23. Februar 2015
Nicht etwa Grischuk - er hat zwar immer noch die höchste Live-Elo von allen Teilnehmern, aber nicht aufgrund dieses Turniers. Auch nicht Svidler, seit langem zumindest erweiterte Weltklasse und in einigen WM-Zyklen unter den letzten acht bis neun Spielern. Und auch nicht Andreikin, der vor dem Turnier eine gute Ausgangsposition in der GP-Gesamtwertung hatte. Gemeint ist auch nicht Giri mit russischen Wurzeln, übrig bleiben Tomashevsky und Jakovenko - so steht es momentan: Tomashevsky 6/8, Jakovenko 5, Radjabov und Kasimdzhanov 4.5, Giri, Mamedyarov, Dominguez, Jobava 4, Grischuk 3.5, Vachier-Lagrave und Svidler 3, Andreikin 2.5.
Da ich Tomashevsky bereits hatte, bekommt Jakovenko das Titelfoto. Ein anderer immer fotogener Spieler führt in der Tabelle betrifft Runde 5-8: Jobava 3.5/4, Kasimdzhanov, Radjabov, Tomashevsky, Jakovenko 2.5, Dominguez und Mamedyarov 2, Giri, Svidler, Vachier-Lagrave 1.5, Andreikin und Grischuk 1. Und so kam es dazu:
Für die Tabellenspitze am wichtigsten: Tomashevsky verteidigte seine Führung mit einem Weissremis gegen Giri - der mit Königsindisch Siegeswille und Mut zum Risiko zeigte, wohl auch besser stand, aber es reichte nicht zum Sieg. Für Grünfeld-Liebhaber wie mich am interessantesten Kasimdzhanov-Svidler 1-0.In der Ld2-Variante bekam Svidler, wie er hinterher selbst sagte, seine eigene Medizin verabreicht: 7.f4!? war seine Idee, bzw. eine Idee seines Sekundanten Vitiugov die Svidler im Londoner Kandidatenturnier gegen Gelfand erstmals anwendete. Zu seiner eigenen Überraschung wurde es dann populär - Svidler: "So kann man doch nicht gegen Grünfeld spielen!" (bzw. nur in einer Partie), und in seiner Videoserie tat er sich schwer, mit Schwarz etwas dagegen zu finden und zu empfehlen. Am Brett entschied sich Svidler für Gelfands Reaktion 8.-Lg4 9.h3 Lxf3 was als anrüchig galt - in der richtigen Annahme, dass Kasimdzhanov das nicht vorbereitet hatte. Dann wurde es kompliziert, Kasimdzhanovs 11.0-0-0!? war, so Kasimdzhanov, nicht die beste Wahl, dann griff Svidler fehl - 23.-Tc4 mit weiterhin buntem Treiben war richtig, 23.-Tf7 war zu passiv. Liebhaber von (noch mehr) Chaos bekamen dieses in Jobava-Mamedyarov 1-0. Baadur spielte wieder "sein" 1.b3 nebst Lb2, Sc3 und d4. So, der Fianchettoläufer ist begraben, was nun? Material opfern um ihn wieder zu beleben, erst den d-Bauern, dann eine Figur. Korrekt war es nicht, nach Mamedyarovs falscher Antwort wurde es korrekt. Dann ging es weiter drunter und drüber, Dauerschach war zum Schluss quasi unvermeidlich aber Mamedyarov liess sich matt setzen (bzw. gab gerade noch rechtzeitig auf). Ein Duell von hohem Unterhaltungs- und nicht so hohem schachlichem Wert. Andreikin-Dominguez 0-1: In einer verzögerten spanischen Abtauschvariante bekam Schwarz langsam Oberwasser, Weiss musste eine Figur opfern für nicht wirklich vorhandenen Königsangriff, Schwarz verwertete die Mehrfigur im Endspiel (trivial war es nicht). Vachier-Lagrave - Radjabov 1/2 wurde remis nach munterem Schlagabtausch in der französischen Bauernraub-Variante - laut Engines war es immer etwa ausgeglichen, offenbar haben beide gut gespielt. Jakovenko-Grischuk wurde auch remis, und zwar durch Zugwiederholung nach 14 Zügen bzw. ab dem 11. Zug. Ein gutes Ergebnis für Jakovenko trotz der weissen Steine? Der Turnierverlauf suggeriert selbiges. Auch zu dieser Partie gab es eine Pressekonferenz:
Grischuk hat sich zwischenzeitlich rasiert, gibt es in Tiflis auch einen Friseur?
Wieder beginne ich mit einigen Remispartien. Tomashevsky remisierte mit Schwarz gegen Dominguez. Wieder war es ein bisschen mühsam, aber ein halber Punkt ist ein halber Punkt - zumal wenn man vorne liegt und die prominentere Konkurrenz weiterhin schwächelt. Giri-Jobava wurde auch remis: Heute spielte Jobava betont solide, Giri stand besser (Läuferpaar, das er mit einem kleinen Trick eroberte), dann viel besser - tief im Endspiel konnte er eine Qualität gewinnen, tat es jedoch nicht und dann wurde es unentschieden. In Runde 5-8 war das ein gutes Ergebnis gegen Jobava, aber doch zu wenig um sich in der Tabelle zu verbessern. Danach eine offenbar gut gelaunte Pressekonferenz ohne Eklat (auch wenn ich mir sie nicht angehört habe):
Mamedyarov-Jakovenko wurde nach langem Kampf remis - wenn im Turmendspiel einer Gewinnchancen hatte, dann trotz des weissen (verdoppelten) Mehrbauern Jakovenko. Vachier-Lagrave - Kasimdzhanov wurde nach nicht so langem Kampf remis. Das war Russisch mit der Modevariante 5.Sc3 nebst langer Rochade. Schwarz rochierte auch lang, Weiss stand sicher besser, aber es ging nicht richtig weiter, die Zeit wurde beiderseits knapp, Remis nach 30 Zügen. Radjabov-Grischuk 1-0 Radjabov erlaubte wieder eine Bauernraub-Variante, heute die Mutter von allen im Najdorf-Sizilianer. Das ist in vielen Varianten forciert remis wenn beide wissen was sie tun. Radjabov wählte ein seltenes Abspiel, Grischuk wusste nicht was er tat. Im 16. Zug brachte er eine schlechte Neuerung, dann ging es schnell bergab und nach 24 Zügen gab er auf. Ich habe weder Zeit noch Detailkenntnis um mehr darüber zu schreiben. Svidler-Andreikin 1-0: langsam aber sicher positionell.
Wieder zunächst die Remispartien: Kasimdzhanov-Radjabov 1/2 war der Beweis, dass Ld2 gegen Grünfeld mitunter auch schnell verflacht (ein anderer Beweis war zuvor im Turnier Kasimdzhanov-Giri 1/2 in derselben Variante). Tomashevsky-Svidler war ebenfalls Grünfeld, diesmal mit Lg5. Svidler folgte einer Variante von Peter Svidler aus seinen Videos, Tomashevsky war ebenfalls gut vorbereitet und behauptete zumindest, dass er das Video nicht angeschaut, sondern alles unabhängig davon gefunden hatte. Am Ende Dauerschach. Andreikin- MVL war ein (Anti-)Sizilianer, nicht Najdorf sondern 4.Dxd4, am Ende auch Dauerschach. Grischuk-Mamedyarov 0-1: In der Eröffnung opferte Grischuk korrekt einen Bauern und stand gut. Dann investierte er satte 42 Minuten für 17.Ta5?? - und hatte dabei 17.-Dh6! mit Röntgenblick und Gewinn eines zweiten und wichtigen Bauern entweder übersehen oder völlig verkehrt beurteilt. Er wehrte sich so gut es ging, aber auch beiderseitige Zeitnot konnte die Partie nicht mehr für ihn retten - 0-1 nach 63 Zügen. Jakovenko-Giri 1-0: Giri zeigte Patriotismus und Mut zum Risiko und spielte Holländisch. Er stand in der Partie meistens schlechter, dann war das Remis in Reichweite (eventuell musste er noch Turm gegen Turm und Läufer verteidigen), dann 46.-Ta2+? 47.Kg3 Ta3+ 48.Kg2? Ta2+? 49.Kg3 Ta3+ 50.Kf4! und trotz schwarzem Mehrbauern am Damenflügel entschied das weisse Quartett bestehend aus König, Turm, Läufer und g-Freibauer schnell die Partie. In Taschkent waren mehrere Spielerfrauen vor Ort, in Tiflis offenbar nur die mit Giri liierte Georgierin Sopiko Guramishvili:
Aber Valentinstag (bzw. die Tage danach) in Tiflis verlaufen für Giri nicht wunschgemäss. Jobava-Dominguez 1-0: Jobava spielte wieder eine "seiner" Varianten, heute 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Le2!? . Eine Art Philidor im Anzug, damit hat er sehr gute Resultate - u.a. vielleicht weil der Gegner das unbedingt widerlegen will, dabei ist es ein solider und schwer zu knackender Aufbau mit Mehrtempo. Dominguez verlor nicht deshalb, eher weil er in einer "Nichts los" Stellung zuviel Zeit verbrauchte. Die fehlte dann als Jobava am Damenflügel aktiv wurde, und in der beiderseits nicht perfekt gespielten Phase vor der Zeitkontrolle machte Dominguez den letzten und partieentscheidenden Fehler. Er musste eine Qualität spucken, da Weiss sonst plötzlich am Königsflügel zuviel Druck aufbauen würde.
Ich hoffte insgeheim auf eine eher langweilige und früh beendete Runde, dann kann ich zeitig mit diesem Bericht beginnen. Das erschien im Bereich des Möglichen, dann kam es doch anders. Vier Partien wurden remis, am schnellsten (und nur pro forma spektakulär mit Figurenopfern und Dauerschach) Radjabov-Mamedyarov, sie spielen fast immer remis gegeneinander. Auch die drei anderen Remispartien ignoriere ich diesmal. Svidler-Jobava 0-1 Jobava gewann schon wieder, warum eigentlich? Irgendwie veerlor Svidler total die Kontrolle über die Stellung. Aber ich lege den absoluten Schwerpunkt auf Vachier-Lagrave - Tomashevsky 0-1(!) - aus mehreren Gründen. Es war womöglich die Vorentscheidung im Turnier, und es entstand ein sehr ungewöhnliches Stellungsbild. MVL gab zunächst eine Figur für zwei Bauern, dann tauschte er zwei Leichtfiguren gegen Turm und zwei Bauern - also hatte er insgesamt Turm und vier Bauern gegen Läuferpaar und Springer. Das war wohl eher aus der Not geboren als so geplant, oder auch nicht: für 23.Dc2 (objektiv wohl "?") was das Ganze einleitete investierte er eine halbe Stunde. Immerhin erwischte er so fast alle schwarzen Bauern, aber seine eigenen - obwohl zunächst verbundene Freibauern - waren später Fallobst. Auf dem Brett verblieb das Endspiel Turm gegen drei Leichtfiguren, darunter zwei Läufer (wichtig, sonst kann sich der weisse Turm wohl immer gegen einen Läufer opfern und Remis erzwingen). Tomashevsky liess sich Zeit, bevor er den letzten weissen Bauern verspeiste - hat er sich in dieser Phase seinen Gewinnplan zurecht gelegt und die Stellung seiner Leichtfiguren bereits optimalisiert? Ich bin da überfragt und gebe nun das Wort an eine nicht ganz neutrale Quelle: Europe Echecs zitiert den twitternden GM Tisdall: "Ein Blick auf Tablebases zeigt, dass es fast unmöglich ist, dieses Endspiel gegen die beste Verteidigung zu gewinnen, aber man kann es sehr leicht verlieren. Ich vermute, niemand hat es jemals studiert." Weiter schreiben sie: "Um zu gewinnen, muss Schwarz den Turm erobern, aber das ist nicht einfach. ... Wir machen keinen Hehl daraus: wir können Ihnen nicht erklären, wie man dieses Endspiel behandeln muss! Endlich, nachdem der letzte Bauer geschlagen wurde, können wir Tablebases befragen. Bei bester weisser Verteidigung kann Tomashevsky nicht gewinnen, bevor die 50 Züge Regel eingreift!" Da täuschten sie sich wohl, es ist zwar ab der Ausgangsstellung Matt in 56 Zügen, aber die verteilen sich in erst die Qualität gewinnen, dann mit den beiden verbleibenden Leichtfiguren matt setzen.
Konnten sie eigentlich die erwähnte Webseite befragen? Ich habe es in dieser Partiephase versucht, aber sie war überlastet - offenbar war ich nicht der Einzige der "die Wahrheit" wissen wollte ... . Also ging ich duschen, das dauert insgesamt ca. 10-15 Minuten, kam zurück und die Partie war gerade vorbei. Die weiteren Tweets von GM Tisdall erwähnte Europe Echecs nicht: "Ich weiss nicht, was die Base sagt, aber Tomashevsky hat offenbar einen furchterregenden Plan" Und, kurz nach der Partie: "Impressively smooth finish from Tomashevsky! Made that look very simple indeed. [Beeindruckend glattes Finish von Tomashevsky. Es sah sehr einfach aus]". Später konnte ich Tablebases befragen - Tomashevsky spielte nicht immer, aber doch meistens den besten d.h. schnellsten Zug!
Platz | Spieler | Land | Elo | 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 | Punkte | TPR |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
1. | Tomashevsky Evgeny | RUS | 2716 | * | ½ | . | . | ½ | 1 | ½ | 1 | 1 | 1 | ½ | . | 6 | 2947 |
2. | Jakovenko Dmitry | RUS | 2733 | ½ | * | ½ | . | ½ | 1 | 1 | ½ | ½ | . | . | ½ | 5 | 2841 |
3. | Radjabov Teimour | AZE | 2731 | . | ½ | * | ½ | ½ | ½ | . | ½ | 1 | ½ | ½ | . | 4½ | 2785 |
4. | Kasimdzhanov Rustam | UZB | 2705 | . | . | ½ | * | ½ | . | ½ | 1 | 0 | ½ | 1 | ½ | 4½ | 2802 |
5. | Dominguez Perez Leinier | CUB | 2726 | ½ | ½ | ½ | ½ | * | 0 | . | . | . | ½ | ½ | 1 | 4 | 2729 |
6. | Jobava Baadur | GEO | 2696 | 0 | 0 | ½ | . | 1 | * | ½ | 1 | 0 | . | 1 | . | 4 | 2751 |
7. | Giri Anish | NED | 2797 | ½ | 0 | . | ½ | . | ½ | * | . | ½ | ½ | 1 | ½ | 4 | 2738 |
8. | Mamedyarov Shakhriyar | AZE | 2759 | 0 | ½ | ½ | 0 | . | 0 | . | * | 1 | 1 | . | 1 | 4 | 2737 |
9. | Grischuk Alexander | RUS | 2810 | 0 | ½ | 0 | 1 | . | 1 | ½ | 0 | * | . | . | ½ | 3½ | 2691 |
10. | Vachier-Lagrave Maxime | FRA | 2775 | 0 | . | ½ | ½ | ½ | . | ½ | 0 | . | * | ½ | ½ | 3 | 2651 |
11. | Svidler Peter | RUS | 2739 | ½ | . | ½ | 0 | ½ | 0 | 0 | . | . | ½ | * | 1 | 3 | 2648 |
12. | Andreikin Dmitry | RUS | 2737 | . | ½ | . | ½ | 0 | . | ½ | 0 | ½ | ½ | 0 | * | 2½ | 2614 |
Tomashevsky spielt noch gegen Kasimdzhanov, Andreikin und Radjabov - ein vermeintlich leichtes Restprogramm, aber immerhin zwei seiner direktesten Verfolger (gegen Jakovenko hat er bereits remisiert). Wenn er die Nerven behält, sollte er schlechtestenfalls geteilt Erster werden. Jakovenko hat mit Svidler und Vachier-Lagrave, dann ebenfalls Kasimdzhanov, schwerere Aufgaben - dachte man zumindest vor dem Turnier. Kasimdzhanovs Restprogramm habe ich bereits weitgehend erwähnt, ausserdem spielt er noch gegen Jobava - immer unberechenbar, diesmal erst recht und mit einem starken Finish kann er trotz anfangs 0.5/4 noch weit vorne landen, seine anderen Gegner Vachier-Lagrave und Andreikin sind vorgewarnt. Radjabov spielt noch gegen Andreikin, Giri und (bereits genannt) Tomashevsky.
Ich habe bereits ein bisschen spekulative Ursachenforschung betrieben, warum es für diverse Spieler läuft bzw. nicht - aber das kommt dann im Abschlussbericht. Heute nur so viel: Gibt es einen 2800-Fluch? Auch Caruana brauchte mehrere Anläufe, um sich darüber zu etablieren - und steht nun wieder auf der Kippe. Grischuk, Giri und - in Zürich - Nakamura waren kurz zu Besuch in diesem Club. Radjabov war mal sehr nahe dran mit live Elo 2799.6, später ging es steil bergab. Morozevich hatte 2008 auch mal immerhin 2798.9 und verlor damals dann zwei Partien hintereinander, bei ihm war es der Gipfel einer ewigen Berg- und Talfahrt.
// Archiv: Nachrichten Thomas Richter // ID 19469
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