von Wilfried Neef
Einzel: Überraschungssieger
Mannschaft: Polen gewinnt abermals, Deutschland Vierter
Der diesjährige Problemschach-Weltkongress mit integrierter Löse-Weltmeisterschaft wurde in der litauischen Hauptstadt Vilnius ausgetragen,
die sich mit einer veritablen, da im Krieg unzerstörten Altstadt, und auch sonst recht vital präsentierte. 193 registrierte Teilnehmer hatten den Weg ins Baltikum gefunden, einige waren auch nur im Touristenmodus unterwegs.
Auf dem (Schach-)Programm standen Open, offizielle Löse-WM, Quick solving, Solving show, verschiedene Kompositionsturniere, sowie die übliche Kongressarbeit (Kommissionssitzungen etc.)
Das Open (quasi zum Aufwärmen, 100 Teilnehmer) gewann Piotr Murdzia (POL, 55,5/60) vor John Nunn (GBR, 52/60) und Michael Pfannkuche (GER, 50/60).
Hier war der Ausgang also noch klar und deutlich, bei der tags darauf folgenden WM sollte sich das dann jedoch ändern!
Bei der eigentlichen Weltmeisterschaft waren die Abstände sehr knapp, und es sollte einen Überraschungsweltmeister in der Einzelwertung geben:
Piotr Gorski, der einzige Pole ohne GM-Titel löste am gleichmäßigsten und gewann mit 70,3/90 vor John Nunn (69,6) und Eddy van Beers (BEL, 69,5). Piotr Gorski ist auch der erste Nichttitelträger im Partieschach seit 16 Jahren, der Löseweltmeister werden konnte!
Zur Erinnerung: Eine Aufgabe ist 5 Punkte wert, bei vielen Varianten werden diese entsprechend aufgeteilt und es können "krumme" Ergebnisse entstehen!
Die Einzelwertung sah über 6 Runden wechselndes Führungspersonal, bei der Mannschaftswertung waren die Polen zur Hälfte schon mehr als 10 Punkte enteilt. Eigentlich uneinholbar, allerdings legten die Russen am zweiten Tag massiv nach, und wenn Gorski nicht den Lauf seines Lebens gehabt hätte, hätte es für die Russen auch zum Titel gereicht. Bemerkenswert: Alle 3 Russen waren Jugendliche, von Kind an auf Problemschach geprägt.
Mit gebührendem Abstand folgten Großbritannien als Dritter und Deutschland als Vierter. Die ehemaligen englischen Partieschachkoryphäen Nunn und Mestel sind auch jenseits der 60 noch immer in der absoluten Weltspitze zu finden!
Ein Team besteht aus 3 Lösern, von denen je Runde die 2 besten gewertet werden. Es gibt 6 Runden mit 3 Aufgaben, die je 5 Punkte wert sind; das ergibt bei 2 gewerteten Lösern ein theoretisches Maximum von 180 Mannschaftspunkten.
Letztlich gewann in der Einzelwertung also Noch-IM Piotr Gorski die WM vor GM John Nunn und GM Eddy van Beers, deutsche Teilnehmer waren GM Boris Tummes (7., 67,3), GM Arno Zude (11., 65), Frank Richter (Einzellöser, 13., 63,5), GM Michael Pfannkuche (34., 52,8) und IM Hemmo Axt (Seniorenstartplatz, 70.-71., 35,5). Frank Richter erzielte eine FM-Norm und braucht jetzt noch eine zweite für den Titel.
Den Sieger trennten vom Siebten (Boris Tummes) am Ende gerademal 3 Punkte, (sprich 0,6 gelöste Aufgaben), die man natürlich theoretisch "irgendwo" hätte holen können. Eine andere Strategie wäre gewesen, den sehr schwierigen Vierzüger (testen Sie selbst, er ist hier abgedruckt) unbeachtet links liegen zu lassen, und dafür den Sechszüger zu knacken versuchen; wäre das paßgenau gelungen, so hätte es diesmal einen deutschen Weltmeister geben können! (Natürlich sieht man vielen Aufgaben ihre Schwierigkeit nicht unbedingt an!)
Detaillierte Tabellen bringen wir in der nächsten Ausgabe, oder Sie schauen selbst unter www.wfcc.ch.
1 | 1 | 2 | 2 | 3 | 3 | 3 |
---|---|---|---|---|---|---|
Ld3! | droht | Sf4+ | Kd4 | Se6+ | Kc3 | Dc2# |
... | Kd5 | Lc4# | ||||
... | c5 | De4+ | Ke6 | Df5+ | Kd5 | Dd7# |
... | Kd4 | La6 | droht | Dc4+ | Ke3 | Df4# |
... | Kc5 | De3+ | Kd5 | Sf4# | ||
... | Ke6 | Da2+ | Kd7 | Lf5+ | Kd(e)8 | Dg8# |
Diese Aufgabe fand nur 2 Löser bei 90 Teilnehmern, dazu 18 Teillöser, ein unwahrscheinlich schlechter Score! (Durschschnittspunktzahl: 0,56 von 5)
Wenn Sie diese Aufgabe in weniger als 2 Stunden vollständig gelöst haben, ist das eine respektable Leistung. Wenn das Lösen keinen Spaß gemacht hat,
ist das verständlich, gehört diese Aufgabe doch zu einer (fast) ausgestorbenen Spezies: Die böhmische Schule war auf Mattbilder spezialisiert, bei denen jedes Nachbarfeld des schwarzen Königs nur aus einem Grund nicht betreten werden konnte. Nach dem Krieg waren irgendwann alle Mattbilder durchgenudelt und die böhmische Schule fiel in einen Dornröschenschlaf. Aber bei einer Weltmeisterschaft dürfen natürlich alle denkbaren Gattungen abgefragt werden.
Da es sich hier -von Optik und Forderung her relativ unerwartet- um die zweitschwerste Aufgabe der diesjährigen WM handelt (knapp hinter einem mehrzügigen Selbstmatt), möchte ich 2 Fragen nachgehen:
Warum ist diese Aufgabe so schwierig? Und: Läßt sich das im Voraus erahnen?
Mattbilderaufgaben (die ja auf Äußerlichkeiten abzielen) sind immer schwieriger als logische oder strategische Aufgaben (welche mehr die inneren Zusammenhänge beleuchten), denn Mattbilder können fast aus dem Nichts an verschiedenen Stellen des Brettes entstehen, besonders wenn eine Dame unterwegs ist! Und dann gibt es hier auch noch den stillen Zug 2.La6, schwer zu finden.
Weiterhin: Wenn man einen oder zwei Lösungszweige gefunden hat, ist man beim Mattbilderproblem oft noch lange nicht fertig!
Da in einem Schachproblem alle Figuren einen Sinn haben müssen, besteht die Chance, über die Figuren und ihre Konstellationen Lösungsansätze zu entwickeln. Und wenige Figuren -wie hier- heißt eben auch: wenig Informationen über einen möglichen Lösungsverlauf.
In dieser Aufgabe sehe ich nur ganz schwache Hinweise, z.B: sBc7 wird vermutlich ein zukünftiges Königsfluchtfeld blocken. Also kann Schwierigkeit vorab vermutet werden!
Wilfried Neef
wilfried.neef@telekom.de
// Veröffentlicht von Wilfried Neef // Archiv: Problemschach // ID 23489
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