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"Shatranj" - Das Schach der Kalifen
20. Oktober 2016
Historisches Sport- und Kulturevent in Hamburg
Liebe Leserinnen und Leser!
hiermit möchten wir Sie auf ein ganz besonderes Schachhighlight in Hamburg aufmerksam machen.
Die Originalversion des Schachspiels - Shatranj, das Schach der Kalifen - kommt zurück anlässlich eines Revival-Turniers am Sonnabend, 22. Oktober 2016.
Im Rahmen der Arabischen Kulturwochen 2016, die bis Mitte Dezember 2016 in Hamburg und Bremen stattfinden - wird organisiert ein eintägiges Shatranj-Turnier (nach Schnellschachregeln/15 Minuten pro Spieler und Partie), das ist das "Sa'id ibn Jubair-Shatranj-Memorial 2016" an der Universität Hamburg, Asien-Afrika-Institut,Edmund-Siemers-Allee 1, 20146 Hamburg (Raum 121; Beginn 12:00 Uhr).
Das historische Turnier, das realisiert wird mit freundlicher Unterstützung des Tunesischen Konsulats in Hamburg sowie der Deutsch-Tunesischen Gesellschaft, wird eingebettet in einen "Tunesischen Tag", der zum breit gefächerten Programm der "Arabischen Kulturwochen 2016" gehört. Der Ort des Turniers im Asien-Afrika-Institut liegt verkehrsgünstig in der Nähe der S-Bahn-Station Hamburg-Dammtor (wo auch Fernzüge halten).
Warum kann man dieses Turnier ohne Übertreibung "historisch" nennen?
"Shatranj", das ehrwürdige Schach der Kalifen, ist die Originalversion jenes Schachspiels, nach dessen Regeln über 800 Jahre lang Menschen ihre Partien austrugen weltweit überall dort, wo die Kunst des Mattsetzens gepflegt wurde. Und zwar sowohl in der muslimisch geprägten Hemisphäre als auch im christlichen Abendland, von Bagdad bis Rom, vom maurischen Granada bis nach Paris und Worms im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation.
Einer der ersten prominenten Fans des besagten Shatranj - in dem "Elefanten" statt "Läufer" das 64-Felder-Brett unsicher machten und diskrete "Wesire" statt dominanter "Damen" ihre Fäden sponnen (siehe Foto mit einem Set nach dem Konzept von René Gralla, Mitglied des Organisationsteams des Turniers) - war der berühmte muslimische General 'Amr ibn al-'As (ca. 585-664), der Ende 639 in Ägypten einmarschierte und im Sturmlauf die Oströmer vertrieb.
Wenige Jahrzehnte später staunten die Zeitgenossen über Sai'id ibn Jubair (665-714), den ersten Champion der Schachgeschichte, der seine Matches quasi "blind", nämlich ohne Ansicht des Brettes, austragen konnte. Und daher wird jetzt auch das Hamburger Shatranj-Revival-Turnier zu Ehren des legendären Meisters veranstaltet.
Die ersten "Aliyat" - die Ehrenbezeichnung ist das Gegenstück zum modernen Titel des Großmeisters - wurden ab 819 von den Kalifen persönlich ernannt, daher kann man das Shatranj mit Fug und Recht auch das Schach der Kalifen nennen. Berühmte Aliyat und Autoren waren al-Adli, ar-Razi und as-Suli, die im 9. und 10. Jahrhundert epochale Lehrbücher publizierten über Taktiken und Strategien im Shatranj.
Dieser reichhaltige kulturelle Schatz ist für die meisten Menschen jedoch leider in Vergessenheit geraten, weil Schach seit dem Ende des 15. Jahrhunderts nicht mehr nach den Regeln des Shatranj gespielt wird. Schließlich wurden in Folge massiver Regeländerungen, ausgehend von Spanien und Italien, im Szenario der 64 Felder die bereits erwähnten "Elefanten", die aus orientalischen Träumen zu kommen schienen, durch Läufer ersetzt sowie die "Wesire", die zuvor spielerisch in Geschichten aus Tausendundeiner Nacht entführt hatten, zu Gunsten der Damen in die (denk-)sportgeschichtliche Versenkung geschickt. So dass fortan höchstens noch Spezialisten die inspirierende Schönheit des versunkenen Shatranj-Universums kannten. Aber jetzt - anlässlich der "Arabischen Kulturwochen 2016" - erlebt Shatranj, die arabische Originalversion des Schachspiels, ihr längst überfälliges Revival in Gestalt des "Sa'id ibn Jubair-Shatranj-Memorial 2016" in Hamburg.
Dann wird auf diese Weise in der Hansestadt an der Elbe ein Stück moderner (Denk-)Sportgeschichte geschrieben - zumal das bevorstehende Turnier noch aus einem anderen Grund äußerst symbolträchtig ist. Schon vor gut 100 Jahren, und zwar von 1913 bis 1915, wurde in Deutschland ein erster Anlauf genommen, um das Shatranj wiederzubeleben: mit einem Korrespondenzturnier, das die renommierten Fachmagazine "Deutsches Wochenschach" und "Berliner Schachzeitung" gemeinsam ausschrieben und an dem damalige Topleute wie Walther Freiherr von Holzhausen (1876-1935) teilnahmen.
An jenen Vorstoß vor gut 100 Jahren knüpft im frühen 3. Jahrtausend nun das "Sa'id ibn Jubair-Shatranj-Memorial 2016" in Hamburg an. Dieses Memorial verleiht damit zugleich dem Testlauf, der in Form eines Schülerturniers an der Hamburger Grundschule Grumbrechtstraße im November 2015 gestartet worden ist,(Bericht bei ChessBase) jetzt im Rahmen der "Arabischen Kulturwochen 2016" quasi eine offizielle Note. Mit dem erklärten Ziel der Organisatoren René Gralla und Jürgen Woscidlo, das großartige Originalschach "Shatranj" endlich den Kindern Arabiens zurückzugeben und damit natürlich auch dem Rest der Welt! Und das wiederum hat zusätzlich eine ganz besondere Bedeutung in diesen Tagen - da ja nach Deutschland viele Menschen aus dem arabischen Kulturraum gekommen sind, und jetzt dürfen diese Menschen mit Stolz erfahren, dass Arabiens Originalschach Shatranj gerade hierzulande neue Wertschätzung erfährt.
Wer sich kurzfristig dazu entschließt, das Shatranj im bevorstehenden Hamburger Turnier auszuprobieren (ein Startgeld wird nicht erhoben!), meldet sich per E-mail an unter jwoscidlo@msn.com oder renegralla@gmx.net (oder spontan am Turniertag vor Ort im Turniersaal bis spätestens 11.45 Uhr).
René Gralla
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 21421
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