von Wilfried Neef
70 Jahre alt wurde der im Bodenseeraum lebende Retrospezialist Günter Lauinger, fast die Hälfte davon war er Retrosachbearbeiter in der SCHWALBE.
Retros sind Aufgaben, die man nur verstehen kann, wenn man untersucht, wie es zu dieser Stellung gekommen sein muß. Computer können das nicht oder nur sehr bedingt, und das ist für viele Löser reizvoll. Weil der heutige Jubilar praktisch nur Retroaufgaben verfasst hat, bringe ich heute eine davon;
trotz der harmlosen Forderung "Matt in 2 Zügen" ist das wahrscheinlich die schwierigste Aufgabe, die in dieser Spalte bisher erschienen ist.
Nicht was das Lösen anbetrifft, aber um alles zu verstehen, was vorher geschehen sein muß.
Um sie zu lösen muß man folgende Konventionen kennen: e.p.-Schlag ist nur erlaubt, wenn zwingend bewiesen werden kann, daß der gegnerische Bauern-Doppelschritt unmittelbar zuvor geschah. Rochade ist immer möglich, es sei denn, man kann durch Stellungsanalyse das Gegenteil beweisen (in dieser Aufgabe ist 0-0 von Weiß also prinzipiell möglich).
1 | 1 | 2 |
---|---|---|
fxe6 e.p.+! | Lxf6 | 0-0# |
Hier die ausführliche Lösung: Nach Konvention ist Weiß am Zug und kann in der Diagrammstellung nur mattsetzen, wenn er mit fxe6 e.p.+ beginnt.
Aber darf er das?
1.Schauen wir zuerst auf die weiße Schlagbilanz: Ein Bauernschlag auf der g-Linie, und da ein weißer Läufer eine Umwandlungsfigur ist, muß dieser aus dem a-Bauern entstanden sein, der bis zur Umwandlung auf c8 oder e8 4 mal geschlagen hat, ergibt in Summe 5 weiße nachgewiesene Schläge, bei 11 schwarzen Anwesenden kann also kein weiterer weißer Schlag erfolgt sein, z.B. kann niemals der weiße Springer auf g4 geschlagen haben. Die schwarze Schlagbilanz ist trivial, aber hier uninteressant.
2.Was war der letzte schwarze Zug?
d7-d6 nicht, denn das hinterläßt einen illegalen Läufer auf c8, der kann ja niemals rausgekommen sein. Bleibt e6-e5 und e7-e5, letzteres wollen wir für die Lösung haben, also müssen wir ersteres (e6-e5) ausschließen!
3.Was war der letzte weiße Zug, wenn Schwarz zuvor e6-e5 gespielt hätte?
Nicht e2-e4, das hinterläßt analog zu d7-d6 eine Leiche auf f1. Nicht dxe4 und fxe4, auch nicht Sxg4 (der konnte wegen Damenschach nur schlagend dahingezogen haben), weil kein Schlagfall übrig ist!
Also sind noch Ke1 und Th1 Kandidaten. Das schließt Weiß aber mit seinem Mattzug "0-0" aus, damit beweist er, daß König und Turm in der Diagrammstellung nicht gezogen haben, ein sogenannter "a posteriori Beweis". Es gibt also keinen legalen weißen Zug vor e6-e5.
Bei zuletzt e7-e5 ist das anders, zuvor könnte jetzt nämlich Te6-f6 geschehen sein und die Stellung läßt sich auflösen!
Zusammengefaßt: Durch die Rochade beweist Weiß a posteriori, daß Schwarz zuletzt e7-e5 gezogen haben muß (nach Ausschluß aller anderen Möglichkeiten durch Schlagbilanz etc.) Der Mattzug T-f1# reicht nicht aus, denn dann könnte Schwarz zuvor e6-e5 nach weißem Tg1-h1 gezogen haben.
Wilfried Neef
wilfried.neef@telekom.de
// Veröffentlicht von Wilfried Neef // Archiv: Problemschach // ID 23220
Kommentare
Einen Kommentar schreiben
Sie müssen sich anmelden, um Kommentare hinzuzufügen.