von Frank Hoppe
Am 17. Oktober 2015 gab es in Bern eine Weltpremiere. Die offene Schweizer Problemlösemeisterschaft fungierte gleichzeitig als allererstes Turnier für den neu eingeführten „World Solving Cup“, einem auch aus anderen Sportarten bekannten Format.
Dabei müssen die Problemlöser in knapper Bedenkzeit Schachprobleme verschiedener Gattungen (Zweizüger, Dreizüger, Mehrzüger, Hilfsmatts, Selbstmatts, Endspielstudien) analysieren, die in ihrer Komplexität oft weit über das hinausgehen, was in der Partie aufs Brett kommt. Und dies ist auch ein Grund, der den speziellen ästhetischen Reiz dieses Genres ausmacht. Als Beispiel mag nebenstehender Vierzüger dienen.
1 | 1 | 2 | 2 | 3 | 3 | 4 |
---|---|---|---|---|---|---|
Tb6! | droht | Dd2 | Dxd2 | Txb4+ | Dxb4 | Se3# |
... | ... | ... | Lxd2 | Se3+ | Lxe3 | Txb4# |
... | Dd2 | Dc3+ | Dxc3 | Txb4+ | Dxb4 | Se3# |
... | Ld2 | Dc5+ | Txc5 | Se3+ | Lxe3 | Txb4# |
... | Td5 | Txd5+ | Te8+ | Te5 | Txe5+ | Sxe5# |
Weiß hat starke Kräfte auf den schwarzen König gerichtet, aber ein direkter Zugriff ist noch nicht möglich. Der Annäherungsversuch 1. Db6? wird humorlos mit 1. ... Df4+ pariert.
Einen Hinweis gibt der Ba3: Er führt den Löser zum richtigen Schlüssel 1. Tb6!
Aber was droht? Das stille Damenopfer 2. Dd2! führt zu den parallelen Abspielen 2. ... Lxd2 3. Se3+ Lxe3 4. Txb4# und 2. ... Dxd2 3. Txb4+ Dxb4 4. Se3#, in der Terminologie „Plachutta“ genannt und schon häufig dargestellt.
Richtig kunstvoll wird es nun bei der Suche nach Verteidigungen: Ausgerechnet die Züge auf das Drohfeld d2 parieren, also 1. ... Ld2 (Idee Dh1+) und 1. ... Dd2 (Idee b1D+) verhindern die Drohung!
Dazu noch das technisch bedingte Nebenspiel 1. ... Td5 2. Txd5 Te8+ 3. Te5, das ohne künstlerischen Wert ist, aber trotzdem für Turnierpunkte sorgte.
20 Teilnehmer hatten gemeldet, davon 10 Titelträger, und Deutschland stellte nach der Schweiz mit 4 Teilnehmern plus dem Turnierleiter Axel Steinbrink das zweitgrößte Kontingent. Wenn man bedenkt, daß ein Löser das Anrecht auf zwei Analysebretter hat (das entspricht einem großen Tisch), ist das durchaus eine respektable Anzahl, vom Platzbedarf her entspricht das etwa 80 Partiespielern.
Das Turnier hielt zwei Überraschungen bereit, eine am Anfang und eine am Ende. Der allererste Einzelweltmeister in dieser Disziplin (1983), GM Roland Baier aus Basel, tauchte nach Jahren der Inaktivität wieder im Turniersaal auf und konnte mit einem 4. Schlußrang zeigen, dass er es nicht verlernt hatte! Am Ende gewann aber mit dem Marokkaner FM Abdelaziz Onkoud eher ein Außenseiter. Als Partie-IM gelang es ihm als Einzigem, die schwierigen Studien komplett zu durchschauen, und damit den Grundstein zu seinem Sieg vor dem deutschen GM Arno Zude und Klaus Köchli zu legen, welcher seinen nationalen Schweizer Meistertitel verteidigen konnte.
Die Turnierserie geht nun weiter bis zum Abschluß bei der Weltmeisterschaft 2016 im August in Belgrad. Auch die Deutsche Meisterschaft vom 1. - 3. April 2016 im Wyndham Garden Hotel in Dresden nimmt daran teil; großzügige Räumlichkeiten ermöglichen hier auch die Teilnahme von Neulingen ohne Vorqualifikation!
Pl. | Titel | Name | Land | Rating | Pkt. | Zeit |
---|---|---|---|---|---|---|
1. | FM | Abdelaziz Onkoud | 2367,36 | 51,0 | 192 | |
2. | GM | Arno Zude | 2625,92 | 49,5 | 184 | |
3. | Klaus Köchli | 2229,54 | 41,0 | 221 | ||
4. | GM | Roland Baier | 2517,71 | 40,0 | 197 | |
5. | IM | Klemen Sivic | 2356,52 | 38,0 | 212 | |
6. | IM | Thomas Maeder | 2236,59 | 37,5 | 229 | |
7. | FM | Ronald Schäfer | 2356,50 | 36,0 | 213 | |
8. | GM | Dolf Wissmann | 2466,67 | 35,0 | 228 | |
9. | Roland Ott | 2183,86 | 35,0 | 235 | ||
10. | FM | Wilfried Neef | 2130,98 | 33,0 | 234 | |
11. | GM | Andrey Selivanov | 2398,64 | 32,0 | 206 | |
12. | Martin Hoffmann | 2158,09 | 28,0 | 208 | ||
13. | Stefan Zollinger | - | 25,0 | 235 | ||
14. | Andreas Nievergelt | 2004,59 | 24,0 | 235 | ||
15. | Gerold Schaffner | 2067,74 | 23,0 | 235 | ||
16. | IM | Hemmo Axt | 2140,51 | 21,0 | 218 | |
17. | Richard Dobias | 2073,67 | 21,0 | 234 | ||
18. | Ryszard Krolikowski | 2199,39 | 17,5 | 214 | ||
19. | Alexandros Dimitriadis | 1834,24 | 17,0 | 235 | ||
20. | Jürg Meli | 1642,37 | 9,5 | 235 |
Pkt. = von max. 60 möglichen
Zeit = max. 235 Minuten
Für ein geeignetes Rahmenprogramm für alle Gäste hatte die Stadt Bern gesorgt: Auf dem Bundesplatz wurde eine Geschichte rund um „Das Juwel der Berge“, das Matterhorn, paßgenau auf das Bundeshaus projiziert (noch bis Ende November zu sehen).
Wilfried Neef
Die SCHWALBE
// Veröffentlicht von Frank Hoppe // Archiv: Problemschach // ID 20483
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