3. Juli 2014
Alle 4 Jahre findet die Mannschaftsweltmeisterschaft der Gehörlosen statt. Nach der WM 2010 in Portugal ging es dieses Jahr nach Opatija in Kroatien. Die Anreise war für die deutsche Mannschaft aufgrund einer Autopanne voller Abenteuer. Zum Glück hatte ich mich für die Anreise mit dem Flugzeug entschieden und kam entspannt im Hotel an.
Am Abend des 18. Juni fand das Kapitän-Meeting statt. Es wurde noch einmal über eine mögliche Bedenkzeitänderung gesprochen. Leider wurde der Antrag abgelehnt, sodass wir mit 90 Minuten plus 30 Sekunden pro Zug für die gesamte Partie spielten.
Die Eröffnungszeremonie am nächsten Tag war diesmal sehr kurz. Jede Mannschaft schaffte es gerade so auf die Bühne, um ein Foto zu schießen. Insgesamt waren bei der WM 20 Nationen in den verschiedenen Turnieren Herren-WM, Frauen-WM und Open vertreten. Das deutsche Team spielte an den vier Brettern plus Ersatzspieler bei der Herren-WM mit folgender Aufstellung:
Für eine Frauenmannschaft sind lediglich zwei Spielerinnen nötig. In Deutschland bin ich momentan jedoch die einzige Frau, sodass ich bei den Männern mitspiele. Im Open wurde Deutschland durch Schachfreund Olaf Hoyer vertreten.
Von den 18 Mannschaften war Deutschland an 5 gesetzt und erhielt in der ersten Runde den vergleichsweise leichten Gegner Kasachstan. Mit der Stammaufstellung Salow, Mucha, Ghadimi und Jentsch holten wir auch schnell unseren ersten Sieg mit 3,5 Brettpunkten. Bereits in Runde 1 gab es schon eine Überraschung: die sehr stark aufgestellte Mannschaft aus Kroatien konnte gegen England lediglich ein 2:2 erreichen! Es sollte nicht die letzte Runde sein, in der der klare Favorit sich nicht durchsetzen konnte.
In Runde 2 spielten wir mit der gleichen Aufstellung gegen die Ukraine. Dieter an Brett 4 stand bereits nach der Eröffnung sehr gut und holte souverän den ersten Punkt. Die Partie von Ghadimi wurde etwas später Remis. Leider hatte ich die bereits gefürchteten Zeitprobleme und spielte mich mit den 30 Sekunden pro Zug in leicht besserer Stellung selbst an die Wand. Unsere Hoffnungen ruhten auf Salow am 1. Brett. In einem Turmendspiel schaffte er es, seinen Mehrbauern in einen Sieg zu verwandeln. Damit hieß es 2,5:1,5-Sieg!
Die dritte Runde bescherte uns England als Gegner. Vorsicht war angesagt, da England bereits gegen Kroatien punkten konnte. Die deutsche Aufstellung wurde geändert, sodass nun Gründer zu seinem ersten Einsatz kam und ich aussetzte. Das Ergebnis von 3,5:0,5 für Deutschland täuscht etwas. Jentsch stand zeitweise klar auf Verlust und hatte viel Glück, die Partie zu gewinnen.
Bilanz nach dem ersten Drittel: drei Siege und momentan auf dem ersten Platz!
Am nächsten Tag fand die Runde bereits 9.30 Uhr statt. Serbien konnte bisher ebenfalls alle Runden gewinnen. Am 1. Brett spielte der Weltmeister von 2012 Vladimir Klasan. Salow vertat sich bereits in der Eröffnung. Seine Schwächen in der Stellung wurden gnadenlos ausgenutzt. 1:0 für Serbien. Auch ich am 2. Brett hatte einen sehr guten Gegner und wurde überspielt. Bereits vor der Runde war uns bewusst, dass die hinteren Bretter unbedingt punkten mussten. Leider gelang nur Ghadimi ein Sieg, sodass Deutschland die erste Niederlage im Turnier hinnehmen musste.
Nach dieser Runde konnte man an einer Exkursion nach Pula und Rovinj teilnehmen. Ich entschied mich für einen entspannten Tag am "Strand" (Steinstrand). Auch viele andere nutzten die Möglichkeit zum schwimmen, sodass es ein sehr schöner Nachmittag wurde.
Am 23. Juni spielten wir gleich zwei Runden (9 und 16 Uhr). Jentsch brauchte nach den ersten vier Runden dringend eine Pause.
Nach der vorhergehenden Niederlage mussten wir uns nun gegen Polen behaupten. Die Polen spielten bis dahin ebenso wie England ein sehr gutes Turnier. Gegen Deutschland hätten sie sich jedoch beinah eine 4:0 Niederlage geholt. Salow, Ghadimi und Gründer hatten kaum Probleme ihre Gegner zu besiegen. Ich hatte auch eine klare Gewinnstellung. Nur die Zeit machte erneut Probleme. Innerhalb von ein paar Zügen war die Stellung plötzlich nicht mehr zu retten - Blackout und Verlust.
Mit dem Sieg gegen Polen hatten wir uns nun wieder auf Platz 2 vorgearbeitet. Am Nachmittag stand noch die Begegnung gegen Bulgarien an (Setznummer 2). An Brett 2 spielte ich gegen den Weltmeister von 2004 und 2008 Veselin Georgiev und verlor. Auf das deutsche Team war jedoch Verlass und wir erreichten ein 2:2. Damit stand Deutschland nach 6 Runden auf dem 2. Platz.
Nach der Doppelrunde war ein freier Tag, welcher für weitere Ausflüge und Entspannung genutzt wurde. Die Delegierten der Nationen kamen außerdem für den Kongress zusammen. Für mich sehr überraschend war die Neuigkeit, dass ein serbischer Spieler überprüft wurde. Es stellte sich heraus, dass er zu gut hört und gar nicht an dem Turnier teilnehmen darf. Hier wurde anscheinend sowohl vom serbischen Verband als auch vom ICCD etwas übersehen. Der entsprechende Spieler wurde disqualifiziert und alle seine Punkte gingen verloren. Die serbische Mannschaft fiel damit von dem ersten auf den vierten Platz zurück. Weiterhin weigerte sich aus Protest ein anderer serbischer Spieler, die verbliebenen drei Runden zu spielen.
Aufgrund des "Doping-Falls" wurde neu ausgelost. Deutschland spielte in Runde 7 somit nicht gegen Kroatien sondern Russland. Ich setzte in dieser Runde aus. Von den Partien meiner Mannschaftskameraden bekam ich nicht so viel mit. Am Ende stand eine Niederlage mit 1,5:2,5 Punkten.
Der Verlust gegen Russland machte sich gravierend in der Rangliste bemerkbar. Dennoch bestanden noch sehr gute Chancen auf die Medaillenränge.
In Runde 8 hieß unser Gegner Ungarn - ein starkes und kampferprobtes Team. Diesmal setzte Jentsch aus. Gründer am vierten Brett hatte eine Achterbahnfahrtpartie hingelegt, aber am Ende die Oberhand behalten und den ersten Brettpunkt für Deutschland geholt. Ich selbst schaute schon gebannt auf meine wenige Zeit. Mein Gegner fand nach 25 Minuten eine sehr schlechte Fortsetzung für sich selbst: durch den Abtausch vieler Figuren und Gewinnen eines Bauerns konnte ich die Stellung problemlos Remis halten. Auch Salow und Ghadimi hatten keine Probleme die Punktteilung zu erreichen. 2,5:1,5-Sieg gegen Ungarn!
Vor der letzten Runde waren wir auf Platz 2. Bulgarien lag mit einem Mannschaftspunkt vor und auf dem ersten Platz und konnte nicht mehr eingeholt werden (gegen England wurde sich nach wenigen Zügen auf vier Remis geeinigt). Hinter uns waren auf den Plätzen 3 und 4 Polen und Russland mit einem Mannschaftspunkt weniger. Mit einem 2:2 würden wir die Silbermedaille gewinnen und mit einer Niederlage wohl knapp auf Platz 4 liegen. Ein Sieg gegen den Gastgeber Kroatien ist allerdings eine alles andere als leichte Aufgabe.
Salow machte an Brett 1 sehr schnell Remis gegen den GM Zlatko. Ich lief direkt in die Vorbereitung meines Gegners und musste mich geschlagen geben. Bei Jentsch an Brett 4 sah es auch sehr schlecht aus. Einzig Ghadimi hatte eine aussichtsreiche Stellung. Er versuchte alles - kam über ein Remis nicht hinaus. Jentsch konnte inzwischen von den Endspielfehlern seines Gegners profitieren und erarbeitete ein Turmendspiel mit Mehrbauer. Trotzdem reichte es nicht und nach 125 Zügen war auch diese Partie Remis.
Während unserer laufenden Partien konnten wir auch das Match Ukraine gegen Russland verfolgen. Überraschend siegte die Ukraine! Damit lagen wir immer noch vor Russland und nur Polen hatte uns in der letzten Runde überholt. Bronze für Deutschland!
Pl. | Land | Mannschaft | S | R | N | MP | BP |
---|---|---|---|---|---|---|---|
1. | BUL | Bulgarien | 5 | 4 | 0 | 14 | 25.0 |
2. | POL | Polen | 5 | 3 | 1 | 13 | 21.5 |
3. | GER | Deutschland | 5 | 2 | 2 | 12 | 22.0 |
4. | CRO | Kroatien | 5 | 2 | 2 | 12 | 20.5 |
5. | UKR | Ukraine | 5 | 1 | 3 | 11 | 23.0 |
6. | ENG | England | 3 | 5 | 1 | 11 | 19.0 |
7. | RUS | Russland | 5 | 1 | 3 | 11 | 19.0 |
8. | HUN | Ungarn | 5 | 0 | 4 | 10 | 21.5 |
9. | ITA | Italien | 5 | 0 | 4 | 10 | 19.5 |
10. | KAZ | Kasachstan | 5 | 0 | 4 | 10 | 19.0 |
11. | SRB | Serbien | 2 | 6 | 1 | 10 | 18.5 |
12. | ISR | Israel | 3 | 2 | 4 | 8 | 18.0 |
13. | BLR | Weißrussland | 4 | 0 | 5 | 8 | 16.5 |
14. | ARM | Armenien | 3 | 1 | 5 | 7 | 14.0 |
15. | SUI | Schweiz | 2 | 2 | 5 | 6 | 17.0 |
16. | SVK | Slowakei | 2 | 1 | 6 | 5 | 16.5 |
17. | AZE | Aserbaidschan | 1 | 0 | 7 | 2 | 4.5 |
18. | SCO | Schottland | 0 | 1 | 8 | 1 | 7.0 |
Die Weltmeisterschaft war sehr durchwachsen. Insgesamt hat die deutsche Mannschaft ein herausragendes Ergebnis erzielt!
Ein weiterer Grund zur Freude ist der Sieg im Open von Olaf Hoyer mit 7 Punkten aus 9 Runden.
An dieser Stelle möchte ich mich bei den Sponsoren Alternative 54 e.V., GSV Sachsen, Deutscher Gehörlosen-Sportverband, Dresdner GSV und allen anderen, welche meine Teamkollegen unterstützten, bedanken. Ohne die finanzielle Unterstützung wäre diese Reise und der damit verbundene Erfolg nicht möglich gewesen.
Annegret Mucha
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 9904