2. November 2014
Es war ein durchgehend spannendes Turnier mit am Ende einem Sieger, den wohl keiner auf der Rechnung hatte. Ganz kurze Zusammenfassung der letzten drei Runden: es gab vier Entscheidungen und vierzehn Remisen, wobei durchaus mehr Entscheidungen möglich waren und nur wenige Partien "langweilig" verliefen. In Runde 9 gewann Andreikin souverän gegen Jobava, und Mamedyarov weniger souverän gegen Jakovenko - damit war auch Mamedyarov im Rennen um den Turniersieg. In Runde 10 gab es sechsmal Remis, wobei in zwei bis drei Partien durchaus auch eine Entscheidung (im Sinne von Sieger und Verlierer) möglich war. In der Schlussrunde betrieben Karjakin gegen Kasimdzhanov und Caruana gegen Jakovenko erfolgreich Schadensbegrenzung nach zuvor und insgesamt durchwachsenem Turnier. Damit ergab sich dieser Endstand: Andreikin 7/11, Mamedyarov und Nakamura 6.5, Jobava, Vachier-Lagrave, Karjakin, Caruana 6, Radjabov 5.5, Giri 5, Jakovenko 4.5, Kasimdzhanov und Gelfand 3.5.
Titelfoto: Dimitri Andreikin (Quelle Turnierseite)
Wie bereits erwähnt - Jobava-Andreikin 0-1: Heute sahen wir einen anderen Jobava - bzw. denselben Spieler, aber nicht immer funktionieren seine Eröffnungs-Experimente. Er wählte mal wieder 1.d4/2.Sc3/3.Lf4, was er schon öfters spielte, so oft dass es mitunter als "Jobava-Variante" bezeichnet wird und mit wechselnden Resultaten. Diesmal stand er nach 12 Zügen schlecht und nach 13.Sa4? (O-Ton Jobava: "crazy move") sehr schlecht. Jakovenko-Mamedyarov 0-1: Auch Mamedyarov experimentierte in der Eröffnung und spielte, wie er selbst sagte, "zum zweiten Mal im Leben" Holländisch. Wie Jobava stand er zunächst sehr schlecht, aber konnte die Partie dann noch komplett drehen. Zwei Remispartien will ich kurz besprechen: Karjakin-Nakamura war ein, so Nakamura, "positioneller Königsinder". Weiss stand wohl besser aber wiederholte in sich anbahnender Zeitnot (20 Minuten für 20 Züge) die Züge, statt zumindest gefühlt riskant auf Gewinn zu spielen. Nakamura konnte das ohnehin nicht verhindern. Kasimdzhanov-Gelfand: Weiss wollte den Gegner vielleicht mit 6.Lc4 gegen Najdorf überraschen, Gelfands Antwort auf eine entsprechende Frage in der Pressekonferenz: "das hatte ich doch öfter auf dem Brett als alle anderen Weltklassespieler zusammen!". Stimmt, meine Datenbank hat zur Stellung nach dem 10. Zug zehn Gelfand-Partien, erster "Verfolger" ist offenbar Kasparov mit drei Partien - bzw. sechs, er hatte es auch dreimal mit Weiss: 1991, 1993 und 1994 gegen ... Gelfand. Bis zum 18. Zug kopierten beide eine Blitzpartie Ivanchuk-Gelfand, Moskau 2008 - Gelfand war sich dessen bewusst, wieviele Spieler können sich an Blitzpartien von vor sechs Jahren erinnern? Wie auch immer, nach lebhaftem Verlauf endete die, von Kasimdzhanov bis zum 26. Zug vorbereitete, Partie unentschieden.
Zeit für ein Foto von Mamedyarov, der nun plötzlich oben mitmischte - je nach weiterem Turnierverlauf hatte ich "Shak Phoenix Mamedyarov" als Artikel-Titel vorbereitet:
Sechs Remispartien, drei will ich kurz besprechen. Caruana-Karjakin: In einem Grünfeld-Inder mit g3 und c6/d5 spielte zunächst Weiss am Königsflügel, und Schwarz am Damenflügel. Später übernahm Karjakin auch am Königsflügel das Kommando, wo Weiss freundlicherweise Linien geöffnet hatte. Zum Sieg reichte es dennoch nicht, da er zwei keinesfalls naheliegende (Computer-)Varianten nicht fand.
Giri-Jobava: Englisch wurde, nachdem Weiss 11.e4 spielte, eine Art Kalaschnikov-Sizilianer. Jobava spielte "natürlich" auf Königsangriff; Giri konnte diesen neutralisieren und behielt ein klar besseres bis gewonnenes Endspiel, das er dann nicht gewann. In der Pressekonferenz ein kleiner Eklat: Giri meinte lächelnd, dass der schwarze Angriff angesichts der (Rück)Züge 27.-Dh5 und 29.-De8 nicht sooo gefährlich war, Jobava daraufhin: "Grins nicht wie ein Idiot, rede normal. Zeige etwas Respekt für den Gegner." Später beruhigte sich die Lage wieder, wobei Jobava Giris zweiten 'Angriff' nicht registrierte: "Im Endspiel verteidigte sich Jobava einfallsreich, fluchte und schüttelte ständig den Kopf." Karlovich beendete die Pressekonferenz mit den Worten "Danke, ruht Euch gut aus!" - die Spieler waren offensichtlich müde und dadurch leicht reizbar.
Mamedyarov - Vachier-Lagrave war ebenfalls während der Partie UND in der Pressekonferenz interessant. Beide dachten, besser zu stehen. Mamedyarov: "Ich habe einen Mehrbauern!". MVL: "Ich habe das Läuferpaar!". Später hatte Weiss sogar zwei Mehrbauern und sehr wahrscheinlich eine Gewinnstellung, aber auch diese Partie endete remis. Bilder sagen mehr als alle Worte, dieses ist Teil einer längeren Bildersequenz:
Drei turnierentscheidende Partien schienen spannend, und wurden dann vor der Zeitkontrolle kurz nacheinander remis. Andreikin hatte gegen Giri einen Bauern geopfert, etwas unkklar ob er genug Kompensation hatte. Aber dann bekam er den Bauern zurück, und fast direkt danach wurden die Züge wiederholt. Vachier-Lagrave stand gegen Nakamura sehr gut, konnte seinen Vorteil aber wohl nur mit 24.Db5 entscheidend verdichten. Das hatte er überhaupt nicht erwogen, und Nakamura meinte dazu in der Pressekonferenz: "typischer Computerzug!". So verflachte die Stellung, und als Nakamura im 30. Zug Remis anbot, musste MVL nicht lange nachdenken - sonst hätte er, wie er sagte, selbst Remis angeboten.
Nun der Höhepunkt der Runde und vielleicht des gesamten Turniers: Jobava-Mamedyarov 1/2 war von Anfang an ein bisschen verkehrte Welt. Jobava begann mit 1.d4 Sf6 2.c4?! (2.Sc3!), worauf Mamedyarov Benoni spielte. Das spiel(t)en aus der erweiterten Weltspitze sonst vor allem drei Spieler: der zu jung verstorbene Gashimov, Topalov (bis ca. 2003) und ... Jobava, für Mamedyarov war es dagegen offenbar das erste Mal im Leben. Schwarz opferte zunächst eine Figur, später noch eine Qualität. Angriff hatte er dafür, aber Computer glauben nicht an das schwarze Konzept wobei Weiss den einzigen Zug 20.Lf5 finden musste. Nach 22.a3?! (22.Db3 - Material zurückgeben und Damentausch forcieren) kippte die Partie aus Computersicht - Schwarz opferte nochmals mit 22.-Sxa3, bekam diese Figur allerdings zurück und nun war der weisse König ziemlich nackt. Das Ganze endete dann mit Dauerschach.
Auch die Pressekonferenz, im Gegensatz zu der vom Vortag absolut freundschaftlich-jovial, war ein Höhepunkt. Mamedyarov: "Normalerweise spielen wir nie remis gegeneinander*, heute ist es halt passiert. Diese Stellung hat uns wohl beiden gut gefallen." * Stimmt nicht ganz - eine Blitzpartie 2012 endete nach ähnlichem Verlauf remis (da spielte Jobava "sein" 1.b3), ebenso zwei Partien 2002 und 2003. Aber Mamedyarov gewann zuletzt viermal hintereinander mit klassischer Bedenkzeit, und Jobava gewann zwei Schnellpartien. Eine Standardfrage von Anastasia Karlovich war "wie hat Euch Taschkent gefallen?". Beide: "sehr gut, vor allem abends hatten wir unseren Spass!". Jobava gewann zwischendurch ein Internet-Blitzturnier, ansonsten haben sie vermutlich vor alllem das Nachtleben erkundet. Auch in Wijk aan Zee war Jobava diesbezüglich aktiv: Einmal machte er zusammen mit Lawrence Trent einen nächtlichen Ausflug nach Amsterdam, schlief dann zwei Stunden und gewann dann eine flotte 1.b3-Partie. An anderen Abenden besuchte er laut gut informierten Kreisen örtliche Kneipen. Zum Vergleich, MVL und Nakamura sagten auf dieselbe Frage: "Leider hatten wir kaum Zeit um Taschkent zu erkunden, wir haben uns voll auf Schach konzentriert."
Zwei Gewinnpartien muss ich noch kurz besprechen: Karjakin-Kasimdzhanov 1-0 war eine englische Eröffnung, damit wollte Karjakin seinen Trainer Kasimdzhanov vielleicht überraschen. Zunächst übernahm er am Damenflügel das Kommando, dann erdrückte er den Gegner auch am Königsflügel. Jakovenko-Caruana 0-1: Jakovenko patzte mit 27.Dg5, was nach 27.-Sxd5 (eigentlich ein ziemlich bekanntes Standardmotiv) einen Bauern kostete. Dann gewann Caruana im Endspiel. Caruana zu seinem Gegner in der Pressekonferenz: "Ich dachte, dass Du den Bauern geopfert hast ...". Jakovenko: "Ich wollte, dem wäre so ...". A momentary lapse of reason? Ansonsten war die weisse Stellung allenfalls ein kleines bisschen schlechter oder unbequemer zu spielen.
Bevor ich zusammenfasse, zunächst ein paar Bilder mit Bildern:
Pl. | Spieler | Land | Elo | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | Pkt. | Lstg. | |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1. | Andreikin Dmitry | 2722 | * | ½ | 1 | ½ | ½ | 1 | 1 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 7 | 2857 | ||
2. | Nakamura Hikaru | 2764 | ½ | * | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | 6½ | 2816 | ||
3. | Mamedyarov Shakhriyar | 2764 | 0 | ½ | * | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | 1 | 1 | 6½ | 2816 | ||
4. | Vachier-Lagrave Maxime | 2757 | ½ | ½ | ½ | * | 1 | ½ | ½ | ½ | ½ | 0 | 1 | ½ | 6 | 2788 | ||
5. | Caruana Fabiano | 2844 | ½ | "½ | ½ | 0 | * | ½ | ½ | ½ | ½ | 1 | ½ | 1 | 6 | 2780 | ||
6. | Karjakin Sergey | 2767 | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | * | 0 | ½ | 1 | 1 | 1 | ½ | 6 | 2787 | ||
7. | Jobava Baadur | 2717 | 0 | 0 | ½ | ½ | ½ | 1 | * | ½ | ½ | ½ | 1 | 1 | 6 | 2791 | ||
8. | Radjabov Teimour | 2726 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | * | ½ | ½ | ½ | ½ | 5½ | 2754 | ||
9. | Giri Anish | 2768 | ½ | ½ | ½ | ½ | ½ | 0 | ½ | ½ | * | ½ | ½ | ½ | 5 | 2715 | ||
10. | Jakovenko Dmitry | 2747 | ½ | ½ | 0 | 1 | 0 | 0 | ½ | ½ | ½ | * | ½ | ½ | 4½ | 2688 | ||
11. | Kasimdzhanov Rustam | 2706 | ½ | ½ | 0 | 0 | ½ | 0 | 0 | ½ | ½ | ½ | * | ½ | 3½ | 2623 | ||
12. | Gelfand Boris | 2748 | ½ | 0 | 0 | ½ | 0 | ½ | 0 | ½ | ½ | ½ | ½ | * | 3½ | 2619 |
Noch einige Bemerkungen zu einigen, allerdings nicht allen Spielern: Für Andreikin ist es sicher der grösste Erfolg seiner bisherigen Karriere, jedenfalls in Turnieren mit rein klassischer Bedenkzeit. Er war ja bereits russischer Meister und Weltcup-Finalist, beide Male vor allem aufgrund seiner Fähigkeiten im Schnellschach. Er ist für mich ein 'hybrider' Spieler: einerseits ausgeprägt solide (so entstand auch der Spitzname 'Andrawkin'), andererseits kann er auch dynamisches Schach spielen und improvisieren. Seine drei Siege: gegen Mamedyarov hatte er Glück, dass dieser ein gewonnenes Turmendspiel zum Verlust vergeigte, gegen Karjakin und Jobava konnte er sich in Komplikationen durchsetzen - gegen Karjakin aus eigenem Antrieb, gegen Jobava weil es der Gegner so wollte. Die anderen acht Partien waren tendenziell solide, daher blieb er auch ungeschlagen.
Bei Mamedyarov hätte wohl nach zwei Runden kaum jemand damit gerechnet, dass er noch weit oben landen würde. Nach der bereits erwähnten Niederlage gegen Andreikin musste er gegen Giri ein sehr hässliches Endspiel zusammenhalten (unklar ob für Giri mehr drin war). Dann ein hart erkämpfter Sieg gegen Gelfand und zwei weitere Siege gegen Kasimdzhanov und Jakovenko jeweils aus verdächtiger Stellung heraus - hatte er Glück oder ist er trickreich oder beides? Auch seine Remispartien waren oft turbulent, nur gegen Caruana spielte er betont solide.
Nakamura spielte ein für ihn etwas untypisches Turnier: Siege mitnehmen wenn es sich ergibt - Runde 1 gegen Jobava und dann noch ein Arbeitssieg gegen Gelfand, ansonsten eine ganze Reihe wie er selbst sagte "professionelle" Remisen - angesichts der Turniersituation wollte/musste er nicht allzu viel riskieren. Gegen Giri spielte er ebenso hartnäckig wie risikofrei auf Gewinn, da hielt die schwarze Verteidigung. Gegen Mamedyarov standen beide mal besser, gegen Caruana entwischte er und blieb am Ende wie Andreikin ungeschlagen.
Noch ganz kurz zu den anderen Favoriten für die GP-Gesamtwertung: Caruana und Karjakin hatten Höhen und Tiefen (Tiefpunkte für Karjakin waren Niederlagen gegen Jobava UND Andreikin); Caruana konnte immerhin die Führung in der GP-Gesamtwertung verteidigen wobei der Vorsprung auf Nakamura und Andreikin(!) deutlich geschrumpft ist. Vachier-Lagrave konnte sein Anfangstempo nicht durchhalten, und Gelfand erwischte ein ganz schlechtes Turnier.
Thomas Richter
// Archiv: Nachrichten Thomas Richter // ID 19056
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