17. Oktober 2014
Wie bereits im Baku-Abschlussbericht erwähnt: nach dem Grand Prix ist vor dem Grand Prix, ab Dienstag geht es weiter in Taschkent, wo alle Spieler wieder mit null Punkten beginnen. Weitgehend sind es dieselben Spieler - nur vier werden ausgewechselt, und einer wurde bereits vor seiner Einwechslung ausgewechselt. Dazu später mehr, wobei ich die genauen Hintergründe nicht kenne. Generell wird dieser Bericht wieder ein bisschen Vorschau und zwischendrin ein bisschen Rückblick. Als Titelbild ein optischer Eindruck aus Taschkent, zum Turnierort komme ich später noch. Taschkent war bereits 2012 Austragungsort für eines der GP-Turniere, mit dem Vernehmen nach einer Atmosphäre wie aus Tausendundeiner Nacht - was die Veranstalter nun direkt auf der Homepage betonen, aber als Zuschauer im Internet bekommt man davon wohl wenig mit.
Verschiedentlich wurde die kurze Pause zwischen den beiden GP-Turnieren kritisiert. Da spielen wohl zwei Dinge eine Rolle: Erstens war es offenbar nicht einfach, Ausrichter zu finden - dann muss man auch auf deren Terminwünsche eingehen. Zweitens ist der Terminkalender ja relativ voll. FIDE wollte sicher nicht, qua Medieninteresse, mit ihrer eigenen Weltmeisterschaft konkurrieren - auch wenn der russische Schachverband das jetzt tut und ziemlich parallel das Petrosian-Memorial organisiert. Ausserdem gibt es auch private Superturniere mit festem Platz im Terminkalender, und bei der Planung der GP-Serie war noch nicht bekannt, welche Spieler auf ihr Teilnahmerecht verzichten würden. Im Dezember spielen drei tatsächliche (Caruana, Nakamura, Giri) und zwei potentielle (Kramnik, Anand) Teilnehmer der GP-Serie beim London Chess Classic, und diverse andere wohl bei den World Mind Sports Games in Peking. Im Januar steht Wijk aan Zee auf dem Programm. Bisher hat sich nur Vachier-Lagrave in einem französischen Interview als Teilnehmer geoutet, aber Giri ist sehr wahrscheinlich, Titelverteidiger Aronian (ebenfalls für die GP-Serie qualifiziert, auch wen er dann verzichtete) ziemlich wahrscheinlich, und wohl noch einige andere.
Eine Änderung im GP-Zyklus wurde teils "aus Prinzip" kritisiert, teils eher begrüsst: Das dritte Turnier im Februar 2015 wird nicht, wie angekündigt, in Teheran stattfinden, sondern in Tiflis. Damit verliert Ghaem Maghami seinen Freiplatz zugunsten des Georgiers Jobava, der schon in Taschkent dabei ist. Teheran war ohnehin ein etwas problematischer Austragungsort, und Ghaem Maghami ein Fremdkörper im Teilnehmerfeld. Jobava ist das vielleicht auch, aber eher im positiv-belebenden Sinn. Hintergründe für diese Entwicklung kenne ich nicht - laut Twitter-Spekulationen könnte es damit zu tun haben, dass FIDE-Vizepräsident Mohammad Kambuzia nicht mehr Präsident des iranischen Schachverbandes ist.
Leidtragender ist womöglich Boris Gelfand, der als Israeli nicht in Teheran spielen wollte oder konnte, aber nun lieber eine Pause zwischen Baku Grand Prix und Petrosian Memorial hätte. Leidtragende sind bis zu einem gewissen Grad Thomas Richter und andere Schachfreunde mit Wohnsitz in den Niederlanden: Jobava sollte Sonntag eine dreistündige Masterclass in Amsterdam abhalten, das geht nun nicht da er dann bereits Richtung Taschkent unterwegs ist (allerdings fanden sie mit Oleg Romanishin ebenfalls interessanten Ersatz).
Zurück nach Taschkent: Austragungsort ist, wie bereits 2012, die Gallery of Fine Arts. Das ist ein neuer Trend für Schachturniere. Angefangen hatte es mit dem WM-Match Anand-Gelfand in der Moskauer Tretyakov-Gallerie, dann Taschkent, dann das Aljechin-Memorial im Louvre und einem Museum in St. Petersburg, zuletzt eine Runde des Tata Steel Turniers im Reichsmuseum Amsterdam (vielleicht habe ich noch etwas übersehen oder vergessen?). In Amsterdam gab es einen viel beachteten Fototermin vor Rembrandts Nachtwache, aber gespielt wurde in einem eher neutralen Auditorium. In Taschkent wird offenbar zwischen den Bildern gespielt - mangels aktueller Fotos eines von vor knapp zwei Jahren (Quelle damalige Turnierseite)
Karjakin gewann damals zusammen mit Wang Hao und Morozevich. Zwei Dinge haben sich zwischenzeitlich geändert: Er spielt nicht mehr im Alpari-Jackett, da er diesen Sponsor offenbar verloren hat. Und (wobei ich mir da chronologisch nicht 100% sicher bin) er hat eine andere weibliche Begleitperson. Ansonsten ist er nach wie vor ein "Talent", das auf den endgültigen Durchbruch wartet. Von den Teilnehmern aus 2012 sind auch Caruana, Mamedyarov, Gelfand und natürlich Kasimdzhanov wieder dabei. Svidler und Dominguez sind auch Teilnehmer der aktuellen GP-Serie aber pausieren diesmal. Die anderen - Kamsky, Morozevich, Wang Hao, Ponomariov und Leko - sind in der Weltrangliste etwas abgerutscht und daher diesmal nicht qualifiziert.Wenn man noch weiter zurückblickt: nur Grischuk, Mamedyarov, Gelfand, Karjakin und Svidler waren bei allen drei GP-Serien von Anfang an dabei.
Ein Kollege wunderte sich, warum diesmal kein Chinese mit dabei ist. Schlicht und ergreifend: China gewann zwar die Olympiade mit einer geschlossenen Mannschaftsleistung, aber hat aktuell keinen echten Weltklassespieler. Vielleicht sollte man nochmals erwähnen, dass sich die meisten Spieler für die GP-Serie qualifizierten oder eben nicht, und nur einige eingeladen wurden - "ohne konkreten Grund" bzw. weil ihr Land eines der Turniere ausrichtet. Beim Rückblick ist mir aufgefallen, dass auch die - schon länger - führende Schachnation Ukraine diesmal komplett fehlt: alle drei - Ivanchuk, Ponomariov und Eljanov - haben aktuell etwas zu wenige Elopunkte auf ihrem Konto.
Im Vergleich zu Baku fehlen in Taschkent Grischuk, Svidler, Tomashevsky und Dominguez. Der Kubaner kann eine Pause wohl gut gebrauchen, nachdem er in Baku abgeschlagen Letzter wurde. Die drei Russen sind dagegen drei der "ersten Verfolger" von Caruana und Gelfand. Tomashevsky traue ich eher nicht zu, im GP-Zyklus insgesamt eine wichtige Rolle zu spielen; Svidler und Grischuk hätten dagegen schon in Baku auch ein halbes Pünktchen mehr erzielen können. Ich bezweifle auch, dass in der GP-Serie bereits eine "Vorentscheidung" gefallen ist. Dass Caruana zum engsten Favoritenkreis gehört, war schon vorher klar. Aber Gelfand, dem ich es absolut gönnen würde, muss sein Ergebnis aus Baku noch wiederholen: bei der letzten GP-Serie war er zweimal geteilter Erster und zweimal Zehnter bzw. 9.-11. .
Für einige Spieler ist eine Woche Pause womöglich zu wenig, das gilt allerdings auch für drei der vier Neuen: Vachier-Lagrave war bei einem Open auf der Isle of Man bedingt erfolgreich, auch für ihn kann es nicht immer nur aufwärts gehen. Giri und Jobava spielen morgen noch in Hoogeveen, haben ihre Matches gegen Shirov und Timman allerdings bereits gewonnen. Ausgeruht ist nur der vierte Neuling Jakovenko, den ich schwer einschätzen kann. Seit Jahren ist er top20 oder mindestens top30 - da er "einer von vielen Russen" ist, reichte das weder für einen Stammplatz in der Nationalmannschaft noch für Einladungen zu Superturnieren. 2009 war er ein halbes Jahr lang top10, damals bekam er auch hochkarätige Einladungen (Dortmund, Nanjing). Das hatte damals auch mit der ersten GP-Serie zu tun. Bei der Recherche für diesen Artikel habe ich überrascht festgestellt, dass er sich für die Kandidatenmatches in Kazan beinahe reserve-qualifiziert hatte. Carlsen verzichtete damals bekanntlich, Grischuk rückte als Dritter der GP-Serie nach, Vierter war Jakovenko (Freiplatz des Ausrichters Sochi) mit nur vier GP-Punkten Rückstand auf Grischuk.
Prognosen? Ich hatte bereits erwähnt, dass ich Vachier-Lagrave und/oder Giri einiges zutraue, kann mich aber natürlich irren. Bei Jobava lege ich mich nur insoweit fest, dass er vermutlich relativ wenig Remis spielen wird.
Auch wenn die Turnierseite das noch nicht erwähnt, gehe ich davon aus, dass "Anstoss" jeweils wieder um 15:00 Ortszeit ist. Taschkent liegt, obwohl viel weiter östlich, in derselben Zeitzone wie Baku - deutsche/mitteleuropäische Schachfreunde können das Turnier wohl wiederum ab 12:00 verfolgen. Zumindest die ersten vier Runden - keine Ahnung, ob Usbekistan Sommer- und Winterzeit kennt, das wird sich zur fünften Runde (Sonntag 26.10. nach dem ersten Ruhetag) herausstellen. Korrektur: die Runden beginnen jeweils eine Stunde früher, und die letzte Runde am 2. November bereits um 11:00 Ortszeit.
Thomas Richter
// Archiv: Nachrichten Thomas Richter // ID 18999
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