DSB also, sondern an einen eigenständigen Verein DSJ e.V.
Wird der Antrag angenommen? Ist das überhaupt in Ihrem, im Interesse des DSB?
Die Antragsfrist endet am 24. Juli, erst dann liegt der Antrag in der finalen Fassung auf dem Tisch. Wir arbeiten jetzt seit einem halben Jahr mit der DSJ daran. Es gibt immer noch einige offene Fragen bzw. Streitpunkte, zum Beispiel den des Sitzes der DSJ im Präsidium. Da es sich dann um einen eigenständigen Verein, den "DSJ e.V.", handeln würde, sehe ich nicht, warum dieser einen Sitz im DSB-Präsidium haben sollte. Hier erzielen wir vielleicht noch einen Konsens, aber es gibt noch andere strittige Punkte, bei denen es im Wesentlichen um Geld geht.
Es steht also im Raum, dass der Antrag auf Eigenständigkeit nicht durchkommt und dann – wie angekündigt – der gesamte DSJ-Vorstand zurücktritt. Das kann auch nicht im Interesse des DSBs sein.
Das stand auch im Raum, als die Entlassung von Jörg Schulz bevorstand. Ich bin generell kein Freund von solchen Drohszenarien, mir sind Sachargumente deutlich lieber.
Die beiden deutschen Nationalspieler gerieten auf den sozialen Netzwerken und, im Rahmen der Deutschen Schach-Internetmeisterschaft im Mai, auf dem Server von ChessBase aneinander. Fortwährende Sticheleien Meiers, die massiv ihre Psyche beeinflusst hätten, sie das Turnier völlig in den Sand setzen und zur direkten Partie nicht antreten ließen, führten, so Pähtz, zu einer öffentlichen Beleidigung. Meier forderte ihre Disqualifikation, rief später intern den DSB an und gab schließlich der Webseite "Perlen vom Bodensee" ein Interview, in dem er im Falle einer ausbleibenden Reaktion mit der Abwendung vom Deutschen Schachbund und einem Wechsel nach Uruguay, dem Heimatland seiner Mutter, liebäugelte. Im Zuge dessen veröffentlichte er einen privaten Chat mit Pähtz, den er mit dem DOSB verlinkte. Beide haben inzwischen anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen. Zum Zeitpunkt unseres Redaktionsschlusses war eine Schlichtung des Konfliktes noch nicht abzusehen.
Kommen wir zum letzten Punkt, der zuletzt die Gemüter erhitzte. Welchen Standpunkt nimmt der Schachbund in dem Zwist zwischen Elisabeth Pähtz und Georg Meier ein?
Zunächst ist das, was unsere Nationalspieler öffentlich äußern, deren Privatangelegenheit. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut. Erst, wenn sie in irgendeiner Form den DSB angreifen, müssen wir reagieren. Im vorliegenden Fall könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass das den DSB nichts angeht, wir haben formaljuristisch auch gar keine Handhabe. Das ist eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass beide natürlich sehr sichtbar sind und dass sie das deutsche Schach und damit auch den Deutschen Schachbund repräsentieren. In der öffentlichen Darstellung hieß es, wir hätten viel früher deeskalierend eingreifen müssen. Wir haben es versucht. Das hat etwas länger gedauert, als ich es mir gewünscht hätte. Allerdings habe ich uns auch nicht zwingend in der Pflicht gesehen. Wir haben es trotzdem getan.
Inwiefern?
Zuerst hat Andreas Jagodzinsky mit beiden gesprochen, dann Marcus Fenner, dann Olga Birkholz. Und schließlich ich selbst. Elisabeth hat ihren Tweet gelöscht, aber zu einer richtigen Entschuldigung war sie nicht bereit. Dieser beleidigende Tweet war keine gute Idee von ihr, was sie auch selbst einräumt. Auf der anderen Seite hat sich auch Georg nicht mit Ruhm bekleckert, indem er die Sache in einem Interview ausgebreitet, mit seinem Rückzug aus der Nationalmannschaft gedroht, den Schachbund öffentlich kritisiert und zum Handeln aufgefordert hat.
Infolgedessen haben wir beschlossen, eine Art Verhaltenskodex für Kaderspieler einzuführen, um dergleichen künftig auszuschließen. Damit ist die Angelegenheit für mich persönlich erst einmal vom Tisch. Wenn Georg Meier aus der Nationalmannschaft zurücktreten will, weil der Schachbund aus seiner Sicht nicht rechtzeitig oder nicht intensiv genug eingegriffen hat, dann wäre das bedauerlich. Konkret ist mir allerdings außer seiner öffentlichen Äußerung nichts bekannt. Und soweit ich sehe, wird er auch das Masters in Magdeburg mitspielen.
Wenn Georg die Föderation wechseln und künftig für Uruguay spielen will, wird der Schachbund dann, wie von ihm erhofft, auf die Wechselgebühr verzichten und ihm damit die zweijährige Sperre ersparen?
Das wären bei seiner Elozahl 25.000 Euro, auf die dürfen wir gar nicht verzichten! Georg Meier hat ja in seiner Jugend bei seiner schachlichen Ausbildung von den Maßnahmen des DSB profitiert. Dafür ist ja die von der FIDE festgeschriebene Wechselgebühr gedacht, dass die Föderation, die bei der Ausbildung geholfen hat, gewissermaßen entschädigt wird. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es soweit kommen wird. Vielleicht beruhigen sich die Gemüter auch wieder.
Meine abschließende Frage: Derzeit wird viel über den Ausrichtungsort der zweiten Hälfte des Kandidatenturniers spekuliert. Gleichzeitig war von den guten Kontakten zu lesen, die der Schachbund zur FIDE unterhält. Ist Deutschland eine Option?
Nein, leider nicht.
Ja, wir haben exzellente Kontakte zur FIDE. Acht Deutsche sitzen jetzt in offiziellen FIDE-Kommissionen, Marcus Fenner hat ständigen Kontakt zu Emil Sutovsky, ich habe mich zweimal mit Arkadij Dworkowitsch getroffen, dem an einer guten Zusammenarbeit mit uns gelegen ist. Gut möglich, dass die FIDE bei nächster Gelegenheit wieder eine Großveranstaltung nach Deutschland vergibt. Aber die zweite Hälfte des Kandidatenturniers, nein.
Vielen Dank für das Gespräch.
Heft 8/2020 der Zeitschrift SCHACH wird seit etwa zwei Wochen über den Zeitschriftenhandel verkauft. Neben dem Interview mit Ullrich Krause (in der Zeitschrift sind Sie auch einige persönliche Bilder unseres Präsidenten) finden Sie viele weitere interessante Themen.
Wir danken dem Exzelsior-Verlag für die Bereitstellung des Interviews!
Einleitung/Infobox am Schluß: Redaktion
Alle anderen Texte: Zeitschrift SCHACH
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 10452