11. Juni 2012
Was die Schach-Berichterstattung in den deutschen Printmedien angeht, so findet man bestenfalls Beiträge zum Wettkampfschach. Aber selbst das jüngste Weltmeisterschaftsmatch in Moskau zwischen Weltmeister Viswanathan Anand und seinem Herausforderer Boris Gelfand fand in der Tagespresse eher im bescheidenen Umfang statt. Dass die Wochenzeitschrift DIE ZEIT mit Ulrich Stock sich dennoch den Luxus leistete, einen nicht nur schachkundigen, sondern auch exzellenten Journalisten in die russische Metropole zu schicken, kann daher gar nicht hoch genug gewürdigt werden.
Was hingegen das Ansehen des Schachs in der Gesellschaft angeht, lebt es in hohem Maße auch heute "von den vielen Kunstgegenständen, die sich mit dem Schach beschäftigt haben bzw. an der Beschäftigung mit dem Schach entstanden sind. Dazu gehört z. B. die Literatur: Schon in früher Zeit wurden Bücher geschrieben und gedruckt, in denen das Spiel beschrieben wurde, und heute ist Schach wohl eines der Themen, zu denen die meisten Bücher veröffentlicht wurde", so ChessBase-Autor André Schulz. Und er erwähnt zwei weitere große Felder - die Schachfiguren, aus deren Ausgestaltung in den verschiedenen Epochen sich Hinweise auf die geschichtlichen Vorgänge jener Zeit ablesen lassen, sowie jene Künstler, die leidenschaftliche Schachspieler wie der Franzose Marcel Duchamp waren.
Nur gut, dass es deshalb Chess Collectors International (CCI) gibt, wo gegenwärtig 450 Liebhaber und sachverständige Sammler von kunst- und kulturhistorischen Schachspielen organisiert sind. Hauptziele dieser weltumspannenden Vereinigung sind Vorhaben zur Erforschung der Geschichte des Schachspiels und der Schachfiguren zu fördern sowie Zusammenhänge zwischen Schach und Geschichte, Kultur, Kunst, Literatur und anderen Wissenschaften aufzuzeigen. Dazu werden regelmäßig alle zwei Jahre Kongresse auf internatonaler Ebene durchgeführt - die 15. Auflage findet von heute an in Dresden statt.
In den kommenden sechs Tagen erwartet die Teilnehmer, darunter sind der Nestor des russischen Schachs und älteste lebende Großmeister der Welt Juri Awerbach und der Karl-May-Verleger und Besitzer der größten privaten Schachbüchersammlung der Welt Lothar Schmid.
Wer sich über die Arbeit der Schachsammler informieren will, kann das am Donnerstag tun, denn ihr Vortragsprogramm, das im Inside Dresden Hotel ab 9 Uhr stattfindet, ist öffentlich. "Wir würden uns natürlich freuen, interessierte Zuhörer begrüßen zu können", so Dr. Thomas Thomsen aus Königstein im Taunus. Er war zwei Jahrzehnte Präsident der 1984 gegründeten Vereinigung, die nach 1988 in München und 2006 in Berlin bereits zum dritten Mal ihren Kongress in Deutschland abhält.
Was die Mitglieder des CCI angeht, an deren Spitze jetzt der Engländer Michael Wiltshire steht, hat Thomsen, der weltweit einer der führenden Sammler von Schachspielen ist ("Es sind zu viele", meint er ironisch), folgende Selbsteinschätzung getroffen: "Man kann die Menschen in drei Kategorien einteilen. Die Ersten sind die Normalen, die wissen genau, dass 2 x 2 = 4. Sie funktionieren prächtig. Die Zweiten, die Verrückten und Sonderlinge, sind absolut überzeugt, dass 2 x 2 = 5 ist. Die Dritten schließlich, wie wir, haben sich zwar damit abgefunden, dass 2 x 2 = 4, aber viel lieber wäre uns: 2 x 2 = 5."
Ein wichtiges Begleitprojekt der Internationalen Kongresse sind stets Ausstellungsprojekte, die von der CCI unter Mitwirkung anerkannter Museen realisiert werden wie es beispielsweise in New York das Metropolitan Museum oder in St. Petersburg die berühmte Ermitage waren.
Der Dresdner Kongress hat in dieser Hinsicht zwei Expositionen zu bieten. Im Schloss Pillnitz gibt es die Sonderausstellung (bis 26. Juli) chinesischer Schachfiguren "Schach-Chinoiserien". Im Osterzgebirgsmuseum Schloss Lauenstein (bis 26. August) werden unter dem Titel "Königreich im Quadrat" faszinierende erzgebirgische und Reise-Schachspiele vorgestellt.
Und selbstverständlich wird während der sechstägigen Veranstaltung auch aktiv Schach gespielt. Am kommenden Sonnabend (16 Juni) bittet Deutschlands Nummer 1 der Frauen Elisabeth Pähtz in die Tagungsstätte im Inside Dresden Hotel , das unmittelbar in der Nähe der Frauenkirche liegt, die mutigsten Kongressteilnehmer ab 15 Uhr zum Simultan.
Den Tipp für den Kongress habe ich übrigens von Dr. Helmut Pfleger, der in seiner wöchentlichen Schachkolumne im ZEITmagazin auf das Treffen der Schachsammler in Elbflorenz verweist. "Und wenn Sie nun auch die Versuchung antastet, lassen Sie sich von Herrn Thomsen die Conditio sine qua non eines echten Sammlers erläutern, den Eichhörnchen-Instinkt: Sammeln, aufheben, bewahren. Aus solchen Holz müssen also Schachsammler geschnitzt sein", lesen wir da. Ist das nicht eine werbende Einladung an den ein oder anderen von Ihnen, vielleicht über eine aktive CCI-Mitgliedschaft nachzudenken?!
Raymund Stolze
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 382