16. Oktober 2012
Wohl selten hat Potsdam eine derart große Ansammlung von Schachspielern der einstigen Weltspitze gesehen. Die Deutsche Bahn lud am vergangenen Wochenende zu einem internationalen Mannschaftsschnellturnier nach Potsdam-Sanssouci ein und hatte sich zur Unterstützung den Deutschen Schachbund und die Emanuel Lasker Gesellschaft mit in den Zug geholt. Insgesamt neun Mannschaften gingen an den Start - acht Länderteams und eine Auswahl der Lasker-Gesellschaft. Für jede Mannschaft saß am ersten Brett ein sogenannter Leuchtturm-Großmeister, von denen drei schon um den Weltmeistertitel kämpften. Und mit Anatoli Karpow gab es sogar einen, der dies bereits sehr erfolgreich tat!
Daß der Kaiserbahnhof nahe des Schloßparks Sanssouci ein würdiges Ambiente für so eine Veranstaltung hergibt, steht außer Frage. Der 1909 fertiggestellte Bahnhof sah in den ersten Jahren zahlreiche Prominenz, u.a. Theodore Roosevelt und den russischen Zar. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor der Bahnhof für den regulären Zugverkehr an Bedeutung und die Gebäude wurden umfunktioniert. 1977 wurde das Gebäude wegen Einsturzgefahr gesperrt, ein Eintrag auf der Denkmalliste verhinderte den Abriss.
Der Schnellzugwagen von 1912 - mit einem baugleichen Modell reiste Lenin aus dem Schweizer Exil über Saßnitz nach Russland - zog nach Saßnitz um, bevor er nach der Wende wieder zurückkehrte. Von 2004 bis 2005 restaurierte die Deutsche Bahn den Bahnhof und baute ihn zu einer Akademie für Führungskräfte um. Am 16. Juni 2005 wurde das Gebäude in Anwesenheit von Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeweiht.
Hauptprogrammpunkt des Wochenendes war das internationale Schnellturnier. Jede der neun teilnehmenden Mannschaften bestand aus acht Stamm- und einem Ersatzspieler. Jede Mannschaft spielte gegen jede, so daß insgesamt neun Runden zu absolvieren waren - fünf am Sonnabend und vier am Sonntag.
Die Mannschaften waren besonders am Spitzenbrett hochkarätig besetzt, hatten aber auch an den nachfolgenden Brettern bekannte Namen und hoffnungsvolle Talente zu bieten. Hier ein kurzer Überblick mit den wichtigsten Spielern:
Exweltmeister Anatoli Karpow führte den späteren Turniersieger an und erreichte ein phantastisches Ergebnis von 6½ aus 8 ohne Niederlage! An den Brettern zwei und drei saßen mit den IM Grigori Oparin und Michail Antipow zwei starke U16-Spieler. Die beiden belegten am Abend noch die Plätze 2 und 3 in einem starkbesetzten Blitzturnier. Im Mannschaftsturnier glänzte allerdings nur Antipow: 7½ aus 8 und bester Spieler an Brett 3!
Dariusz Swiercz hieß bei unserem Nachbarland der Leuchtturm-Großmeister. 2011 wurde er Juniorenweltmeister. Sein Ergebnis am ersten Brett war durchwachsen: 4 aus 8.
Ihm zur Seite standen einige Nachwuchsspieler und schachspielende Eisenbahner. Der spätere Blitzturniersieger IM Marcel Kanarek gehörte nicht mit zum Aufgebot. Vielleicht hätte es mit ihm zu mehr als nur Platz 6 gereicht.
Vlastimil Hort (Foto), ehemaliger WM-Kandidat und Seniorenweltmeister 2006, ging für sein einstiges Heimatland an den Start. Er gewann am ersten Brett zwar nur eine Partie, aber diese immerhin gegen den 21 Jahre jüngeren Nigel Short! Tschechien wurde Siebter und setzte wie Polen auf den Nachwuchs, aber den weiblichen!
Stefan Kindermann hatte am Sonnabend noch etwas mehr zu tun als seine GM-Kollegen. Er schlüpfte nach dem Schnellturnier in ein historisches Kostüm und die Rolle des berühmten Schachmeisters und Opernkomponisten François-André Danican Philidor (1726-1795). Gegen drei Zuschauer mußte er sich dabei im Blindsimultan beweisen.
Kindermann, der in München eine Schachschule leitet, erreichte im Schnellturnier 5 aus 8 und wurde nur von Nigel Short besiegt. Zu seinem Team gehörte u.a. die östereichische U14- und U16-Meisterin von 2011, Laura Hiebler. Österreich belegte Platz 5.
Die einzige Mannschaft ohne Großmeister. Viktor Kortschnoi konnte die Reisestrapazen nicht auf sich nehmen. Aber er war ja bereits vor vier Monaten in Berlin und Potsdam zu Gast. Vertreten wurde Kortschnoi vom 27jährigen IM Oliver Kurmann, der leider keine Partie gewinnen konnte, dafür aber drei Unentschieden erreichte. Die Schweiz wurde Neunter.
Der ehemalige WM-Kandidat Jan Timman (Foto) führte seine Mannschaft auf einen sehr guten dritten Platz. Das war aber nicht nur ihm zu verdanken. An Brett zwei mischte ein 13jähriger Knirps die Konkurrenz auf: Jorden van Foreest, der sogar eine eigene Homepage hat, wurde zweitbester Spieler an seinem Brett hinter GM Martin Krämer! Auch am Sonntagabend beim Blitzturnier lehrte er die Konkurrenz das Fürchten. Als er sich in einer schon fortgeschrittenen Runde an Brett 1 niederließ, glaubte ich erst, ein Kind würde sich da einen Spaß machen. Aber Jorden saß dort völlig zu Recht! Er wurde am Ende Vierter und besiegte u.a. GM Swiercz.
Trotz eines Nigel Short (Foto), der hinter Karpow ein Ergebnis von 5½ aus 8 erzielte, wurden unsere Freunde von den Britischen Inseln nur Achte.
Der wohl größte deutsche Schachspieler nach Emanuel Lasker und Siegbert Tarrasch ist Robert Hübner. Mit nur einer Niederlage (leider gegen Holland...) führte er Deutschland auf Platz zwei. Ihm stand allerdings auch ein bärenstarker Kader zur Seite: die beiden Jung-IM Dennis Wagner und Alexander Donchenko und die Seriensiegerin bei Deutschen Jugendmeisterschaften, Filiz Osmanodja. Die Nachhut bildeten fünf Eisenbahner, darunter mit Rüdiger Schüttig und Richard Lutz zwei starke Spieler, ohne die die Veranstaltungen in diesem Jahr im Kaiserbahnhof und das Kortschnoi-Simultan im Berliner Hauptbahnhof nicht denkbar gewesen wären.
Eine Leuchttürmin besetzte Brett 1: Elisabeth Pähtz. Die ihr zur Seite gestellten Männer waren nicht minder schlagkräftig: GM Martin Krämer und IM Gernot Gauglitz vom DSB-Sponsor UKA. Und trotz eines Fernschach-Olympiasiegers an Brett 8 - Dr. Matthias Kribben, reichte es nur zu Platz vier. Aber das war ohnehin nebensächlich in diesem schönen Turnier.
Viele der Partien vom Schnellturnier und insbesondere die Spitzenbretter wurden in das Internet übertragen. Verantwortlich dafür war Axel Fritz, der seinen Arbeitsplatz in Brettnähe eingerichtet hatte. Im Auditorium, von der Gleishalle über einen langen Gang und zwei Treppen zu erreichen, kommentierten GM Helmut Pfleger, GM Klaus Bischoff und GM Raj Tischbierek, für die Zuschauer im Internet und vor Ort die Partien.
Gala-Dinner in der Gleishalle:
Zuvor spielte Stefan Kindermann im Auditorium gegen drei Gegner, darunter die Sängerin Vaile, blind:
Fotos: Louisa Nitsche
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// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 558