5. Februar 2007
Schon in wenigen Wochen startet die Europameisterschaft in Dresden. Sie ist nicht nur ein weltweit beachtetes Turnierereignis, sondern gilt zugleich als „Generalprobe“ für die Schacholympiade 2008. Zwar werden nominell weniger Spieler als zur Olympiade auftreten, doch es muss auch hier ein immens großer Organisationsaufwand geleistet werden.
Zudem findet auch die Euro 2007 im internationalen Kongresscenter Dresden statt, so dass die Spiel- und Rahmenbedingungen sehr ähnlich sind. Im heutigen Artikel kümmern wir uns um die Euro 2007 aus Sicht des deutschen Schachleistungssports. Welche Chancen haben wir mit der Euro - auch gerade im Hinblick auf 2008? Ein Gespräch mit dem Referenten für Leistungssport im Deutschen Schachbund, Klaus Deventer.
Lieber Klaus, Du bist nun seit vier Jahren Referent für Leistungssport. Du kennst nicht nur sämtliche National- und Kaderspieler, Du bist auch mit den Rahmenbedingungen und den Erfordernissen schachlicher Großveranstaltungen vertraut. Zudem pflegst Du engen Kontakt zu den Leistungssportreferenten der Länder, zu unseren Bundestrainern und bist zudem auch stellvertretender Vorsitzender der SCHIEDSRICHTERKOMMISSION und selbst Internationaler Schiedsrichter. Sind wir gut vorbereitet auf die Euro 2007?
Wir können unbesorgt zur EM nach Dresden fahren, es ist alles bestens vorbereitet. In Dresden arbeitet um den Chef des Organisationskomitees Dr. Dirk Jordan ein Team kompetenter Fachleute seit über einem Jahr an der Vorbereitung zur Europameisterschaft. Dort wird professionell gearbeitet und zwar auch im Wortsinn, denn schon im Jahr 2005 wurde das Dresdner Olympiabüro, in dem die Vorbereitungen zur Schacholympiade 2008, aber auch zur EM 2007, zusammenlaufen, eröffnet und erst vor kurzen noch personell verstärkt.
Das Organisationskomitee, dem ich übrigens als Vertreter des DSB-Geschäftsführers Horst Metzing, der für den Aufgabenbereich "Turnierorganisation" verantwortlich ist, selbst angehöre, betrachtet die EM als Testlauf für die Olympiade im kommenden Jahr. Schon deshalb besteht der Ehrgeiz, alles möglichst perfekt vorzubereiten. Im übrigen ist Dresden in Sachen Schach ja schon seit vielen Jahren die erste Adresse in Deutschland. Man kann die TOP-Events, die dort in den letzten Jahren stattgefunden haben, gar nicht mehr alle aufzählen. Ich beschränke mich deshalb auf den Hinweis, dass im Jahr 2004 in Dresden schon einmal eine Frauen-Europameisterschaft erfolgreich ausgerichtet wurde. Wenn man so will, ist jetzt nur noch eine Herrengruppe dazugekommen.
Platz und Raum zum Spiel am Brett ist für viele Spieler ein wichtiges Thema. Das ICD (International Congresscenter Dresden) ist ein riesiges Gebäude – warst Du schon vor Ort und hast Dir die Bedingungen dort angesehen? Wird der Platz für die Euro und dann auch für die Schacholympiade ausreichend sein?
Du sprichst da ein nicht ganz unproblematisches Thema an. Natürlich wird der Platz bei der EM und auch bei der Olympiade ausreichend sein, das ist keine Frage. Allerdings hat jedes Gebäude, auch wenn es so großzügig konzipiert ist, wie das neu errichtete Dresdener Congresscenter, eine Kapazitätsgrenze. Wir hatten, ausgehend von den bisherigen Erfahrungen, für die EM mit der Rekordzahl von 500 Spielerinnen und Spielern geplant. Nach Ablauf der Meldefrist liegen jetzt über 580 Anmeldungen vor und Nachmeldung sind nach den Regularien gegen Zahlung einer erhöhten Meldegebühr erlaubt.
Wir müssen also für die beiden EM-Turniere, allgemeines Turnier und Frauen-Turnier, mit über 600 Startern rechnen. Zugleich steht uns für die EM nur ein Teil des ICD zur Verfügung. Ich war mittlerweile dreimal vor Ort und kann garantieren, dass wir alle Teilnehmer auch unterkriegen. Größere Freiflächen werden allerdings nicht vorhanden sein. Für die Olympiade können wir dann das ICD komplett nutzen. Andererseits halten wir den Austragungsort Dresden für so attraktiv, dass wir auch im kommenden Jahr wieder von einer Rekordbeteiligung ausgehen müssen, was übrigens ja nicht unerwünscht ist. Je nach Meldestand werden deshalb auch zur Olympiade nicht alle Wünsche, was den Platz betrifft, erfüllt werden können.
Die Schacholympiade in Turin und die Jugendweltmeisterschaften in Georgien waren die letzten großen Prüfsteine für unsere Kandidaten. Kannst Du ein Fazit ziehen, ob Du aus Sicht des Leistungssports mit den Ergebnissen dort zufrieden warst und welche Perspektiven bieten diese für die Euro 2007?
Wenn man von der Jugendweltmeisterschaft 2006 mit einem Weltmeister, Arik Braun in der Altersklasse U-18, zurück nach Deutschland kommt, dann ist man selbstverständlich hoch zufrieden. Auch die Platzierungen von Filiz Osmanodja (5. in der Altersklasse U-10 w), Melanie Ohme (6. in der Altersklasse U-16 w) und Niklas Huschenbeth (7. in der Altersklasse U-14) beweisen, dass wir im Nachwuchsbereich gut aufgestellt sind. Leider haben alle drei in der letzten Runde verloren, sonst wären weitere Medaillen drin gewesen. Die beiden Mädchen werden auch bei der EM dabei sein. Für sie, wie für alle Nachwuchsspieler, geht es darum, Erfahrung und Titelnormen zu sammeln. Unser Weltmeister wird leider nicht am Start sein können, er baut in dieser Zeit gerade sein Abitur.
Was die Schacholympiade in Turin betrifft, komme ich zu einem differenzierten Fazit. Beide Mannschaften haben fast punktgenau den Startrangplatz erreicht, die Frauen wurden am Ende 11., die Männer 15. Natürlich hofft man auf mehr, das ist glaube ich ganz normal. Andererseits muss man sehen, dass sie gegen eine ganze Reihe starker Mannschaften gepaart waren und da bei der letzten Olympiade noch die Brettpunkte als Hauptkriterium zählten, ist es von großer Bedeutung, gegen wen man in den letzten Runden spielen muss. Bei der EM wird die Turiner Frauennationalmannschaft komplett antreten, bei den Männern fehlen nur Arkadij Naiditsch und Christopher Lutz.
Bundesnachwuchstrainer Bernd Vökler hat aufgrund seiner sehr guten Arbeit einen unbefristeten Vertrag erhalten. Wie werden speziell die jungen Spieler auf die Erfordernisse vorbereitet? Und ist auch hier das neuerdings immer häufiger auftretende Thema "Psychologische Vorbereitung" Teil des Trainings? Wer aus der jungen Riege wird bald fester Bestandteil der A-Nationalmannschaft sein?
Seit 2004 gibt es ja die Jugend-Olympiamannschaft, die von Bernd Vökler betreut wird. Es handelt sich um fünf Mädchen (Judith Fuchs, Sarah Hoolt, Manuela Mader, Melanie Ohme und Elena Winkelmann) und fünf Jungen (Falko Bindrich, Sebastian Bogner, Arik Braun, Ilja Brener und Georg Meier), unsere vielversprechendsten Nachwuchskräfte, die durch intensive Trainingsmaßnahmen bis 2008 olympiareif sein sollen. Dann werden sie nämlich als Deutschland II an den Start gehen.
Sie erhalten Einzeltraining, besuchen gemeinsam Trainingslehrgänge, zu denen wir namhafte Trainer, ich nenne nur Josif Dorfman, einladen und treten natürlich auch als Mannschaft auf, etwa beim MITROPA-Cup. Es fällt schwer, aus dem genannten Kreis jemanden besonders hervorzuheben, sie alle haben das Zeug dazu, mittelfristig in den Kreis der A-Nationalmannschaft vorzustoßen. Von der aktuellen Elo-Zahl haben momentan Arik Braun (2537) und Manuela Mader (2228) die Nase vorn. Psychologische Vorbereitung gibt es für die Mitglieder der Jugend-Olympiamannschaft bisher noch nicht, aber wir haben darüber auch schon nachgedacht.
Kadernominierung ist stets ein heikles Thema. Zwar gibt es Richtlinien, doch nicht immer ist man allerorts mit der Bestückung einverstanden – subjektiv sähe man gerne den ein oder anderen weiter oben oder unten angesiedelt. Inwiefern haben sich die Richtlinien über Jahre hinaus gesehen bestätigt? Sind heute diejenigen international erfolgreich, die vor Jahren durch die Kaderlisten wanderten?
Tatsächlich ist die Kadernominierung ein heikles Geschäft und manchmal ist es schwer, die Landesverbände, Vereine oder Eltern davon zu überzeugen, dass der oder die Bessere der Feind des Guten ist. Am einfachsten ist es immer, die Spielerinnen und Spieler in die Kader zu nominieren, die aufgrund ihrer Leistungen herausragen und deshalb im Wortsinne unumstritten sind.
Und genau aus diesem Kreis gehen dann auch die späteren Spitzenspielerinnen und -spieler hervor. Man kann das bei fast allen Topspielern sehr schön verfolgen. Sie gehörten schon in ihrer Jugendzeit zur nationalen Spitze und setzen sich später – übrigens immer früher – auch im Erwachsenenbereich durch. Späteinsteiger, die zuvor durch unser Raster gefallen wären, fallen mir spontan keine ein. Vielleicht übersehe ich jemanden, aber der wäre die Ausnahme von der Regel.
Problematisch bei der Kadernominierung sind immer die Grenzfälle nach unten, also bei der Frage, ob man bestimmte Spielerinnen oder Spieler noch mit dazu nimmt oder nicht. Ich erlebe es immer wieder, dass wir, wenn wir uns knapp für ja entscheiden haben, im folgenden Jahr die gleiche Diskussion über den gleichen Spieler erneut entsteht. Manchmal ist dann ein knappes nein besser, denn besonders bei jüngeren Spielern kann das auch zusätzliche Energien freisetzen, um sich im nächsten Anlauf in den Kader zu spielen.
Du selbst bist auch Schiedsrichter. Wirst Du bei der Euro "schiedsen" und wird es ausreichend Schiedsrichter dort geben? Wer beruft die Schiedsrichter eigentlich?
Der Präsident der Europäischen Schachunion ECU, Boris Kutin, hat mir die Funktion des Hauptschiedsrichters für die Dresdner EM übertragen. Das ist natürlich eine besondere Ehre und Auszeichnung. Wir sind während der EM nur ein kleines Schiedsrichterteam, aber ich denke, wir werden diese Herausforderung meistern. Als Hauptschiedsrichter gehört es zu meinen Aufgaben, geeignete Kollegen für die EM zu gewinnen. Zum Schiedsrichterstab gehören vor allem besonders erfahrene Internationale Schiedsrichter aus dem In- und Ausland.
Abschließend noch eine Frage zur Schacholympiade 2008. Die Kommission für Ausbildung und natürlich auch die SCHIEDSRICHTERKOMMISSION ist stark daran interessiert, für 2008 möglichst viele Turnierleiter und Schiedsrichter auszubilden. Wie ist der Stand der Dinge?
Bei der Schacholympiade 2008 werden wir eine ungleich größere Zahl von Schiedsrichtern benötigen. Die aktiven Schiedsrichter des DSB sind mittlerweile von mir angeschrieben worden und wurden gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Das Interesse an der Schacholympiade ist auch in Schiedsrichterkreisen riesig. Die letzte Chance, noch zum Kreis der Aspiranten dazu zu stoßen, bietet ein Neuausbildungslehrgang für Nationale Schiedsrichter, der im laufenden Jahr angeboten wird. Einzelheiten stehen noch nicht fest, ich rate dazu, die Schachpresse zu verfolgen. Anmelden kann sich allerdings nur, wer schon Regionaler Schiedsrichter ist.
Vielen Dank für Deine offenen und umfassenden Antworten.
Gern geschehen.
// Archiv: DSB-Nachrichten - Schiedsrichterkommission // ID 9482