15. Dezember 2014
Nach der Absage von Kasachstan ist Ungarn kurzfristig in die Bresche gesprungen und hat die Ausrichtung der U16-Mannschaftsolympiade 2014 übernommen. Das kleine Land mit großer Schachtradition bietet ideale Voraussetzungen.
Der Präsident des Schachverbandes ist in der Regierung Orban zum Minister aufgestiegen. Man kann über die jüngsten Entwicklungen in Ungarn von außen nur sehr schwer urteilen, aber ein aktiver Minister als Verbandspräsident ist für das Schach sicherlich von Vorteil.
Ungarn hat mit der besten Schachspielerin aller Zeiten, Judit Polgar, ein wunderbares Idol für Jugendschach, Leistungsschach und als Sponsoring-Magnet.
Ungarn hat im Sommer die olympische Silbermedaille in Tromsø gewonnen. Was liegt näher, als die nächste Generation ins Rennen zu schicken?!
Der Bürgermeister von Györ, Zsolt Borkai, ist olympischer Goldmedaillengewinner am Seitpferd 1988 und gleichzeitig Präsident des ungarischen NOK. Es geistern Gerüchte über eine Schacholympiade in Ungarn 2020 (realistisch!) und eine Bewerbung für olympische Spiele (!!??) in Ungarn durch die Reihen der Schachtouristen…
Nicht zu unterschätzen ist die wirtschaftliche Stärke der Region Györ für die Ausrichtung der Olympiade. Hauptsponsor ist das Atomkraftwerk Paks und Logistiksponsor ist AUDI-Ungarn mit Sitz in Györ.
Die stimmungsvolle Veranstaltung fand im Theater der Stadt statt. Fast pünktlich gestartet, perfekt organisiert und erfreulich abwechslungsreich präsentierten die Ungarn, Schach, Györ und Judit Polgar in einem 1,5 stündigem Programm. Dabei wurde die Bühne zur Aufführung von Teilen des Musicals „Schach“, welches aktuell im Programm des Theaters läuft, genutzt. Der einzige klitzekleine Kritikpunkt war die Auslosung der Farbe des ersten Brettes, welche Weiß für Indien ergab, in der Praxis hatte Indien jedoch Schwarz.
Nominell sind wir an zwei gesetzt, d.h. wenn alle vier gemeldeten Jungen spielen würden, sähe es gar nicht schlecht aus. Leider muss ich jedoch einen Wermutstropfen in den Freudenkelch mischen. Alexander Donchenko und Jan Christian Schröder teilen sich Brett 1 mit jeweils 5 Partien. Das bedeutet gleichzeitig, dass Fiona Sieber 10 Partien an Brett 4 bekommt und unser „Realdurchschnitt“ um ca. 120 Punkte fällt. Leider war keine andere Lösung bedingt durch die deutsche Schulpflicht und die neue Sonderregelung des weiblichen Ersatzbrettes möglich. „Gewinnen will Deutschland“ natürlich trotzdem, aber so wird es sehr viel schwerer. Deutschland nimmt dieses Jahr zum ersten Mal an der U16-Olympiade teil. Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Ursachen. Zum einen die bisherigen teils exotischen Austragungsorte, wie China 2013 und zum anderen die große Sportpolitik. Die neuesten Entwicklungen in Richtung DOSB und BMI legen nahe, dass eine Medaille bei genau dieser Veranstaltung effektiven Wert für den Deutschen Schachbund erlangen könnte. Nun erspielt sich die Medaille nicht von allein, aber durch Nichtantritt ist sie keinesfalls zu bekommen!
Am Turnier nehmen 53 Teams aus über 40 Ländern teil. Alle 5 Kontinente sind vertreten.
Ich möchte nur kurz einige Spieler hervorheben:
Die erste Runde hat Deutschland problemlos mit 4:0 gegen Bulgarien gewonnen. Gestern ging es am Spitzenbrett gegen die nicht zu unterschätzenden Polen weiter.
Als Turniersaal fungiert die Sporthalle der Universität. Die Organisatoren haben sich viel Mühe gegeben und in der Kürze der Zeit vieles auf die Beine gestellt. Metalldetektoren (Flughafenschleuse!), viel Hilfspersonal, alles Live-Bretter, fußläufige Hotels mit sehr gutem Essen und freiem WLAN - Schachspielerherz, was willst Du mehr.
Erfreulich scheint sich die neue „halbobligatorische Mädchenregel“ auszuwirken. Nicht nur Deutschland (s.o.) spielt dauernd mit Mädchenbrett. Mal sehen, wie lange noch?!
Bernd Vökler, Bundesnachwuchstrainer
// Archiv: DSB-Nachrichten - DSB // ID 19232